Hat der NDR dieses Mal Vorkehrungen geschaffen, dass sich so ein Vorfall wie mit Andreas Kümmert vor einem Jahr nicht wiederholt?

Ja.

Welche?

Wir haben sehr ausführliche und intensive Gespräche mit Künstlern, Managements und Plattenfirmen geführt und verschiedene Vereinbarungen getroffen. Nach unserer Entscheidung am 22. Dezember für die zehn Teilnehmer haben wir uns dafür drei Wochen Zeit genommen - die mit allen abgestimmte und verbindliche Pressemeldung, wer am Vorentscheid teilnimmt, haben wir dann am 12. Januar herausgegeben.

Was geben Ihnen die Kandidaten 2016 für eine Hoffnung, die Ann Sophie nicht erfüllen konnte?

Wir haben eine überzeugende musikalische Bandbreite mit Künstlern, die Wärme, Empathie und Überzeugungskraft auf den Fernsehschirm bringen.

Zur Zukunft: Der Wirbel um die Nominierung von Xavier Naidoo hat Spuren hinterlassen. Werden Sie künftig auf Nummer sicher gehen und nicht wieder einen Nominierungs-Alleingang mit einem Kandidaten riskieren?

Wir werden Jahr für Jahr überlegen, wie wir den deutschen Vorentscheid weiterentwickeln. Die musikalische Bandbreite des Teilnehmerfeldes 2016 lässt mich für 2017 optimistisch sein.

Seit dem ersten Eurovision Song Contest (ESC) 1956 - früher noch bekannt als Grand Prix Eurovision de la Chanson - sind fast jedes Jahr deutsche Interpreten dabei gewesen.

Die erfolgreichsten deutschen Teilnehmer:

- 1982 holte Nicole den Sieg im englischen Harrogate mit "Ein bisschen Frieden", zum ersten Mal für deutsche Teilnehmer

- 2010 sammelte Lena beim Finale in Oslo mit "Satellite" die meisten Punkte ein

Jeweils zweite Plätze belegten:

- 1987 Wind mit "Lass die Sonne in Dein Herz" in Brüssel

- 1985 Wind mit "Für alle" in Göteborg

- 1981 Lena Valaitis mit "Johnny Blue" in Dublin

- 1980 Katja Ebstein mit "Theater" in Den Haag

Die erfolglosesten deutschen Teilnehmer:

- 2015 landete Ann Sophie mit "Black Smoke" in Wien mit null Punkten auf dem letzten Platz

- 1965 Ulla Wiesner bekam mit "Paradies, wo bist du?" in Neapel null Punkte

- 1964 Nora Nova mit "Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne" in Kopenhagen, null Punkte

- 1995 Stone & Stone mit "Verliebt in Dich" schafften in Dublin einen Punkt

- 1974 Cindy & Bert mit "Die Sommermelodie" in Brighton: drei Punkte

- 2005 Gracia mit "Run & Hide" in Kiew, vier Punkte

Das Kandidatenfeld ist bunt gemischt. Auf eine selbst gewählte Zuspitzung auf einen einzelnen Künstler folgt die große Vielfalt. Die Vorauswahl haben nach Angaben des NDR Vertreter der jungen ARD-Radios, des NDR, der Musikbranche und der Produktionsfirma Brainpool getroffen. Per Zuschauer-Abstimmung soll das Zehnerfeld auf drei Musiker und Bands verkleinert werden. Aus diesem Trio wird dann noch mal der Gewinner gewählt.

Diese Kandidaten 2016 und ihre Lieder kämpfen am 25. Februar um den deutschen Platz beim ESC:

Alex Diehl: Bayerischer Singer-Songwriter, der mit seinem Beitrag "Nur ein Lied" in guter deutscher ESC-Friedenslied-Tradition steht - man erinnere sich an Nicole ("Ein bisschen Frieden"). Diehl schrieb das Lied im Eindruck des Terrors von Paris. Auf Facebook war es ein Hit und per Online-Petition forderten Fans: Schickt Diehl zum ESC.

Avantasia: Rock-Projekt um den in Metal-Kreisen bekannten Musiker Tobias Sammet ("Edguy"). Das Lied "Mystery Of A Blood Red Rose" erinnert weniger an die finnischen ESC-Gewinner und Hardrocker von Lordi, eher an opulente Rock-Arien der 80er. Sammet spricht selbst von einem "Rock-Opern-Konzept" und tourt bereits international.

Ella Endlich: Lässt die Schlager-Tradition beim ESC aufleben - in der gerade modernen Helene-Fischer-Variante. Mit "Küss mich, halt mich, lieb mich" hatte sie 2009 einen kleinen Hit. Vater Norbert ist Produzent und Komponist. Nun singt sie in "Adrenalin": "Nimm mich mit, nimm mich mit, nach nirgendwo" - und will damit nach Stockholm.

