
Kolumne:
"Realtime-Marketing braucht neue Arbeitsweisen"
Der Trend geht immer mehr zum Echtzeiterlebnis und damit auch zum Echtzeitmarketing. In Deutschland hielten sich Unternehmen bislang noch zurück. Das dürfte sich aber mit der Beacon-Technik ändern. Welche Branchen davon besonders profitieren und warum auch da Bauchgefühl wichtig ist, erklärt Agenturchef Benedikt Holtappels in seiner Kolumne für W&V.
Der Trend geht immer mehr zum Echtzeiterlebnis und damit auch zum Echtzeitmarketing. In Deutschland hielten sich Unternehmen bislang noch zurück. Das dürfte sich aber mit der Beacon-Technik ändern. Welche Branchen davon besonders profitieren und warum auch da Bauchgefühl wichtig ist, erklärt Agenturchef Benedikt Holtappels in seiner Kolumne* für W&V.
Am besten funktioniert Marketing, wenn Menschen gar nicht darüber nachdenken, sondern einfach die Möglichkeiten nutzen, die sich bieten. Während der Fußball-WM brachen 140-Zeichen-Nachrichten auf Twitter auch in Deutschland den absoluten User-Rekord, wo die Plattform bislang nicht den Status erreicht hatte wie in anderen Ländern. Kaum waren die deutschen Spiele vorbei, luden unsere Fußballstars ihre Selfies – etwa mit Angela Merkel und Popsternchen Rihanna – gleich auf ihren Profilen hoch. Nach der WM konnte man dann genau verfolgen, wo die Jungs Urlaub machten und ich welchen Läden sie shoppen. Mesut Özil etwa war mit einer Zara-Tüte unterwegs und besuchte den Adidas-Store in Las Vegas. Und gerade kann man beobachten, wie die Aktion Ice-Bucket-Challenge in sozialen Medien alle Rekorde bricht, um auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. All diese Beispiele belegen, dass der Trend immer mehr zum Echtzeiterlebnis und damit auch zum Echtzeitmarketing geht.
In den USA ist das situative Senden von Werbebotschaften und individuellen Angeboten während großer Events wie der Oscar-Verleihung und dem Superball längst gang und gäbe. Es findet zwischen den Marken sogar ein regelrechter Wettkampf statt, wer am schnellsten und smartesten auf Ereignisse etwa auf dem Spielfeld reagiert. Denn die Marketeers in USA wissen genau, dass sie mit cleverem Echtzeitmarketing viele neue Kunden gewinnen können. In Deutschland hielten sich Unternehmen bislang noch zurück. Das dürfte sich aber in den nächsten Monaten ändern, denn dank der nicht allzu teuren Beacon-Technik kann vor allem der Handel davon profitieren und seine Shops aufrüsten, um Kunden durch persönliche Ansprache stärker an sich zu binden. Wenn ich künftig also in meinen Lieblingssupermarkt gehe, dürfte ich schon bald gefragt werden, ob ich „einchecken“ will. Damit gebe ich dem Händler die Erlaubnis, mir individuelle Angebote per Smartphone zuzuschicken und meine Einkaufshistorie zu speichern. Nehmen wir mal an, ich stehe vor dem Weinregal und kann mich angesichts der Auswahl einfach nicht entscheiden, könnte mir der Händler anhand meiner letzten Einkäufe weiterhelfen. Indem er mich entweder an die Marke erinnert, die ich das letzte Mal gekauft habe oder mir gar Tipps gibt, welche Weine in eine ähnliche Richtung gehen. Der Clou daran ist, ich spare Zeit beim Einkaufen und stehe hinterher bei meinen Freunden sogar noch als Weinkenner da. Schöne neue Shopping-Welt!
Aber die Beacon-Technik ist nicht nur für Händler interessant. Auch Branchen wie Versicherungen können sie nutzen, indem sie zum Beispiel auf Flughäfen QR-Codes platzieren, die es kurzfristig noch ermöglichen, ganz unkompliziert eine Reisekrankenversicherung abzuschließen. Zur Karnevalszeit hatte die Provinzial-Versicherung ein Angebot in Düsseldorfer Kneipen platziert, um in der Jeckenzeit für alle Fälle abgesichert zu sein. Klar ist: Je relevanter das Angebot zum richtigen Zeitpunkt ist, umso mehr Erfolg wird Echtzeitmarketing haben. Und Fakt ist, dass trotz Datendiskussion über 40 Prozent der deutschen Konsumenten schon über Dienste wie Foursquare, Swarm und Facebook-Places einchecken und über die Häfte von ihnen nach Shops, Restaurants und Tipps in der Umgebung gezielt sucht. Bei 32 Millionen Nutzern von Smartphones in Deutschland kann Echtzeitmarketing also ganz schnell zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden.
Dafür müssen sich Agenturen und Kunden allerdings noch stärker professionalisieren und in den Prozessen schneller werden, um das Riesenpotenzial von Echtzeitmarketing nutzen zu können. Vor allem müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wieviel Risiko wir im Marketing bereit sind einzugehen. Denn Realtime-Marketing zwingt uns, bisherige Arbeitsweisen zu überdenken. Mit ein bisschen Mafo hier und ein bisschen Bauchgefühl dort, kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass niemand wirklich sagen kann, warum Kommunikationsmaßnahmen erfolgreich sind und warum manchmal eben nicht. Was bedeutet, dass wir entweder noch intensiver über Tests herausfinden müssen, was funktioniert. Oder wir den Mut haben – sowohl auf Agentur- als auch auf Unternehmensseite - unserer Erfahrung und unserem Bauchgefühl zu trauen. Letzteres würde schlicht den gesunden Menschenverstand zurück ins Marketing bringen. Und davon können Marketeers ebenso profitieren wie Verbraucher.
*W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Grimm Gallun Holtappels (GGH) in Hamburg. Seine Agentur arbeitet u.a. für Ikea, Seat und Unilever.