2. Laden und Entsichern 

Noch komfortabler für Kunden und Händler ist ein Pilotprojekt von Saturn in Hamburg. Dort dient das Handy nicht nur zum Scannen und Bezahlen, sondern auch zum Entsichern der Ware. Das Ziel ist die vollautomatische Filiale ohne Wartezeit. In naher Zukunft wird eine App die Diebstahlsicherung deaktivieren, sobald die Ware noch am Regal per Handy oder Smartwatch bezahlt worden ist.

Defacto-Prognose: Wird sich durchsetzen, weil es dem Kunden nutzt und den Einkaufsprozess vereinfacht. Mobility-Sharing-Konzepte zeigen, wie user-freundlich Transaktionsprozesse funktionieren können. Sozusagen das physische One-Click Use.

3. Der Roboter mit der Einkaufstasche

Die Vision der Amazon-Drohnen, die den Wochenendeinkauf durchs Küchenfenster bringen, ist momentan noch mehr PR als Prognose. Um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben: Zum autonomen Fahren gehört auch der autonome Einkaufswagen. In den USA testet Fedex einen Roboter, der Medikamente aus der Apotheke, Lebensmittel aus dem Supermarkt oder das fertige Abendessen vorbeibringt. Die rollende Einkaufstasche soll auch Treppenstufen überwinden können. Hier ein YouTube-Video:

Defacto-Prognose: Fancy, aber damit es mehr als ein PR-Gag wird, muss es dem Kunden einen bezahlbaren Mehrwert gegenüber bestehenden Home-Delivery-Konzepten bieten. Als Kunde wäre mir eine komfortable Online-Shopping-Experience, also das Frontend zur Auswahl meiner Waren wichtiger als die Frage, wie die Ware an meine Haustür kommt.

4. Der Garagen-Service

Wie man Smart Home mit Online-Logistik verknüpft, zeigt Amazon. In 50 US-Städten können sich Amazon-Kunden die Pakete nicht nur bis ans Garagentor liefern lassen, sondern auch dahinter. Eine App regelt das Öffnen und das Schließen. Man muss Amazon nicht ins Haus lassen, da ist Alexa sowieso schon. Für die physische Lieferung tut es auch die Garage.

Defacto-Prognose: Aus Kundensicht sicherlich ein relevanter Mehrwert. Allerdings meines Erachtens nicht zwingend die Sprachsteuerung, sondern die Home Delivery ohne physisch präsent sein zu müssen. Aber das machen Postal Services mit der Paketablage an einem anderen Ort ja auch heute schon. Sprachassistenten sind aus Sicht der Brands allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sie die Barriere von Amazon & Co zu den eigenen Kunden weiter stärkt.

5.  Zeig mir, wie du guckst, und ich sage dir, was du willst

Der US-Fachdienst "AI Scholar"  berichtet über ein Forschungsprojekt, das Gesichtsausdrücke von Menschen in unterschiedlichen Situationen erfasst und auswertet. Retailer könnten dadurch analysieren, wie Kunden auf ihre Produkte reagieren. Nicht ganz so filigran, aber für Einzelhändler ähnlich interessant ist der Bewegungstracker des deutschen KI-Startups Motion Miners. Es zeichnet anonymisierte Laufwege und andere Bewegungsmuster von Mitarbeitern auf.

Defacto-Prognose: Sinnvoll und technisch realisierbar, aber rechtlich erfahrungsgemäß kritisch. Schon in Zeiten vor der DSGVO schwierig umzusetzen aufgrund der Arbeitnehmervertreter. Wenn das Smartphone als Shop-Guide dient, ist das Tracken von Kundenbewegungen ohnehin erforderlich. Mit dem Unterschied, dass es quid-pro-quo dem Kunden nutzt. Wenn es dem Kunden ein besseres Einkaufserlebnis bietet, wird er auch seine Zustimmung erteilen. Hier geht es um mehr Komfort durch Personalisierung.

6. Hier kocht der Algorithmus

Dynamische Preise sind nichts Neues mehr, aber jetzt kommt die dynamische Speisekarte. McDonald’s hat gerade rund 300 Millionen Dollar in das israelische Startup Yield investiert. Mit dessen Software ändert sich das Restaurant-Angebot je nach Wetter, Tageszeit und anderer Appetit-Faktoren.

Defacto-Prognose: Auch das ist noch nicht das Ende dynamisch-personalisierter Angebotsgestaltung. Kundenerwartungen, Datenverfügbarkeit und Real-Time Applikationen werden noch viel individuellere Angebote ermöglichen.

