Auch das lässt sich zumindest aus den Wahlprogrammen nicht grundsätzlich sagen. Leider war ja auch in den Auftritten der Kanzlerkandidaten/innen wenig Substanzielles über die Zukunft von Arbeit, insbesondere vor dem Hintergrund der digitalen Entwicklung, zu hören. Traditionellerweise ist ja das konservativ/liberale Lager eher auf Seiten der Arbeitgeber und das links/grüne Spektrum legt einen größeren Schwerpunkt auf die Interessen der Arbeitnehmer. Freelancer gehören nun weder so richtig zu der einen noch zu der anderen  Gruppe. Sie sind einerseits selbstständige Unternehmer, brauchen aber in manchen Bereichen durchaus auch den Schutz, den sonst nur Arbeitnehmer haben. Der Spitzenkandidat der FDP spricht am meisten über die Veränderungen unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen vor dem Hintergrund der digitalen Entwicklung. Aber eindeutige und konkrete Positionen zu den verschiedenen Interessengruppen auf dem Arbeitsmarkt lassen sich für mich auch dort leider nicht ausmachen.

Die Grünen wollen eine Sozialversicherung für Selbstständige gestaffelt nach den Einkommen einführen. Die Linke fordert Mindestlohn für Selbstständige. Was müsste aus Ihrer Sicht noch in den Parteiprogrammen aufgenommen worden sein, um das Arbeitsleben der Freelancer besser zu gestalten?

Die Freelancer wollen frei darüber entscheiden, zu welchen vertraglichen Bedingungen sie ihre Arbeitskraft anbieten und müssen auf der anderen Seite genug finanzielle Reserven und eine Altersversorgung aufbauen. Hier sollte es nach meiner Einschätzung durchaus auch Regelungen geben, durch die die Freelancern quasi per Gesetz gezwungen sind, eine Rücklage fürs Alter zu bilden. Und natürlich müssen auch die Freelancer einen fairen Beitrag zu den Solidaritäts-Kassen leisten, um deren Funktion zu gewährleisten. 

Und umgekehrt aus Sicht der Arbeitgeber: Was brauchen Agenturen, die Freelancer beauftragen, an politischen Maßnahmen - nicht nur im Wahlkampf?

Ich glaube, dass beide Gruppe, also Arbeit- bzw. Auftraggeber einerseits und Freelancer andererseits Regelungen brauchen, die den Anforderungen des heutigen Arbeitsmarktes gerecht werden, ohne dabei die Interessen der Solidargemeinschaften außer Acht zu lassen. Arbeitgeber müssen flexibel agieren und kurzfristiger als bisher Manpower auf- und abbauen können, ohne dabei allzu schnell in juristisch zweifelhafte Positionen zu geraten.

Die aktuelle Bundesregierung hat der Scheinselbstständigkeit den Kampf angesagt. Ist die Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit nicht manchmal auch ein Fallstrick für Freelancer aus der Werbebranche? Viele Gutverdiener der Branche wollen ja gar nicht angestellt werden.  Wie sehen Sie das Problem?

Bei dem Thema Scheinselbstständigkeit geht es ja im Kern darum, dass die Sozialversicherungsträger nur dann ihr Geld bekommen, wenn die Tätigkeit tatsächlich sozialversicherungspflichtig ist. Die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit sind das grundsätzlich erst einmal nicht. Dafür gibt es aber bestimmte Kriterien, die definieren, ob eine Tätigkeit tatsächlich als freiberuflich gelten kann. Falls die Kriterien nicht erfüllt werden, entsteht eine Sozialversicherungspflicht, mit der die Arbeitgeber auch nachträglich belastet werden können. 

Nach meiner Einschätzung befinden sich aktuell tatsächlich viele Freelancer-Buchungen in unserer Branche mindestens in einem "Graubereich" und es bedarf definitiv einer gesetzlichen Klärung. Das Risiko für die Freelancer ist nach meinem juristischen Verständnis dabei zumindest deutlich geringer als das für die Arbeitgeber, die im Extremfall bis zu 30 Jahre rückwirkend zur Zahlung des Arbeitgeber- und der Arbeitnehmer-Anteils verpflichtet werden können. Der Fallstrick für die Freelancer besteht dann eher darin, dass Auftraggeber sich gegen eine Buchung entscheiden, weil die dieses Risiko nicht eingehen wollen. Oder sie schaffen formale Bedingungen, die oft zulasten der Freelancer gehen. Da müssen dann zum Beispiel Nachweise über andere Buchungen vorgelegt werden oder von den Freelancern separat Räume angemietet werden, die dann quasi als Coworking Space genutzt werden.

Das verlangt den Freien tatsächlich einiges ab. Können die Freelancer in dieser Sache nicht selbst ein bisschen politische Lobby-Arbeit betreiben?

Politisches Engagement auch über die eigentliche Wahl hinaus ist wichtig. Insbesondere Freelancer haben keine traditionellen Interessenvertretungen - wie z.B. Gewerkschaften - und müssen sich mehr als Arbeitnehmer um ihre Interessen selber kümmern. Deshalb kann ich allen Betroffenen erstes nur raten, unbedingt zur Wahl zu gehen und auch darüber hinaus die eigenen Interessen in die Hand zu nehmen. Sei es z.B. dadurch, dass man das Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten sucht oder sich zu Interessengruppen z.B. in den sozialen Medien zusammenschließt und seine Position dort deutlich macht.

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Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.