2. Interdisziplinarität

Design Thinking lebt von unterschiedlichen Blickwinkeln und Erfahrungen. Je heterogener und bunter die Projektteams zusammengestellt werden, desto wahrscheinlicher werden die entwickelten Lösungen ausgetretene Pfade verlassen und neue Wege gehen.

3. Orientierung am Endnutzer

Beim Design Thinking stehen immer die Bedürfnisse und Erwartungen der internen oder externen Kunden im Mittelpunkt, die am Ende das Produkt auch wirklich verwenden beziehungsweise die Dienstleistung in Anspruch nehmen. Diese Anwender werden wiederholt und so früh wie möglich in den Entwicklungsprozess eingebunden, regelmäßiges Feedback der Nutzer wird so zum essenziellen Ansatzpunkt für Innovationen.

4. Greifbare und evaluierte Ergebnisse

Um wirklich zu ungewöhnlichen und neuen Ansätzen zu kommen, ist es wichtig, die potenzielle Zielgruppe nicht einfach nur zu befragen. So erhält man bestenfalls Ideen, wie sich ein bestehendes Produkt verbessern lässt. Wesentlich zielführender ist es, die Anwender mit konkreten Prototypen zu konfrontieren, ihre Reaktionen zu beobachten und diese zu evaluieren. Denn die Prototypen zeigen früh die Kernfunktionalitäten des Produkts und ermöglichen damit ein fundiertes Feedback. Je früher und häufiger Ideen an der Realität abgeprüft werden, desto größer ist der Erkenntnisgewinn.

Die Unterschiede in den Vorgehensweisen

Die Entwicklung neuer Produkte nach Design-Thinking-Prinzipien unterscheidet sich damit radikal von der herkömmlichen Vorgehensweise, die auf Marktstudien und SWOT-Analysen basieren (SWOT: Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats – Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken). Üblicherweise werden die letztendlichen Anwender dabei überhaupt nicht berücksichtigt, sondern erhalten nach einer oft mehrjährigen Entwicklungsphase das fertige Produkt vorgesetzt. Dieses ist zum Erfolg verdammt und muss selbst dann auf den Markt gebracht werden, wenn die Nutzerresonanz enttäuschend ausfällt. Schließlich hat die Entwicklung bereits Unsummen verschlungen.

Für Startups mit ihren schmalen Budgets kommt diese Vorgehensweise prinzipiell nicht infrage, sie würden die Durststrecke einer solchen mehrjährigen Produktentwicklung gar nicht überleben. Ziel junger Unternehmen ist es daher meist, so schnell wie möglich ein „Minimum Viable Product“ (MVP) auf den Markt zu bringen und es interaktiv mit den Anwendern weiterzuentwickeln. Die Design-Thinking-Prinzipien spielen auf diesem Weg eine zentrale Rolle.

Etablierte Unternehmen tun sich mit diesem Ansatz jedoch häufig schwer, denn Design Thinking erfordert eine Veränderung in der Geisteshaltung. Klassische Vorstellungen von Arbeit, Zuständigkeiten und Hierarchien müssen hinterfragt, Strukturen aufgebrochen und Vorstellungen von richtig oder falsch aufgegeben werden.

Dies heißt jedoch nicht, dass etablierte Unternehmen Design Thinking nicht einsetzen würden – ganz im Gegenteil: Das Interesse ist sowohl im Mittelstand als auch bei Konzernen enorm groß. In vielen Fällen gehen die Teams auch mit großem Enthusiasmus an die Arbeit und entwickeln neue Ideen und Produkte. Häufig bleiben diese jedoch im Prototypen- oder Proof-of-Concept-Stadium stecken, denn es fehlt am Willen, die Prozesse bis zur Marktreife zur verfolgen.

 

Überraschende Erkenntnisse aus der Praxis

Die Stolpersteine auf diesem Weg liegen oft an völlig anderen Stellen als erwartet, wie uns unsere tägliche Beratungspraxis gelehrt hat. So ist es beispielsweise keineswegs so, dass traditionelle Unternehmen sich in der Produktion neuer Ideen schwertäten – ganz im Gegenteil. In der Divergenz-Phase, in der jeder Workshop-Teilnehmer kreativ und ohne Sachzwänge Vorschläge zur Lösung eines Problems oder zur Entwicklung eines neuen Produkts beitragen kann, ist das Ergebnis meist von beeindruckender Kreativität und Vielfalt geprägt.

Das Problem liegt ihm nächsten Schritt, der Konvergenz. Hier sollen die Teilnehmer aus dem überreichen Ideen-Pool die sinnvollsten und tragfähigsten herausfiltern. In dieser Phase verlässt die Unternehmen oft der Mut. Die gewählten Lösungsvarianten sind überwiegend konservativ und traditionell, neue, ungewöhnliche Ansätze haben keine Chance, auch wenn ihr Wert noch so offensichtlich ist.

Auch das Aufbrechen von Strukturen ist überhaupt kein Problem. Die Workshop-Teilnehmer arbeiten mit Begeisterung und konstruktiv abteilungsübergreifend zusammen. Was jedoch häufig fehlt, ist die Beteiligung der Vorgesetzten, die letztendlich über die Realisierung des Projekts entscheiden. Diese verlassen sich häufig auf traditionelle Kennzahlen und messen nach alten Methoden. Sie misstrauen zudem qualitativ gewonnenen Erkenntnissen aus dem Prototyping oder der teilnehmenden Beobachtung, weil ihnen die Fallzahlen zu gering erscheinen.

