Aber: Geht nicht, gibt’s nicht! Zeit für "Mission: Impossible". In der Hauptrolle: meine alte Chefin Ulla.

Dazu muss man wissen, dass ich in den letzten Jahren vor meinem Abitur als Obst- und Gemüseverkäufer am Stand eines hessischen Wochenmarktes gearbeitet habe. Dieser Stand war nicht ohne Grund der Größte und bestfrequentierte des gesamten Marktes. Meine Chefin verfügte über diverse Verkaufstricks und Kniffe und spielte damit so virtuos, dass sie in der realen Welt die komplette Klaviatur der virtuellen Digitalwerbung abbildete – bis heute.

Also, was können wir von Ulla lernen?

These 1

Ohne Grundrauschen geht nichts! Hier kam Ullas besondere Stimme zum Einsatz. Spätestens ab 10 Uhr pries sie mit diesem durch Mark und Bein gehenden Organ lauter als jeder andere auf dem Markt Erdbeeren, Spargel oder Trauben an. In der Logik von Digitalwerbung ist diese Maßnahme wohl am ehesten mit einem digitalen Display zu vergleichen: Kontinuierlich, produktbezogen und – abhängig von der Kontaktfrequenz – auch mit einem gewissen Nervfaktor.
Aber: Gemessen an der Zahl der Menschen, die daraufhin an Ullas Stand Spargel und Erdbeeren kauften, eine ausgesprochen wirkungsvolle Kombi aus Lautstärke und Werbedruck.

These 2

Mehr Aufmerksamkeit durch Überraschung! Ulla hatte ein Faible für opulente Inszenierungen: Je nach Jahreszeit wurde der Stand unterschiedlich dekoriert und wir als Verkäuferteam gleich mit. Keine Weihnachtszeit ohne blinkende Lichterketten, "Last Christmas"-Gedudel und Santa-Claus-Mützen auf den Köpfen aller Verkäufer – aus Digital-Logik wohl am ehesten mit einem Ad-Special oder Homepage-Event vergleichbar. Damit waren uns nicht nur maximale Aufmerksamkeit und der eine oder andere dumme Spruch sicher, sondern auch eine klingende Kasse und fette Trinkgelder.

These 3

Subtile Verführung als Wirkung-Booster! Da gab es noch die ausgeklügelten Abverkaufsbeschleuniger, mit denen Ulla schon damals das tat, was heute als Native Advertising überall ein Thema ist. So wurden zur Erdbeerzeit am Stand frische Waffeln mit selbst gemachtem Erdbeerkompott plus dazugehörigem Rezept mit allen Mengenangaben serviert – der Renner bei allen hessischen Schleckermäulern und ein zuverlässiger Turbo für den Verkauf. Beim Ködern der Feinschmecker erwies sich Ulla im Laufe der Zeit auch als echter Hipster – ihr aktueller Verkaufsschlager sind grüne Detox-Smoothies mit Rezept und bereits vorgepackten Zutaten.
Targeting und Datamanagement beherrscht Ulla übrigens ebenfalls. Für Stammkunden gibt es auch schon mal den ganz speziellen Smoothie mit individualisierten Zutaten. Und dreifach Kundenbindung dazu.

Ulla, der übrigens digitales Marketing bis heute völlig wurscht ist, hat also schon vor 20 Jahren sehr erfolgreich alle grundsätzlichen Mechaniken digitaler Kommunikation angewendet. Sie wusste instinktiv, dass sich auf dem hessischen Markt sehr unterschiedliche Zielgruppen befanden und sie nur den jeweils passenden Ton treffen musste, um sie am Ende alle als Kunden zu kriegen. Bis heute schwört sie auf ihr kommunikatives Arsenal und schlägt damit sowohl vor als auch hinter dem Stand alle in den Bann. Und was für Ulla und ihren Marktstand gilt, gilt für jeden Marketingverantwortlichen, der sein Produkt verkaufen will: Der richtige Format-Mix ist entscheidend für eine erfolgreiche Kommunikation.

Das lebensnahe Marktbeispiel mit Ulla hat bislang übrigens auch die härtesten Fronten aus den eingangs erwähnten Kundendiskussionen überwunden. Dann darf das Display- Ad für das nötige Grundrauschen sorgen, auf dem das Ad-Special seine aufmerksamkeitsstarken Akzente setzen kann und das Native Ad für eine inhaltliche Vertiefung des Themas sorgt. Mission completed.

