365 Tage Freiheit: "Zeit und Ruhe sind die neuen Statussymbole, nicht mehr Geld und Stress"
Genug von der Mühle? Ausbrechen und einfach mal etwas ganz anderes machen? Wer kennt solche Gedanken nicht? W&V sprach mit dem ehemaligen Medienjurist und Autor Volker Kitz, der den Ausstieg selbst gewagt hat. Sein Credo: Niemand soll unfreiwillig arbeiten müssen.
"Die 365 Tage-Freiheit. Ihr Leben ist zu wertvoll, um es mit Arbeit zu verbringen", so lautet der vielversprechende Titel des immerhin 288 Seiten starken Rettungsankers für Arbeitsüberdrüssige. Doch einfach nur zurücklehnen und nichts tun gilt nicht. Müßiggang gehört zwar in Maßen zum Aussteigen dazu, vielmehr geht es aber darum, das zu tun, was einem wirklich Spaß macht, wie Volker Kitz im Interview mit W&V klarstellte. Was zählt ist die Entscheidungsfreiheit.
Herr Kitz, was war der Anlass das Buch zu schreiben?
Volker Kitz: Ich hatte vorher schon im „Frustjobkillerbuch“ die These vertreten, man könne vor bestimmten Problemen in der Arbeitswelt nicht davon laufen, sondern sich nur mit ihnen arrangieren. Viele haben mir daraufhin geschrieben, sie wollten aus dem Zirkus komplett aussteigen. Deshalb bin ich einen Schritt weiter gegangen, um die zu erreichen, die sich nicht mehr arrangieren wollen. Die Menschen wollen frei sein!
Sie sprechen aus Erfahrung. Wann kam bei ihnen der Wunsch auf frei zu sein?
Ich habe gut sechs Jahre in Angestelltenverhältnissen gearbeitet. Auch bei mir ist die Neugier danach gewachsen, was das Leben sonst noch zu bieten hat. Ich habe mir mit dem Schreiben ein zweites Standbein aufgebaut, das mir den Ausstieg erlaubte. Ich war in meinen Festanstellungen nicht mal unzufrieden, es war eher die Sehnsucht nach dem „Vollzeitleben“.
Keine Existenzangst?
Doch, natürlich. Dabei bin ich in einer guten Situation, was mein Alter und meine Ausbildung betrifft. Das Unterbewusstsein hat Angst vor Neuem, aber keine Entscheidung ist für immer. Man kann vieles einfach mal ausprobieren. Es gibt zwei Ansätze: neue Einkommensquellen generieren oder die Lebenshaltungskosten senken. Ein erster Schritt kann aber auch einfach sein, den bestehenden Job nüchterner zu sehen, nicht mehr mitzumachen bei dem „Theaternebel“ und dem Stress- und Überstundenwahn der heutigen Bürowelt. Wenn jeder einfach nüchtern seine Arbeit macht, werden die Ergebnisse besser – und es bleibt Zeit und Kraft für anderes.
Zum Beispiel? Was kann glücklicher machen als Arbeit?
Zeit und Ruhe sind die neuen Statussymbole, nicht mehr Geld und Stress. Wer diesen Wertewandel vollzogen hat, bringt gute Ergebnisse und geht trotzdem pünktlich nach Hause und genießt das Leben. Überstunden sollten ja schon rein arbeitsrechtlich die Ausnahme sein, nicht die Regel, das ist heute oft auf den Kopf gestellt. Auch wissen viele nicht, dass sie einen rechtlichen Anspruch auf Teilzeit haben.
Wie finanzieren sie sich ihren Lebensunterhalt?
Ich lebe von meinen Ideen, indem ich sie zu Büchern und Vorträgen mache. Und ich senke meine Lebenshaltungskosten, ohne den Lebensstandard zu senken. Das macht unabhängiger. Ich verbringe mehr Zeit mit Menschen die mir nahe stehen. Ich habe den Kopf frei für Dinge, die mich interessieren. Ich bilde mich weiter, lerne Sprachen, Yoga und anderes.
Könnten sie sich vorstellen wieder in ihren alten Beruf einzusteigen?
In fünf Jahren mache ich, worauf ich dann Lust habe. Ich denke nicht bei allem in der Kategorie „einmalige Lebensentscheidung“, das macht unglaublich gelassen.
Wen wollen sie mit ihrem Buch ansprechen?
Diejenigen, die sich fragen, was es sonst noch im Leben geben könnte außer der Arbeit. Das gilt für alle Altersstufen, auch schon für Berufsanfänger.
Wann sollte man aussteigen? Generell oder nur bei akuter Unzufriedenheit?
Aussteigen sollte nur, wer weiß, was er ohne Arbeit machen will. Aussteigen ist etwas für Leute, die ihr Leben größer machen wollen und nicht kleiner. Es macht nicht per se glücklich zu arbeiten oder nicht zu arbeiten, es geht um den freien Willen. So wie manche Leute unfreiwillig ohne Arbeit sind, so gehen jeden Tag Millionen unfreiwillig zur Arbeit. Beides macht unglücklich.
Was ist die Voraussetzung für einen gelungenen Ausstieg?
Ich habe 25 völlig unterschiedliche Strategien entwickelt: Das fängt mit einfachen Tipps an, die Arbeitszeit im bestehenden Beruf konsequent zu reduzieren. Für die Klassiker wie Lotto spielen oder reich heiraten habe ich Erfolgsregeln ausfindig gemacht. Man kann sich auch selbst outsourcen, indem man dem Arbeitgeber seine bisherige Arbeit selbstständig anbietet und sich dann von anderen zuarbeiten lässt. Man kann einen Generationenvertrag mit den eigenen Kindern schließen oder von seinen Ideen leben, indem man sie zu Büchern oder Patenten macht. Dafür gebe ich Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Sich von unnötigen Ausgaben befreien, sich nicht von überteuerten Möbeln oder Klamotten ins Hamsterrad treiben lassen oder vom Eigenheim mit seinen monatlichen Raten. Die billigsten Orte der Welt gehören übrigens oft zu den schönsten.
Herr Kitz, vielen Dank für ihre freie Zeit und das Interview.