Wenn ich mich in meinem Network etwa in den USA und England umschaue, sehe ich eine völlig andere Situation. Da begegnen mir reife Berater 60+, die zufrieden sind, einen Kunden exzellent zu bedienen, ohne dass sie dafür einen besonderen Titel auf der Hierarchieleiter brauchen. Ich habe Texter getroffen, die Ende 50 waren und mit ihren Fähigkeiten bei Agentur und Kunden eine hohe Wertschätzung genießen, ohne Ambitionen auf die oberste Führungsspitze zu haben. Es ist in anderen Ländern völlig ok, als Werber zu altern, ohne sich gleich als alter Sack zu fühlen, den alle aus Mitleid mit durchschleppen müssen.

Wie einfach könnten wir unsere Nachwuchsprobleme lösen, wenn wir endlich aufhören würden zu denken, es müsse immer höher und weiter gehen. Wenn ein Texter happy ist bis zum Ende seiner Karriere einfach geile Texte zu schreiben, warum sollte er das nicht tun? Wenn ein AD keine Lust hat, ein Team zu führen, sondern stattdessen sein Talent immer weiter verfeinert, kann das auch nur gut für den Kunden sein. Und wir könnten vermutlich mehr Frauen, die Mütter sind, zurückgewinnen, weil die Arbeitsverteilung eine andere wäre. Die vielzitierte Diversity würde auch in die Etagen von Werbeagenturen einziehen können. Denn Qualität, Know-how in der Tiefe werden in unserer Branche ja immer wichtiger angesichts der komplexen Aufgaben. Und nicht jeder ist zum Leitwolf geboren, das ist auch klar. Wir würden uns außerdem endlich von dem Diktat ewiger Jugend verabschieden, das ohnehin nicht mehr zeitgemäß ist.

Auch wir bei GGH Lowe haben noch keine fertigen Antworten, aber eins ist klar: Für uns hat das Thema, wie die Teams der Zukunft aussehen in 2016 oberste Priorität. Es ist Zeit, dass wir alle aus dem bloßen Lamentieren über neue Arbeitsformen und Teamaufstellungen rauskommen und uns endlich der veränderten Realität stellen. Die spannendste Zeit liegt noch vor uns. 

Über den Autor:

W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer und CEO der Hamburger Agentur GGH Lowe.