Matthias Storath: Also dieses Angstgesteuerte finde ich tatsächlich auch immer schwierig an der Big-Data-Debatte, weil es ja letztlich für uns nur um ganz neue Möglichkeiten geht. Dass wir aber weiterhin trotzdem TV-Spots machen, ist auch klar, die großen TV-Sender gibt es ja schließlich auch immer noch. Diese Angstgesteuertheit müssen wir ablegen. Change is good! Das ist echt wichtig für uns in der Branche. Denn vielerorts blockiert das immer noch die Leute. So nach dem Motto: O Gott, müssen wir das jetzt auch noch machen? Ich glaube, wir müssen wirklich mal ei­nen Buzzword-Schredder aufstellen. Big Data be­schäftigt uns schon seit sieben Jahren. Hat es jetzt wirklich alles verändert? Ja, teilweise hat es in Sachen Performancemarketing vieles verändert. Aber: Die Werbeagenturen gibt es ja immer noch.

Nina Rieke: Die interessantere Frage war ja: Wo sind wir in fünf Jahren? Und da muss man klar sagen: Wer weiß das schon? Wahrscheinlich haben wir alle weiterhin mit Ideen zu tun. Doch die Kanäle, die kennen wir nicht. Ich glaube, dass wir anerkennen müssen, dass dieser Zweckoptimismus, den wir alle ganz gut trainiert haben, und die Agilität, mit der wir unterwegs sind, gepaart sein werden mit einem hohen Grad an Unsicherheit und Unwissenheit darüber, was denn da tatsächlich hinter dem Horizont ist.

Jo Marie Farwick: Ist doch geil – in den Wald reinzugehen und zu gucken, was da passiert! Vor gut 100 Jahren hatten die Menschen wegen der aufkommenden Elektrizität alle Angst vor funkensprühenden Kabeln. Diese Angst hat sich mittlerweile erledigt. So wird das mit der Digitalisierung aus meiner Überzeugung auch irgendwann gehen. Sie wird immer mehr in unser Leben eingreifen. Heute haben viele Angst davor, dass ihnen der Netflix-Algorithmus eine gute Serie vorschlägt. Ich find’s super. Um auf die Frage zurückzukommen: Wo sind wir in fünf Jahren? Ich weiß nur eins: Ich sitze irgendwo an einem Schreibtisch oder auf dem Boden oder an einem Strand und mache Ideen. Und habe auf jeden Fall Spaß an der Sache. Das wäre mein Plan. Und ich hoffe, dass die Leute, die ich beschäftige, auch Spaß haben an dem, was wir tun. Wenn wir dabei auch noch Geld verdienen, dann habe ich richtig Bock auf die nächsten fünf Jahre.

Florian Haller: Hm, na ja.

Farwick: Wie, kein Spaß bei Serviceplan?

Haller: Vielleicht geht’s bei uns nicht ganz so lustig zu wie bei euch. Kann schon sein. Aber wir haben schon vor 20 Jahren eine Digitalagentur gegründet. Das ist heute ein Riesenladen. Wir haben die Digitalisierung immer als Chance gesehen. Aber auf der anderen Seite muss man ehrlich zur Kenntnis nehmen, dass es da draußen auch Leute gibt, die Angst davor haben, und das muss man auch irgendwo akzeptieren. Klar kann man sagen, TV-Sender wird’s schon irgendwie immer geben. Aber die Frage ist: Wird es sie noch so groß geben? Wird es da noch so viele Jobs geben? Und den TV-Spot in Ehren; es stellt sich dennoch die Frage: Wie wichtig ist der denn im gesamten Set-up? Wo kriegen wir eigentlich all die Fähigkeiten her, Big Data wirklich selbst an den Start zu bringen? Das liegt uns Agenturen ja nicht gerade in den Genen. Wie gehen wir mit riesigen Datenbanksystemen um? Was passiert mit unserer Medienindustrie, wenn wir keine Cookies mehr setzen dürfen? Rund um das Thema E-Privacy sehe ich da eine ziemlich vernichtende Entwicklung.

Thema 2: Algorithmen und künstliche Intelligenz. Müssen Werber das verstehen und beherrschen?

Ulmer: Wir hatten neulich so einen Nerd bei unserem Kreativen-Treffen, das wir immer abhalten. Der Nerd fuhr Porsche und war sehr unterhaltsam. Er erzählte: Jungs, die bei ihm studieren, haben für Versicherungen einen Algorithmus entwickelt, der beim Ausfüllen des Formulars erkennt, wenn du lügst. Und zwar allein daran, wie du die Maus bewegst, wie du klickst und anhand der Eingaben über die Tastatur. Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Also von wegen Cookies und so – hahaha.

Als ich gefragt habe: Wer stoppt denn den Algorithmus, wenn etwas schiefläuft? Da sagte er: "Wir verstehen den Algorithmus nicht. Das ist auch gar nicht unser Job. Wir wissen nicht mehr, wie der aufgebaut ist, weil der 'self learning' war." Das jetzt nur mal für Werber, die über Algorithmen reden. Wir jedenfalls standen alle da – aaaahhh, okay. Die werden sich im Silicon Valley totlachen, wie da immer Busladungen von Werbern angekarrt werden, die dann hinterher selbst nichts begriffen haben. Wenn Werber über Algorithmen reden – das ist ein bisschen so, wie wenn der Vogel Strauß vom Fliegen erzählt.

Rieke: Ich finde, wenn Werber sich nicht damit beschäftigen, wäre das fatal.

Haller: Wenn ein Werber sich nicht damit befasst, das ist dann wie so ein Huhn, das versucht zu fliegen.

Ulmer: Dann erzählt mir doch mal von einem disruptiven Businessmodell, das ihr in letzter Zeit entwickelt habt. Oder davon, wo ihr auf der Höhe vom Silicon Valley und all dieser Cracks seid. Das ist doch in die Tasche gelogen.

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Die Videomitschnitte veröffentlicht W&V in den kommenden Tagen auf wuv.de.


Autor: Daniela Strasser

Redakteurin bei W&V. Interessiert sich für alles, was mit Marken, Agenturen, Kreation und deren Entwicklung zu tun hat. Außerdem schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Neuerdings sorgt sie auch für Audioformate: In ihrem W&V-Podcast "Markenmenschen" spricht sie mit Marketingchefs und Media-Verantwortlichen über deren Karrieren.