Gregorian: Mittelalter-Projekt des Hamburger Musikproduzenten Frank Peterson, bei dem die Sänger Mönchskutten tragen. Im Song "Masters Of Chant" trifft gregorianischer Gesang auf Pop-Musik. Dürfte mit Blick auf den Stil sehr herausstechen und erinnert ein wenig an "Conquest of Paradise", zu dem einst Henry Maske einzog. Die Mönche haben seit den 90ern etliche Platten veröffentlicht und viele Cover-Versionen vertont.

Jamie-Lee Kriewitz: Die Schülerin aus der Nähe von Hannover hat bereits gute Erfahrungen mit Publikums-Abstimmungen gemacht - sie gewann die Show "The Voice of Germany" von ProSiebenSat.1. Outfit und Show sind inspiriert vom asiatischen Manga-Stil, das Lied "Ghost" war schon in den Charts und ist modern produzierter Pop.

Joco: Die Schwestern Josepha und Cosima Carl sind bislang eher Insidern bekannt. Sie machen mit dem Lied "Full Moon" Indie-Pop der anspruchsvolleren Sorte. Die Schwestern aus Hamburg gelten als große Talente - ein Stipendium erlaubte es ihnen jüngst, ihr Album in die berühmten Abbey Road Studios in London einzuspielen.

Keøma: Die australische Sängerin Kat Frankie und der Kölner Rockmusiker Chris Klopfer machen mit "Protected" elegischen Indie-Pop mit ein bisschen Wehmut. Die beiden haben erst kürzlich ihr ersten Album zusammen aufgenommen. Frankie könnte Fans von "Schulz & Böhmermann" bekannt vorkommen - für die Show sang sie den Soundtrack.

Luxuslärm: Die westfälische Band ist bereits bei Stefan Raabs ESC-Variante "Bundesvision Song Contest" ins Rennen gegangen und auf Platz vier gelandet. Nun soll es mit der Deutsch-Pop-Nummer "Solange Liebe in mir wohnt" etwas mehr werden. Dreh- und Angelpunkt ist Frontfrau Jini Meyer.

Woods Of Birnam: Den Namen seiner Band hat Sänger Christian Friedel von Shakespeares "Macbeth" abgeleitet - er ist eben Schauspieler durch und durch ("Das weiße Band"). Als Musiker schart er Ex-Mitglieder der Band Polarkreis 18 um sich. Wer das weiß, hört in "Lift Me Up" etwas von dem Sound des Polarkreis-Hits "Allein Allein".

Laura Pinski: Sie ist das Rückkehrticket von Ralph Siegel auf die deutsche ESC-Bühne. Ihr Lied "Under The Sun We Are One" stammt aus der Feder des ewigen ESC-Komponisten. Pinski selbst wurde als Finalistin der RTL-Show "Das Supertalent" bekannt. Neben ihrer Show-Karriere studiert die Düsseldorferin mittlerweile Jura.

Ralph Siegel darf also noch mal träumen. Der mittlerweile 70-Jährige war 1982 mit Nicole und "Ein bisschen Frieden" erfolgreich. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agenturerklärt er, warum er endlich wieder antritt. 

Herr Siegel, haben Sie selbst einen Überblick, wie oft Sie versucht haben, den ESC zu gewinnen?

Es ist mir einmal gelungen. Dreimal habe ich den zweiten, zweimal den dritten und zweimal den vierten Platz gemacht. Einmal ist es auch furchtbar daneben gegangen, mit der armen Corinna May. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft ich ein ESC-Lied komponiert habe. Früher - als man die Titel noch anonym bei einer Jury einreichte - habe ich jedes Jahr acht bis zehn Lieder für den ESC geschrieben.

Sie sind im vergangenen Jahr 70 Jahre alt geworden. Andere Leute setzen sich zur Ruhe - sie schreiben weiter und wollen zum ESC. Woher kommt dieser Antrieb?

Es ist mein Beruf, es hält mich am Leben. Komponisten, Dichter, Denker, Maler, Kreative - die hören nicht auf. Ich hatte zweimal schweren Krebs. Die Musik hat mich immer wieder nach oben gezogen. Man muss Ziele haben, gerade wenn es einem nicht gut geht. Zudem will ich Deutschland vertreten - und zwar gut, wie ich das schon oft gemacht habe.

Was passiert, wenn Sie wirklich nach Stockholm fahren - oder gar gewinnen?

Ich mache es doch nicht, um Siebter oder Achter zu werden. Ich habe den Traum, noch mal eine gute Platzierung für Deutschland zu holen. Dürfte ich noch mal für Deutschland starten, wäre es das 25. Mal. Das wäre dann aber sicherlich auch mein letztes Mal.

Die ARD zeigt den Vorentscheid "Eurovision Song Contest 2016 - Unser Lied für Stockholm" am 25. Februar um 20.15. Uhr. Moderieren wird Barbara Schöneberger.