
Brinkbäumer über Spiegel Daily:
"Es ist ein kalkulierbares Risiko"
Mit dem Start von Spiegel Daily wagt sich der Spiegel-Verlag auf neues Terrain. Die Chefredakteure Klaus Brinkbäumer und Barbara Hans erklären das Konzept im W&V-Interview

Foto: Christian O. Bruch
Erste Pläne für eine moderne Tageszeitung gab es im Spiegel-Verlag bereits 2013 - damals legte Cordt Schnibben ein Konzept vor. Knapp vier Jahre später und nach vielen Veränderungen, sowohl strukturell als auch personell, ist es soweit: Die digitale Tageszeitung Spiegel Daily geht am 16. Mai an den Start. Für das Projekt, mit dem das Haus neue Zielgruppen erschließen will, müssen die verschiedenen Bereiche so eng zusammenarbeiten wie noch nie. Warum das für alle Beteiligten längst kein Problem mehr darstellt, sondern sogar neue Möglichkeiten mit sich bringt, erklären Print-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer und Spiegel Online-Chefredakteurin Barbara Hans im Interview mit W&V.
Frau Hans, Herr Brinkbäumer, es hat ein wenig gedauert – aber jetzt ist Spiegel Daily am Start. Nicht das erste crossmediale Projekt des Hauses, aber doch das mit der bisher engmaschigsten Verknüpfung. Also doch eine neue Erfahrung für Sie?
Hans: Wir freuen uns auf den Start von Daily. Die Zeiten, in denen Print und Online vor allem damit beschäftigt waren, sich voneinander abzugrenzen, sind längst vorbei. Das Zusammenspiel hat sich massiv verändert, massiv verbessert – durch die immer engere Zusammenarbeit und inzwischen ganz alltägliche Abstimmungen. Es geht uns darum, wie man eine Geschichte am besten erzählt, egal ob gedruckt oder digital. Das ist keine Frage der Themen, sondern ihrer Aufbereitung.
Brinkbäumer: Wir wären ja auch verrückt, wenn wir nicht sehen würden, wie sehr wir voneinander profitieren können. Wir haben eine starke Marke, wir haben hervorragende Leute und als trimediales Haus noch dazu bessere Voraussetzungen als unsere Konkurrenten. Alle erfolgreichen Medienhäuser machen es ähnlich: In meiner Korrespondentenzeit in den USA habe ich gesehen, wie sich amerikanische Unternehmen ganz konsequent multimedial organisieren und interne Strukturen entsprechend perfektionieren. Washington Post, LA Times, New York Times oder sowieso Facebook und Google – keiner von denen würde sagen: Online gegen Print bringt uns voran, bekämpfen wir einander also mal freudvoll hausintern.
Spiegel Daily soll eine Lücke in Ihrem Angebot schließen. Besteht nicht trotzdem die Gefahr einer Kannibalisierung?
Hans: Spiegel Daily bietet etwas, das weder der gedruckte Spiegel noch Spiegel Online leisten können: einmal am Tag ein in sich geschlossenes Angebot, das die Nachrichten erklärt. Die bestehenden Produkte liegen weit genug auseinander, wir können sie gut ergänzen. Zwischen einer minutenaktuellen und einer wöchentlichen Berichterstattung klafft eine Lücke, die groß genug ist für etwas Neues. Wir verbinden bei Daily unsere Expertise aus beiden Bereichen.
Wieso hat noch kein anderes Haus bisher versucht, das zu füllen?
Hans: Diese Lücke ist bei Häusern, die eine Tageszeitung und ein Online-Angebot miteinander verbinden, nicht so groß. Für uns bietet sich durch Daily die Chance, ganz neue Zielgruppen zu erreichen.
Also gäbe es ja durchaus Alternativen zu Daily im Markt.
Brinkbäumer: Ich glaube, dass es ein Publikum gibt, das sich von Tageszeitungen abgewandt hat. Und dieses Publikum wartet auf eine moderne digitale Tageszeitung, ein abgeschlossenes Produkt. Darauf zielen wir. Da werden sicher auch Spiegel-Leser dabei sein. Dass diese Leser den Spiegel deswegen abbestellen, glaube ich nicht; die Angebote werden sich ergänzen.
Es gibt aber auch schon ähnliche Produkte wie Daily: Beispielsweise Der Tag von der FAZ, Handelsblatt 10 oder SZ Espresso. Und zwar gratis bzw. preiswerter. Wer kauft da Daily, das monatlich immerhin 6,99 Euro kosten soll?
Brinkbäumer: Das Publikum ist mittlerweile daran gewöhnt, für digitale Produkte inklusive Medien Geld auszugeben – solange sich der Preis unterhalb der Zehn-Euro-Schwelle bewegt, die durch Netflix etabliert wurde. Einfaches Abschließen, einfaches Kündigen, keine Knebelverträge – all das ist wichtig. Und ohne dass ich der Konkurrenz zu nahe treten möchte: Die von Ihnen genannten Produkte bieten bereits Veröffentlichtes noch einmal an; Daily hat einen etwas höheren Anspruch. Die meisten Texte und Multimedia-Formate werden exklusiv für Daily geschrieben und produziert.
Spiegel Daily greift mit seiner komplexen und einordnenden Darbietung von Informationen den Trend der Entschleunigung auf. Sind die Menschen, die das wollen, eher als rückwärtsgewandt einzuschätzen? Oder ist die Zielgruppe supermodern, weil sie das ständige „Informiertseinwollen“ schon hinter sich gelassen hat?
Hans: Der Wunsch nach Orientierung ist nicht rückwärtsgewandt. Wir müssen unsere Angebote an die verschiedenen Nutzungssituationen anpassen: Auf welche Art möchte jemand in einer bestimmten Situation, zu einer bestimmten Tageszeit informiert werden? Man greift zu kurz, wenn man den Nutzern unterstellt, sie seien desinteressiert. Uns erreichen viele Leserbriefe, in denen User sich mehr Einordnung wünschen, denn die Nachrichten sind oft sehr komplex und Nachrichtenlagen entwickeln sich in einem atemberaubenden Tempo. Die Botschaft bei Daily ist: Lehnen Sie sich zurück, wir wählen die Nachrichten aus, wir bieten Orientierung – einmal am Tag.
Trotzdem wird Spiegel Daily wohl eine Gratwanderung.
Brinkbäumer: Sicher kann man sich bei neuen Dingen nie sein, das geht ja allen so, auch der New York Times oder Apple. Ob die Leute wirklich bereit sind, für die Nutzung dieses Smartphone-Produkts zu bezahlen, werden wir sehen; die Marktforschung trägt einen immer nur bis zu einem bestimmten Punkt. Aber es ist ein kalkulierbares Risiko: Selbst wenn wir jetzt mal kurz den worst case annehmen und Daily also scheitern sollte, würden wir immer noch viele Dinge lernen, die wir für künftige digitale Bezahlangebote nutzen könnten. Lernen werden wir mindestens, aber für sehr viel wahrscheinlicher halte ich den Erfolg von Spiegel Daily.