Personalmarketing und Social Media: Fans verstehen oder vergessen?
Man muss es ja einmal sagen dürfen: Diese ganze Aufregung um die Fananzahl auf sozialen Netzwerken hat ein gewisses Übermaß erreicht, meint Personalmarketing-Experte Martin Grothe.
Man muss es ja einmal sagen dürfen: Diese ganze Aufregung um die Fananzahl auf sozialen Netzwerken hat ein gewisses Übermaß erreicht. Natürlich ist diese quasi Über-Maßzahl auch sehr hilfreich, weil sie ein komplexes Geschehen auf ein gelerntes Konstrukt herunterdampft, so dass darüber breit diskutiert werden kann. Gleichwohl: Versuchen wir einmal, dieses Konstrukt mit zwei gegenläufigen Thesen zu strukturieren.
Die erste These hat Christoph Bornschein von TLGG auf der Webinale sehr schön bebildert: Das fanhafte „Like“ sei so etwas wie der Sylt-Aufkleber auf der automobilen Rückseite. Sinngemäß: „Man war mal da, es war auch ganz ok, aber auch nicht viel mehr.“ Aber – möchte man ergänzen – ob die Aufkleberherumfahrer die Insel auch fanatisch verteidigen, wenn der Sturm an der Küste nagt, sei dahingestellt.
Also These 1: Fans sind im Digitalen sehr leicht zu zählen, sind aber eventuell gar keine echten Fans. Damit hat die Zahl nur begrenztes Gewicht, kann sogar schnell falsche Schlüsse nahelegen. Also gerne einmal beiseite legen.
These 2 hat etwas mit Marketing zu tun. Natürlich zielen wir hier vor allem auf gutes Personalmarketing. Talente, Kandidaten und Bewerber sind etwas anderes als Interessenten, Käufer, Kunden. Aber lernen können und sollten die Funktionen schon voneinander, in beide Richtungen. Marketing sollte beispielsweise aufnehmen, daß Senden nicht der einzige Kommunikationsmodus ist. Zuhören ist auch fein. Besonders effektiv ist zudem das Stellen von Fragen: Dies zeigt Wertschätzung. Da sind die Personaler vorn. Marketing hat aber mitunter einen guten Blick auf das Marktgeschehen. Wenn wir also mit These 2 unterstellen, dass so genannte Fans doch richtige Fans sind, dann folgt aus Marketingsicht konsequenter- und überraschenderweise wiederum: Bitte die Fans weiträumig vergessen!
Warum? Kaum ein Marketeer würde seine Anstrengungen weitgehend auf seine überzeugten Stammkunden konzentrieren. Die sind doch schon im Boot! Es gilt doch vielmehr solche Personen zu identifizieren und zu „infizieren“, die noch keine Markenfans sind, aber ein passendes Potenzial haben. Welch’ eine gefährliche Ineffektivität, nur die eigene Fangemeinde zu bespielen! In der kompetitiven Marktsegmentierung bleiben die eigenen Stammkunden im Blick, die eigenen wackeligen Kunden unter besonderer Betreuung, die wackeligen Kunden des Wettbewerbs aber im Zielvisier der Aufmerksamkeit. An die Stammkunden der Wettbewerber soll dagegen möglichst keine eigene Energie verschwendet werden.
Transferieren wir dies in unser Employer-Setting, dann müssen wir die bestehenden Fans natürlich halten – wir sollten zudem über Aggregation versuchen, ihre Charakteristika gut zu verstehen. Hauptaugenmerk ist aber die Ansprache von Gruppen, die uns noch nicht "liken“, aber eventuell nicht aus fehlender Überzeugung, sondern nur aufgrund fehlender Anlässe. Damit wird auch die Bedeutung von Facebook zurechtgerückt: Hilfreich, um Kontakt zu einer affinen Gruppe zu halten. Aber Aufmerksamkeit für Ihre Arbeitgebermarke erzielen Sie woanders: Nämlich auf den Tummelplätzen Ihrer Zielgruppen, was in der Regel spezifische Foren sind.
Um diese zu finden, ist es hilfreich, analytisch über den eigenen Tellerrand zu schauen sowie die Präferenzen und Profile der bestehenden Fans zu kennen. Um aber die tatsächliche Fanbasis auszuweiten, sollten Sie die reinen Like-Fans ruhig einmal vergessen. Zudem wird sich im weiteren Verlauf zeigen, dass sich Like-Fans nicht unbedingt gemäß Recruiting-Zielen anheuern lassen. Die eigene Präsenz auf den Tummelplätzen der Zielgruppen dagegen lässt sich inzwischen auch gut mit Maßzahlen (KPI) fassen und zahlt zudem auf die Arbeitgeber-Präferenz ein, so dass niemand mehr auf zu einfache Größen zurückgreifen muss.
Personalmarketing-Experte Professor Dr. Martin Grothe ist Geschäftsführer der complexium GmbH in Berlin. Kontakt: grothe@complexium.de, www.complexium.de