
Rezension:
Warum Bettina Wulff lieber Matthias Onken nehmen sollte
Burn-out bei "Bild" und ein denkbares neues Buchprojekt für Bettina Wulff: Was das alles miteinander zu tun hat, erklärt W&V-Redakteur Frank Zimmer in einer Rezension von Matthias Onkens Branchen-Beichte "Bis nichts mehr ging".
"Sex, Drogen und Burn-out": Die Skandal-Beichte des "Bild"-Chefs". So in etwa kann man sich die Headline vorstellen, mit der Boulevard-Mann Matthias Onken noch vor zwei Jahren auf ein Buch wie "Bis nichts mehr ging" reagiert hätte. Onken war damals 38 Jahre, Redaktionsleiter von "Bild" Hamburg und galt als einer der talentiertesten Blattmacher Deutschlands. Aber "Bis nichts mehr ging" ist seine eigene Geschichte. Onken erzählt auf 176 Taschenbuchseiten von einer schnellen Medienkarriere und ihren Nebenwirkungen: Dauerstress, Versagensängste, Beziehungskrisen, Alkohol-Abstürze und das, was er "ein Näschen ziehen" nennt. Dabei hatte scheinbar alles so gut angefangen. In nur wenigen Jahren arbeitete sich der bekennende Nicht-Akademiker vom Volontär in Pinneberg zum Ressortleiter der "Hamburger Morgenpost" hoch, wurde ihr Chefredakteur und konnte es sich leisten, seinem damaligen Geschäftsführer Josef Depenbrock den Job vor die Füße zu werfen.
Das alles klingt nach einer melodramatische Burn-out-Biografie. Ist es aber nicht. Und es auch kein Enthüllungsbuch aus den Innereien des Axel-Springer-Konzerns, den Onken genau so unspektakulär beschreibt, wie er wahrscheinlich auch ist. Mit handelsüblichen Hierarchien ("Chefs und Chef-Chefs"), langen und glitschigen Entscheidungswegen und einem jovial-dominanten Kai Diekmann, den alle nur "Der Herausgeber" nennen. Was Onken zu erzählen hat, ist heikel, aber an keiner Stelle peinlich. Der Hamburger hat sich dafür entschieden, in seinem Buch niemanden bloß zu stellen außer sich selbst. Ein souveränes Konzept, das er mit klarer, präziser und manchmal auch witziger Schreibe durchgezogen hat. Aus aktuellem Anlass wünscht man sich noch viel mehr Onken, aber das greift schon der Schlusspointe vor (Also weiterlesen!).
Zurück zum Buch: Ein bisschen liest es sich so, als hätte Kai Diekmann einen Text von Udo Lindenberg redigiert. Wir wissen zugegebenermaßen nicht, wie authentisch das alles ist, denn Onken hat ja nur die Arbeitsumgebung und nicht die Branche gewechselt. Als unabhängiger Kommunikationsberater ("Matthias Onken Media") bleibt der heute 42-Jährige natürlich Medienprofi. Uneingeschränkt massentauglich sind die Passagen über den allgemeinen Büro-Alltag. Man muss nicht burn-out-gefährdet sein, um sich in Sätzen wiederzufinden wie
"Der, der am wenigsten zu verkaufen hat, redet am längsten...Glaubt der, ich merke das nicht?"
oder
"Jeder glaubt, es sei sein Erfolg. Sind die Zahlen schlecht, ist der andere Schuld".
Jeder hat so etwas schon mal in irgendeinem Job erlebt. (Die meisten erleben es wahrscheinlich in jedem Job). Sonderbarer aber darum noch eindrucksvoller ist die Schilderung seiner allmorgentlichen Aufzugsfahrt im Hamburger Springer-Hochhaus, kurz nachdem "der dunkle Garagenschlund unten im Verlag, der einem Betonmonster gleicht", seinem Dienst-BMW "verschluckt" hat. Für Onken war es damals "die erste und die ekligste Menschennähe des Tages" und spätestens an dieser Stelle läuft er zu popliterarischer Hochform auf:
"Ich hasse es, spießige Männer-Rucksäcke in die Seite gedrückt zu bekommen. Ich hasse Aufzugs-Sprech, ich hasse es, stinkende Ei-Brötchen vors Gesicht gehalten zu bekommen......Am meisten hasse ich die zwei Quatsch-Elsen, die im ersten Stock ein- und im zweiten wieder aussteigen".
Nebenbei erfährt man auch noch einiges über die Branche, zum Beispiel über Josef Depenbrock, Onkens Vorgänger als Chefredakteur der "Hamburger Morgenpost" und späteren Geschäftsführer, an dem der "Stress abperlt, wie von frisch poliertem Autolack", über die "Heuschrecke" David Montgomery ("Ein zierliches Kerlchen, verschlagen und kompromisslos") und auch über das damalige Betriebsklima in der "Morgenpost"-Redaktion ("Auf der Bundeskegelbahn im Keller habe ich nie jemanden kegeln, aber zweimal Kollegen auf Kolleginnen liegen sehen"). Lust, Networking und die Verbindung von beidem sind ohnehin häufige Themen in Onkens Buch ("In Hamburgs gehobenen Kreisen enden offizielle Veranstaltungen manchmal mit einem Puffbesuch in kleiner Herrenrunde. Das schafft Vertrauen").
Anfang 2011 hat Onken die Notbremse gezogen und bei Kai Diekmann gekündigt. Jetzt arbeitet er frei und fühlt sich auch so. Matthias Onken Media berät Hamburger Promis wie den Schauspieler Marek Erhardt und den HSV-Spieler Dennis Aogo und unterstützt mit Kolle Rebbe und Achtung namhafte Agenturen der Hansestadt. Man wünscht ihm und uns allen, dass er demnächst auch für die frisch getrennte Bettina Wulff tätig werden darf. Nicht, dass es irgendein Anzeichen dafür gäbe, aber beim Lesen von "Bis nichts mehr ging" kam schnell die Frage auf: Warum hat sie nicht jemanden wie Onken ihr Buch "Jenseits des Protokolls" schreiben lassen? Es wäre unendlich weniger peinlich geworden und Bettina Wulff hätte sich und ihrer Familie viel erspart. Also: Falls sie als mutmaßlich künftige Ex-Frau des Ex-Bundespräsidenten literarisch noch einmal nachlegen möchte, dann nimmt sie hoffentlich Onken.