Weil alles seine Funktion hat und im Kampf um Aufmerksamkeit dringend gebraucht wird – marktschreierische Formate genauso wie aufmerksamkeitsstarkes Bling-Bling oder subtile Verführung durch überzeugen- de Inhalte. Und ja: Wir sprechen heute intensiver über Native-Lösungen, weil die Lautstärke aller Marktschreier auf dem digitalen Markt Jahr für Jahr zugenommen hat. Die Konsequenz: Immer lauter schreien ist irgendwann nicht mehr möglich. Um die Aufmerksamkeit der Nutzer zu erhalten, ist Balance gefragt: Neben dem lautstarken Trommeln braucht man auch leise daherkommende Themen, die das Interesse des Kunden wecken.

Aber worin liegt nun das Geheimnis gut gemachter Native Ads – ist es ihre Subtilität, mit der sie sich in Stil und Optik der jeweiligen Werbeplattform anpassen? Diese Einbindung ist zwar charakteristisch für Native Ads, entscheidend für die volle Entfaltung ihrer Kraft ist aber die Kampagnenarchitektur insgesamt. Deshalb:

Fakt 1

Achten Sie auf die Dosierung – wer nur noch auf Native Advertising setzt, weil das in Zeiten von Adblockern zur Vermeidung nerviger Banner als unabdingbarer Kurswechsel gepriesen wird, schwächt die Kraft seiner nativen Inhalte. Subtile Informationsvermittlung braucht parallel auch immer Aufmerksamkeitsverstärker für den Absender der Botschaft.

Fakt 2

Bieten Sie mit Ihren Native Ads intelligente Inhalte mit echtem Nutzwert für den Nutzer, aber machen Sie sich dabei klar, dass es einen Grund dafür gibt, warum es Medien und Markenartikler gibt. Klar: Wenn werbende Marke, werbetragendes Medium und Thema des Native Ads gut zusammenpassen, entsteht relevanter Content, der gerne gelesen wird. Aber: Guter nativer Content ist eben kein Inhalt, der jeden einzelnen Vorteil Ihres Produkts in der Vordergrund stellt, es geht vielmehr darum, eine zu Ihrer Marke passende Geschichte zu erzählen. Deshalb: Seien Sie behutsam und nehmen Sie sich Zeit! Guter nativer Content entsteht nicht in drei Minuten zwischen zwei Meetings, sondern braucht inhaltliche Exzellenz und Storytelling-Fähigkeiten. Es geht darum, mit Empathie und Fingerspitzengefühl zu erspüren, was einen Nutzer interessiert. Gutes Native Advertising ist wie ein erstes Date: Sprechen Sie nur über sich und Ihr Produkt, wird es wohl kein weiteres Date geben.

Fakt 3

Überlassen Sie den Erfolg nicht dem Zufall: Auch guter nativer Content braucht eine permanente Optimierung durch moderne Content-Management-Systeme. Wie bei jedem anderen redaktionellen Artikel wird dabei fortlaufend gecheckt, ob der Artikel klickt oder eben nicht. Durch A/B-Testings lässt sich darüber hinaus erkennen, ob eine andere Headline oder ein anderes Bild ein noch besseres Ergebnis bringen würde.

Fakt 4

Und denken Sie daran: Menschen lassen sich gerne subtil verführen, aber ungern offensichtlich in die Irre führen. Sprich: Native Ads sollten immer klar als Werbung gekennzeichnet werden, damit deutlich ist, was redaktioneller und was werblicher Inhalt ist. User hinter die Fichte führen zu wollen, ist sehr gefährlich. Sie sind immer schlauer als erwartet und ihre Reaktanzen werden ganz fürchterlich sein. Also Finger weg von Täuschungen, die zudem völlig unnötig sind. Denn guter Content wird gut geklickt – auch wenn "Anzeige" drübersteht.

Fakt 5

Aber vor allem: Lassen Sie sich nicht einreden, dass Native Advertising das universelle Allheilmittel und die neue Weltformel ist. So lange Menschen Individuen und keine gleichgeschalteten Roboter sind, bedarf es auch einer individuellen und maßgeschneiderten Kommunikation mit einem intelligenten Format-Mix – zumindest, wenn Sie mit Ihrem Angebot erfolgreich alle potenziellen Kunden auf dem Markt erreichen wollen. So wie meine alte Chefin Ulla!

Der Gastbeitrag von Frank Vogel ist erschienen in W&V, Ausgabe 23/2016 (EVT 6.6.2016). Kein Abo? Hier entlang!


Autor: W&V Gastautor:in

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