"‘Sie können doch nicht ernsthaft vier Stunden Kinderprogramm ohne Pause zeigen wollen. Die Kinder müssen doch mal raus zum Spielen‘. Ja, in der Tat, eine Pause hatten wir bei bim bam bino, dem Kinderprogramm von Tele5 eigentlich nicht vorgesehen und so musste ich mich als junger Programmdirektor vor den Mitgliedern des Medienrats für pausenfreies Senden rechtfertigen. Dabei waren wir eigentlich stolz darauf, die längste Cartoon-Strecke im deutschen Fernsehen zu zeigen. Das gab’s lange vor Super RTL so noch nicht.

Überhaupt war es wichtig anders zu sein, vor allem anders als die Öffentlich-Rechtlichen. Wir wollten schließlich das Rad neu erfinden. Jede Idee war da erst mal gut. Quoten waren uns damals herzlich egal. Presse, auch schlechte Presse war wichtig. Unsere Nachrichtenredaktion waren Studenten aus der Uni München, keine 200 Meter vom Sender in der Schellingstraße, auch Villa Kunterbunt genannt. Denen gelang sogar eine kleine Sensation: 1991, Irakkrieg, 1. Bombennacht in Bagdad, Peter Arnett von CNN berichtet live, spektakuläre Bilder. Mehr oder weniger zufällig hatte ich ein paar Wochen davor einen Exklusivdeal mit meinem MIP-Freund Howard Karshan vom damals noch unbekannten CNN für unsere neue News-Redaktion gemacht. So waren wir die ersten mit Live-Bildern aus Bagdad. Jungredakteuer Christoph Teuner sprach am besten englisch von allen und so moderierte er mehr als fünf Stunden nonstop live und übersetzte Peter Arnett simultan. An dem Tag übernahmen die anderen Privaten RTL und Sat1 sogar unser Sendesignal. Sie hatten nämlich keine Live-Bilder. Da waren wir die Helden, zumindest für einen Tag.

An anderen Tagen waren wir leider auch mal die Deppen; etwa als wir in der 'Sexy Night' die "Geschichte der O." ausstrahlen wollten und - oha – der Film war damals aber auf dem Index und uns wurde kurz vorher die Ausstrahlung verboten. Was ist bitte ein Index? Daher sendeten wir eben stattdessen eine Index-Diskussionsrunde mit dem Medienanwalt Kreile, Roberto Blanco (warum der, weiß ich nicht mehr) und zwei Playboy-Bunnies, übrigens moderiert von Sandra Maischberger. Ende 1992 war dann Schluss. Leo Kirch wurde der Sender zu stark und eine Bedrohung für ProSieben (!) und so hat er ihn gekauft und zum Deutschen Sport Fernsehen umwandeln lassen. Blöderweise hatte er die Namensrechte an Tele5 nur für zehn Jahre gesichert und nicht verlängert. So konnte Tele5 am 28.4.2002 erneut on air gehen und sendet bis heute. Damals waren wir wieder mal die Helden, zumindest für einen Tag."

Jürgen Doetz, ehemals Sat.1-Chef, drückte 1984 das Knöpfchen für den Start des Privatfernsehens:

"Start des ersten privaten Fernsehsenders in Deutschland – aus Ludwigshafen, der Bruchwiesenstraße, ein Gebäude zwischen Friedhof und Schlachthof- egal, wir fieberten dem 1.1.1984 entgegen. Einerseits standen wir monatelang im Zentrum einer gesellschaftspoltischen Diskussion über die vorhersehbaren Schäden für die Familien und hier besonders die Kinder, ja für unsere gesamte Gesellschaft durch dieses Privatfernsehen – damals lief das unter 'Kabelfernsehen', andererseits kämpften wir gegen den Kalender. Das Studio war fertig, aber zwei Monate vor dem Start noch ohne die, ab dem 1.1.84 Programm ins Kabel bringen sollten – sowohl in der Technik aus auch in der Moderation. Wichtige Unterstützung kam aus München – Thomas Kirch, der Sohn vom Big Boss, kam mit einer Handvoll Technikern für einige Monate nach Ludwigshafen und brachte den Laden zum Laufen – und mit Irene Joest, einer arbeitslosen Junglehrerin, war drei Wochen vor dem Start auch die erste Moderatorin gefunden. Mit den seinerzeit modischen langen Haaren begrüßte ich dann am Neujahrmorgen unsere Zuschauer – in potentiell 1.800 Haushalten – aber dank der Kameras von ARD und ZDF, die über den Start ausführlich berichteten, gab es doch eine ordentliche Resonanz auf den 'Urknall'. Öffentlich-rechtlich war auch der erste Programmtag – gestartet mit der Feuerwerksmusik von Händel, ein paar harmlosen (schon bekannten Serien), einem Belmondo als abendlichem Höhepunkt – und nochmal Klassik. Und zum Schluss die Nationalhymne. Der Untergang des Abendlandes war zunächst mal erkennbar abgewendet.