Ein weiterer Irrglaube, den wir aus unserer Praxis nicht bestätigen können, ist der Generationenunterschied. Junge Mitarbeiter, so die Vorstellung, sind kreativ und innovativ, während die etablierten älteren Kollegen auf ihren festgefahrenen Strukturen beharren. In unseren Workshops konnten wir häufig das genaue Gegenteil feststellen: Erfahrene Teammitglieder entwickeln aus ihrer langjährigen Praxis heraus oft intelligentere, ungewöhnlichere und tragfähigere Lösungsvorschläge als junge Workshop-Teilnehmer. Vor allem bei Studierenden aus traditionellen Studiengängen beobachten wir eine Tendenz zu stereotypen, wenig kreativen Lösungen.

Design Thinking im Bankenumfeld – ein Praxisbeispiel

Ein Beispiel aus der Praxis mag verdeutlichen, warum sich Design Thinking in etablierten Unternehmen noch so schwer tut. Wir beraten immer wieder Kunden, die – wenn nicht schon konkrete Lösungen und Vorstellungen – so doch schon eine recht eingeschränkte Fragestellung im Kopf haben. Dies ist unproblematisch, wenn im Projektverlauf alle Beteiligten den Anwender genau beobachten und falls nötig die Fragestellungen und die Lösungen im Sinne der Nutzerakzeptanz weiter fassen.

In unserem konkreten Fall wollte ein Kunde neue Lösungen für den Versand seines (virtuellen) Produktes entwickeln. In den Benutzerinterviews wurde aber schnell klar, dass die Anwender das Produkt gar nicht haben wollten und ganz andere Ansätze wünschten. Obwohl diese Informationen ans Management kommuniziert wurden, blieben die Verantwortlichen bei ihren ursprünglichen Vorgaben. „Kümmern Sie sich bitte nur um den Versand“, war die Reaktion. Dadurch wurden viele kreative Ideen abgewürgt und die Chance auf eine wirkliche Innovation im Sinne des Anwenders vertan.

Langer Atem notwendig

Unsere Erfahrungen zeigen, dass man Design Thinking in etablierten Unternehmen weder einführen noch verordnen kann. Geduld, Beharrlichkeit und eine gehörige Portion Pragmatismus sind notwendige Voraussetzungen für den Erfolg. Man darf sich nicht entmutigen lassen, wenn erste Projekte wie das oben aufgeführte Beispiel nicht der reinen Lehre entsprechen. Statt mit zu viel Dogmatismus das Engagement im Keim zu ersticken, lassen sich so die Begeisterung und das Verständnis für die Denkweise des Design Thinking wecken und Veränderungen anstoßen. Im nächsten und übernächsten Projekt werden sich bereits deutliche Veränderungen ergeben. Mit vielen kleinen Schritten kommt man schließlich auch ans Ziel.

 

Checkliste: So wird Design Thinking zum Erfolg

Folgende Tipps helfen Ihnen, Design Thinking nutzbringend einzusetzen:

1. Machen Sie Ernst

Ohne den echten Willen, marktreife Produkte oder Services zu entwickeln, bleiben Design-Thinking-Projekte meist im Prototypen- oder Proof-of-Concept-Stadium stecken. Sie verschwenden so nur Geld und die Zeit Ihrer Mitarbeiter. Sorgen Sie daher von Anfang an für ein klares Signal: Am Ende des Prozesses soll eine marktfähige Lösung stehen.

2. Machen Sie mit

Das Management sollte Design-Thinking-Teams nicht von außen steuern, sondern sich aktiv daran beteiligen. Nur so fußen die entwickelten Ideen auf breiter Zustimmung und können sich gegen Bedenken und Widerstände aus anderen Abteilungen oder Unternehmensbereichen durchsetzen.

3. Werden Sie beweglich

Design Thinking lebt von der Interdisziplinarität. Setzen Sie Projektteams daher möglichst heterogen zusammen. Wenn möglich, sollten nicht nur Mitarbeiter verschiedener Abteilungen am Prozess beteiligt werden, sondern auch Lieferanten, Partner, Kunden oder externe Experten.

4. Messen Sie anders

Neue Prozesse erfordern neue Kennzahlen. Fünfjahrespläne, starre Budget- oder Kostenvorgaben und Mikromanagement mit tagesaktuellen Stundennachweisen und wöchentlichen Leistungskontrollen vertragen sich nicht mit der Flexibilität, Schnelligkeit und Agilität, die Design Thinking mit sich bringen kann.

5. Bleiben Sie am Ball

Design Thinking lässt sich nicht über Nacht verordnen. Seien Sie geduldig, wenn erste Kreativprojekte nicht der reinen Lehre entsprechen. Mit der Erfahrung vergrößern sich das Verständnis für die Idee hinter Design Thinking und die Lust auf eine weiterreichende Umsetzung.

*) Nicole Ondrusch ist Lead Business Consultant des Softwareentwicklers MSG. Sie hat bereits mehrere Projekte als Design-Thinking-Coach begleitet und hält dazu auch Schulungen und Workshops.


Autor: W&V Gastautor:in

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