7. Luxusmeilen werden noch teurer

Das Thema Dynamische Preise bekommt durch mobile Daten noch mehr Drive. Es ist längst möglich, die Preise für Waren und Dienstleistungen am Standort des Kunden zu orientieren. Bei Sixt redet man ganz offen darüber:  "Wer aus einem Chanel-Laden auf der Maximilianstraße läuft, bekommt wahrscheinlich einen höheren Preis als jemand, der aus einem Outlet-Geschäft kommt", zitierte das Manager-Magazin neulich Juniorchef Alexander Sixt.

Defacto-Prognose: Das Prinzip Kundenzentrierung kann für den Kunden in beide Richtungen gehen. Geo-basiertes Dynamic Pricing ist ein Beispiel dafür. Marken müssen sich nur bewusst sein, dass höhere Preisbereitschaften meist mit höheren Kundenerwartungen einhergehen. Und Customer Lifetime Value sich besser rechnet als Einzeltransaktionsumsatzoptimierung.

8. Der brennende Schuh

Eine Datenverbindung mit einen Schuh aufzubauen, geht nicht nur über den Horizont von Al Bundy. Die Idee klingt verrückt, aber mit Augmented-Reality-Elementen schlagen Hersteller die digitale Brücke zum Kunden. Puma hat einen QR-codierten Sneaker herausgebracht, mit dem Kunden u. a. die Illusion eines brennenden Schuhs erzeugen und die entsprechenden Bilder teilen können.

Defacto-Prognose: AR und VR waren schon letztes Jahr großes Thema auf der SXSW in Austin, wobei es AR Anwendungen ja schon viel länger gibt. Während in 2018 als AR Use Cases eher Show Cases gezeigt wurden, deren Kundennutzen überschaubar war, wurden 2019 hochrelevante Use Cases ausgewählt. Technologie sollte nicht der Treiber sein, sondern der Enabler für die Customer Experience. Wenn AR ein Problem löst, ein Bedürfnis stillt oder einen Wunsch erfüllt, dann hat sie ihren Zweck erfüllt.

9. Einkaufen in der Facebook-Anzeige

Im Retail der Zukunft verschwimmen Marketing und Vertrieb, Werbung und Verkauf, Unterhaltung und Produktinformation. L’Oréal schaltet bereits Facebook-Anzeigen, in denen Nutzer per Augmented Reality unterschiedliche Make-Up-Variationen ausprobieren und das Produkt der Wahl gleich ordern können.

Defacto-Prognose: Aus Nutzersicht sinnvoll und damit erfolgversprechend. Noch besser ist die Kombination aus stationärem und digitalem Einkaufserlebnis. Viele AR-Anwendungen werden sich direkt in der Filiale abspielen, zum Beispiel auf Displays in der Umkleidekabine. Oder umgekehrt: Das Möbelstück wird in eine virtuelle Realität projiziert. Der Vorteil: Der Auswahlprozess wird durch den passenden Kontext beschleunigt und die Ware ist sofort greifbar.

10. Der Messenger ist die neue Macht

Was wir in Europa unter "Messenger" verstehen, entlockt Chinesen nur ein müdes Lächeln. Die Überlegenheit von WeChat ist bekannt, aber auch andere internationale Unternehmen jenseits von Facebook holen gewaltig auf. Mit dem "Business Chat" von Apple ist es z.B. möglich, einen Lieferdienst per Message an einen bestimmten Ort zu bestellen und zu bezahlen. Stationäre Verkaufsstellen werden noch ein bisschen überflüssiger - wenn sie es nicht schaffen, konkurrenzfähige Angebote für ihre Kunden zu entwickeln und sich unentbehrlich zu machen.

Defacto-Prognose: Messenger wie der Apple Business Chat sind ein weiterer Meilenstein der User Experience. Der Chatbot bringt Information, Befehlseingabe über Text oder Sprache zusammen mit AI Recommendation-Logiken zur Produktkuration und Web/App-Funktionalitäten wie digitale Services. Das Ergebnis ist ein kundenzentriertes und höchst komfortables digitales Kauferlebnis.

Martin Grass ist Chief Operating Officer von Defacto. Das Unternehmen mit Standorten in Erlangen, München und Köln hat sich auf CRM und Loyalty-Programme spezialisiert. Grass arbeitet seit über 10 Jahren für Defacto und betreute als Executive Director internationale Kunden wie Esprit, Audi, C&A und Marc O'Polo. 2017 gewann er mit Esprit den Eddi-Award des Branchenverbandes DDV. 2018 stieg er zum Geschäftsführer der Defacto-Gruppe auf.


Autor: W&V Gastautor:in

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