Pannen gab es zunächst immer wieder im Programmablauf, etwa wenn die aus München aus dem Speicher von Leo Kirch angelieferten Serien und Spielfilme eine kürzere Sendelänge hatten als schriftlich vorgemerkt. Ab zehn Minuten Differenz gab es von mir moderierte Talkshows – es kamen ja rechtlich Besucher in die Sendezentrale in Ludwigshafen, die dann interviewt wurden – für alle Fälle. Improvisieren war großgeschrieben – auch bei den Kollegen der 'FAZ' in Frankfurt, von wo aus zweimal am Abend die Nachrichten nach Ludwigshafen überspielt wurden und das 'Pannenband' mit Beiträgen aus den 'FAZ'-Nachrichten wurde zum liebenswerten Highlight.

Ja, die Konkurrenz – einen Tag nach uns war RTL plus terrestrisch aus Luxemburg gestartet, und der Name RTL war allen ja von Hörfunk bekannt. Dagegen PKS, Sat.1. Nun, wir hatten dafür richtiges Programm und sollten erst viel später merken, welche Vorteile es haben kann, improvisieren zu müssen und sich nicht aus einem üppig gefüllten Münchener Keller bedienen zu können. Werbekunden? Sehr bescheiden, dank Proctor& Gamble waren es schließlich 900.000 Mark (!) im ersten Jahr – die Spots liefen erkennbar unter der Rubrik 'Zum Angewöhnen'. Und eine Nachtruhe fürs Programm gab es damals auch noch. Uns allen war damals bewusst, dass wir eine Chance hatten, die Fernsehlandschaft zu verändern, einmal ein 'Großer' zu werden. Wir haben daran geglaubt. Wir mussten raus aus Ludwigshafen – der Kampf um die technische Reichweite auf dem Weg zu einem nationalen Sender hatte Priorität, mit einem Programm, das möglichst vielen gefallen musste, aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass irgendjemand in dieser Gründerzeit eine Vorstellung davon hatte, wie schnell die Privaten erfolgreich sein würden."

Peter Bachér, selbst ein paar Jahre älter als das Fernsehen, war bis 1992 Herausgeber der Programmzeitschrift "Hörzu": 

An welches Fernseh-Ereignis denken Sie gerne zurück?

An den Start der US-Serie "Dallas" - eine neue Erzählform, bei der schon bei der ersten Folge für mich klar war: Hier bahnt sich ein Welterfolg an.

Was vermissen Sie heute im Fernsehen?

Was ich vermisse ist ein Kanal, in dem die Höhepunkte aus 80 Jahren Fernsehen nochmal gezeigt werden - von der Politik (z.B. große spannende Bundestagsdebatten - die gab es früher mal!) bis zur Unterhaltung (die "Peter Alexander Show" zum Beispiel oder das "Pariser Journal" von Georg Stefan Troller). 

Was ist heute besser?

Die Informationsdichte bei ARD und ZDF sowie die Auslands-Berichterstattung. 

Was ist zu Recht wieder aus dem Fernsehen verschwunden?

Zu Recht verschwunden ist gar nichts, weil alle Sendungen zu ihrer Zeit ihre Funktion erfüllten. Was leider nicht verschwunden ist: die z.T. brutale überbordende Reklame, die sich Werbung nennt. Am liebsten ist das Fernsehen für mich immer dann, wenn es erfüllt, was sein Name verspricht - Zu Hause sehen, was in der Ferne geschieht - Olympia und Fußball sind nur zwei Beispiele. 


Franziska Mozart
Autor: Franziska Mozart

Sie arbeitet als freie Journalistin für die W&V. Sie hat hier angefangen im Digital-Ressort, als es so etwas noch gab, weil Digital eigenständig gedacht wurde. Heute, wo irgendwie jedes Thema eine digitale Komponente hat, interessiert sie sich für neue Technologien und wie diese in ein Gesamtkonzept passen.