Was war denn bei den amerikanischen Unternehmen so anders?

Es ist die ganze Haltung bei der Produktentwicklung und das Feingefühl, Dinge schön aufzubauen. Ich wusste, dass ich bei der Produktentwicklung in den USA Exzellenz finde. Und vor allem war es auch der Spirit.

Wie macht der sich denn bemerkbar?

Es ist diese Förderung, die Unterstützung, dieses Mut-Zusprechen. Man erfährt Reaktionen wie „Dein Ziel ist schon recht gut, aber jetzt denk noch ein bisschen größer, the sky is the limit“. Das habe ich bereits bei Google erlebt, sowohl von meinen amerikanischen Chefs als auch den Kunden, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Da lernt man schnell, dass man die Dinge auch viel größer angehen kann, dass es oftmals nur eine Frage der Perspektive ist. Man kann bei jedem Projekt am Anfang sofort eine Barriere einbauen und sagen „höher nicht“. Wenn ich das am Anfang mache, wird alles, was dann kommt, jede Aktion, mit dieser Grenze im Kopf durchgeführt. Das habe ich in Deutschland in der Anfangsphase so erlebt.

In welcher Form?

Ich bin auf viele Vorbehalte gestoßen. Das kann schnell runterziehen. Und die ersten Produkte sahen ja auch nicht besonders gut aus. Da kam sofort „Damit willst du loslegen?“ und „Das benutzt doch keiner“ etc. Dann habe ich eben doch zwei Investoren gefunden, die gesagt haben, „Mach es, dann lernst du etwas dabei und schaffst vielleicht etwas richtig Großes“.  

Wie lief denn konkret der Schritt in die USA ab?

Auf der To-do-Liste standen erst mal „Firmengründung“, „Visum“, „Office“ und „Team“. Das waren die wichtigsten Dinge am Anfang. Natürlich gibt es auch privat einiges zu regeln, man muss schließlich eine Wohnung finden.

Gab es dabei keine Probleme?

Jede Menge. Nur wurden alle Probleme gut gelöst. Ich hatte einen Business-Plan, und zusammen mit den Investoren haben wir die Summe definiert. So wurde klar, dass wir 530.000 Dollar brauchen. Dieser Plan war für etwa ein Jahr ausgelegt. Und nach einem Jahr, so war der Gedanke, werden wir gelauncht haben, können erste Nutzerzahlen ausweisen und machen eine Serie-A, also eine große Investment-Runde, damit wir Wachstum erzielen können. Dann habe ich mich in den Flieger gesetzt, um die ersten Dinge durchzuführen: Firmengründung, Visum, Office. Bei der Firmengründung hat mir eine Anwaltskanzlei von Deutsch-Amerikanern geholfen.  

Und das Office?

Das war unglaublich: Ich bin direkt vom Flughafen hierhin zum South Park gefahren, weil ich gelesen hatte, dass dies das Zentrum für die Tech-Branche in San Francisco sei. Hier saß früher Instagram, hier wurde Twitter gegründet und hier sitzt auch die Redaktion von Wired. In der Neighborhood gibt es über 150 Tech-Start-ups. Ich hatte zwar zuvor schon Termine mit Maklern verabredet, aber die Office-Preise waren gigantisch. Als ich aus dem Wagen ausstieg, sah ich ein Schild „Office zu vermieten“. Ich bin natürlich gleich hineingegangen. Da hieß es allerdings, es sei schon vergeben. Ich kam aber mit dem Vermieter ins Gespräch und er fragte mich, was ich mache. Ich habe ihn meine Geschichte erzählt und irgendwann zeigte er mir das Büro trotzdem. Es wäre einfach ideal gewesen. Zum Schluss meinte der Vermieter, er überlege es sich noch einmal. Und dann habe ich es tatsächlich bekommen. 

Und wie lief das mit dem Visum?

In unserem Fall ist es ein Investoren-Visum, weil wir die Schwelle des Foreign Direct Investment knapp überschritten haben. Das ist ein recht starkes Visum.

Wie lange haben sich die organisatorischen Angelegenheiten hingezogen?

Etwa drei Monate. Das war natürlich verlorene Zeit. Außerdem investiert man sehr viel Energie.

Wie ging es dann weiter?

Es folgte die erste Produktentwicklungsphase und damit kamen die eigentlich größten Hürden. Nach drei, vier Monaten haben wir entschieden, neben der Website zusätzlich eine App zu bauen. Wir haben dabei zwei Prinzipien verfolgt. Erstens: „What would Jesus do?“ Das heißt, was wäre das absolut Beste. Durch diese Frage sind wir auf tolle Dinge gestoßen. Die zweite Frage war: „What are our dark areas?“ Diese Frage haben wir uns wöchentlich, teilweise täglich gestellt. Es ist das Prinzip, immer wieder nach neuen Lösungen zu suchen. Wir haben teilweise viel Arbeit in eine bestimmte Lösung gesteckt und dann entschieden, alles wegzuschmeißen. Sogar unseren ursprünglich registrierten Markennamen haben wir irgendwann aufgegeben. Wir sind immer bis zu dem Punkt gegangen, an dem man sich das Produkt anschauen konnte. Und wenn es uns nicht völlig überzeugt hat, haben wir es weggeschmissen. Als es aber in die Codierungsphase ging, mussten wir schmerzhaft lernen, dass es nicht mehr so einfach ist, Dinge einfach wegzuwerfen. Wir haben es dennoch dreimal gemacht. Wir haben dreimal den gesamten Code weggeschmissen. Es finden viele Learnings auf dieser Reise statt.

Die App ist seit Kurzem auf dem Markt. Was steht jetzt im Fokus der Arbeit?

Der Launch war emotional sehr wichtig. Aber wir rühren jetzt die Werbetrommel nicht so stark. Wir analysieren dafür genau, was passiert. Denn sicherlich entdecken wir in den nächsten Wochen und Monaten auch noch einige Probleme.

Brauchen Sie nun frisches Kapital?

Ja, wir brauchen ein größeres Investment. Denn wir haben die Chance, unseren Hauptdienstleister, eine Softwarefirma in Kiel, zu übernehmen. Ursprünglich wollte ich in den USA Entwickler finden. Aber die sind extrem teuer. Die Jahresgehälter liegen bei über 150.000 Dollar. Und wir brauchen mindestens zwei. Das wären mehr als 300.000 Dollar allein für die Entwickler. Das hätte unser Budget gesprengt. Außerdem gibt es hier ein Problem mit der Loyalität. Viele Entwickler wollen nicht länger als ein Jahr bei einer Firma bleiben. Und die Nachfrage nach Entwicklern ist riesengroß. Wobei ein Start-up mit Angeboten von großen Tech-Firmen nie mithalten kann. Deshalb war für uns klar, dass wir extern produzieren lassen.

Könnten Sie sich vorstellen, mit Forvm.com nach Deutschland zurückzukehren?

Das würde wirtschaftlich keinen Sinn machen. 


Autor: Franz Scheele

Schreibt als freier Autor für W&V Online. Unverbesserlich anglo- und amerikanophil interessieren ihn besonders die aktuellen und langfristigen Entwicklungen in den Medien- und Digitalmärkten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten.