Aber Kontinuität hat auch ihre guten Seiten. Richard Lutz kennt das Unternehmen und die Key Player wie kein Zweiter. Er hat Rückhalt im Unternehmen und im Aufsichtsrat. Er ist nicht unbeliebt, bei vielen kommt er sogar gut an. Problematisch ist, dass er CEO und CFO in Personalunion erfüllen soll, die Aufgaben sind zu vielfältig, da droht Innovationsstau. Bei der kommenden Bilanzpressekonferenz kann Lutz eine schwarze Null präsentieren. Das ist ein guter Auftakt. Die Person Lutz steht für Kontinuität, Seriosität, Vertrauen. Aber, wenn "Material" zu stabil und starr ist, kann es brechen - daran sollte man auch denken. Die Überraschung dieser Personalie liegt noch tief vergraben und muss sich in der Lösung der Herausforderungen der nächsten Jahre zeigen.

Altes Material sucht neue Wege

Über die Probleme der Deutschen Bahn ist schon viel geschrieben worden. Die Strecken sind marode. Die Flotte ist veraltet (IC) oder fällt zu oft aus (ICE). Kundenzentrische Maßnahmen sind überfällig. Die Digitalisierung – schleppend! Die Digitalen Produkte der Bahn sind nicht auf der Höhe. Das fängt bei nicht angezeigten Reservierungen an, teilweise werden diese noch per Datenträger importiert. Mensch, das ist Standard der 90er! Digitale Produkte und Dienstleistungen müssen her - das zugegeben neue sehr gute WLAN im ICE reicht aber nicht aus. Für Rüdiger Grube waren die Digitalisierung von Logistik, Infrastruktur, Produktion, Arbeitswelten und IT zur Chefsache erklärt worden. Was wird nun daraus?

Richard Lutz braucht einen Digitalvorstand. Das ist keine Frage. Minister Dobrindt schlug ein eigenes Vorstandsressort für Digitales und den deutschen Güterverkehr DB Cargo vor und hat in den vergangenen Tagen schon Kandidaten dafür öffentlich gehandelt. Das wird im Aufsichtsrat irritiert zur Kenntnis genommen, da diese Posten alleine diesem Gremium obliegen.

Egal, woher der CDO der Bahn kommen wird, er muss schnellstmöglich die Digitalisierung der Bahn im Einklang mit einer deutlichen Verbesserung des Produktangebotes vorantreiben. Neue Methoden des Ticketverkaufs, Echtzeitinformationen für den Kunden oder verkehrsträgerübergreifende Vernetzung müssen zum Standard werden.

Predictive Repair ist unerlässlich, um das Material und die Logistik der Bahn zu unterstützen. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Nicht nur die Bahn ist Mobilitätsanbieter. Autonome Mobilität ist die größte Gefahr für den Staatskonzern.

Digitaler Beirat und Aufsichtsrat

Eine Digitale Agenda für die Bahn ist zweifelsohne dringend notwendig. Hier kann sich das Unternehmen ein Beispiel an internationalen Marktbegleitern nehmen.

Der Chief Digital Officer muss besetzt werden und von CEO und Aufsichtsrat unterstützt werden.

Die Bahn braucht zudem einen Digitalen Beirat aus E-Commerce, Digitalem Marketing, Logistik, Design Thinking, Produkt Devices analog dem Bahnbeirat oder dem Kundenbeirat. Dazu fallen mir einige Leute ein – die Positionen würde ich sogar kostenlos besetzen – denn ich fahre gerne und viel Bahn.↑ Go to the top

Im Aufsichtsrat muss es einen Digitalen Aufsichtsrat geben: nicht mit IT versierten Topmanagern wie die Allianz es mit René Obermann und Achim Berg vergangene Woche gemacht hat, sondern mit Menschen, die digital ticken. Idealer Kandidat ist aus meiner Sicht Matthias Ehrlich (ehemals CEO von United Internet). Er ist Kenner der Digitalisierung und gewandt auf politischem Parkett. Ehrlich ist durchsetzungsstark und nutzt seine Positionen, um Erfolge zu feiern und nicht, um Freunde zu gewinnen. Der Prototyp des Digitalen Machers und der Mann, der hier Impulse setzen kann.

Die Bahn braucht insgesamt mehr Digitalen Enthusiasmus. Und zu guter Letzt: wo sind eigentlich die Frauen im Vorstand? Ein Staatsunternehmen ohne einen weiblichen Vorstand entbehrt jeder Vorbildfunktion!

Der Autor: Harald R. Fortmann ist Geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Personalberatung D-Level, die sich auf die Vermittlung von digitalen Fach- und Führungskräften spezialisiert hat und Inhaber einer BahnCard 100 First. Er gilt als einer der am besten vernetzten Manager der Digitalwirtschaft und war 2005 bis 2015 Vizepräsident des Branchenverbandes BVDW.

 


Autor: W&V Gastautor:in

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