
Corona in China:
Arbeiten in Shanghai: 45 Tage Corona-Schockstarre
Stefan Justl hat in China hinter sich, was uns vielleicht noch bevorsteht: 45 Tagen Corona-Schockstarre. Der General Manager der Agentur Storymaker schildert seine Eindrücke aus Shanghai.

Foto: Storymaker
Bei strahlendem Sonnenschein füllten sich vergangenen Sonntag wieder die Cafés und Restaurants in Shanghai. Auch in kleinen Gruppen von vier, fünf Personen trafen sich Freunde und genossen die wiederbelebte Metropole. Die Menschen trauen sich wieder raus. Tief durchatmen, nach 45 Tagen in Corona-Schockstarre. Doch die Vorsicht und die Sicherheitsmaßnahmen bleiben – vorerst.
Ein Land bleibt zu Hause
Drehen wir die Zeit zurück: Die Ferien anlässlich des Spring Festivals (Chinese New Year) wurden am 31. Januar aufgrund des aufgekommenen Coronavirus um eine Woche verlängert. Auch Storymaker musste das Büro eine Woche länger schließen. Die Kosten tragen die Unternehmen. Klare Vorgabe: Die Menschen sollten zu Hause bleiben, sie sollten auch nicht arbeiten. Diese Anordnung galt für alle, die nicht zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens beitragen.
Ich bin am 8. Februar aus dem damals noch sicheren Thailand eingeflogen, sollte aber dennoch 14 Tage in Heimquarantäne, was ich damals als ziemlich lästig und unnötig empfand. Heute sehe ich das anders. Am Empfang unseres Wohnhauses wurden wir registriert, die Temperatur gemessen und notiert, und wir mussten uns persönlich beim Bürgerkomitee melden.
14 Tage lang zu Hause bleiben, Einkäufe im Supermarkt hat uns die Hausverwaltung erlaubt. Die Versorgung war grundsätzlich kein Problem. Die Supermarktregale waren gefüllt wie immer, die Lieferdienste wurden noch mehr genutzt als sonst. Die Menschen sind es hier gewohnt, so ziemlich alles online zu bestellen, auch Lebensmittel. Geliefert wird oft noch am selben Tag.
Die Regierung hatte versprochen, dass es keine Versorgungsengpässe geben würde, entsprechend haben sich die Menschen hier beim Einkaufen auch normal verhalten. Die Versorgung blieb stabil. Das ist vielleicht auch eine Self Fulfilling Prophecy. Hamsterkäufe, wie wir sie jetzt in Deutschland sehen, gab es hier nicht.
Am 10. Februar hatten Unternehmen dann die Möglichkeit, die Arbeit wieder aufzunehmen, aber nur nach individueller Prüfung. Jeder Stadtteil gab dabei seine eigenen Bestimmungen heraus. Unser Office im Zentrum von Shanghai wurde erst am 17. Februar geöffnet, nachdem wir uns bei der Stadtverwaltung Jing An (unser Bezirk) online auf deren Webseite registriert hatten.
Wenige Tage später erhielten wir per WeChat einen Link zum Account der Stadtverwaltung Jing An. Beim Klick auf die Rubrik „Zurück zur Arbeit“ öffnete sich ein Mini Programm, in das wir alle zur Arbeit erscheinenden Mitarbeiter eingetragen haben. Auf den ersten gemeinsamen Arbeitstag hatten wir uns ehrlich gesagt gefreut, mussten ihn aber nach wenigen Stunden abbrechen, weil die Klimaanlage aus Gesundheitsgründen ausgeschaltet bleiben musste. In Shanghai wird über die Klimaanlage geheizt, Zentralheizungen gibt es hier praktisch nicht. Es war schlottrig kalt und wir mussten erst einmal eine kleine Heizung kaufen.
Check über die Gesundheits-App
China hat auf die Ausbreitung landesweit mit massiven Kontrollen reagiert und lässt aktuell auch nicht nach. An allen öffentlichen Eingängen, Supermärkten, Kaufhäusern wird noch immer Fieber gemessen und die Mobil-Nummer abgefragt. Die ist mit der ID verknüpft, in meinem Fall mit dem Reisepass. Damit ist eine Identifikation möglich. Die Daten werden zur Auswertung an Shanghais Big-Data-Ressourcenplattform übermittelt.
Das Sammeln der Daten ist nicht neu. Neu ist, dass diese Daten nun für einen Gesundheitscheck sichtbar gemacht werden – über einen QR-Code. Als Ausländer registriere ich mich über Alipay. Den Sicherheitsleuten, die tatsächlich an jedem Eingang stehen, muss ich auf Anforderung meinen persönlichen QR-Code zeigen, der vom System durch Aktivieren live generiert wird.
Es gibt 3 Risikokategorien, die meinen aktuellen Status anzeigen: grün, rot und gelb. Grün bedeutet alles ok. Bei gelb läuft aktuell eine gesundheitliche Beobachtung (zum Beispiel Heimquarantäne) und bei rot ist man ein bestätigter Fall von Covid-19: in beiden Fällen bedeutet der QR-Code kein Zutritt. Ich persönlich musste den QR-Code allerdings bislang nur zweimal vorzeigen. Die meisten Kontrollen beschränken sich auf Temperarturmessen mit Namenslisten und Mobilnummer.
Digitalisierung als Verbündeter
Die hohe Digitalisierung Chinas zeigt in der Krise in vielerlei Hinsicht eine positive Wirkung. Ein einfaches Beispiel: Bargeld ist ein potenzieller Virenüberträger. Seit Einreise in China, also seit dem 7. Februar habe ich kein einziges Mal bar bezahlt, also keinen Geldschein in die Hand genommen. Chinesen nutzen WeChat Pay oder Alipay, und das bedeutet nicht nur bargeld-, sondern auch kontaktloses Bezahlen.
Ein anderes Beispiel: Nach den Frühlingsfest-Feiertagen nutzten 50 Millionen Schüler und 600.000 Lehrer in China die Live-Streaming-Funktion auf Dingtalk, Alibabas Unternehmenskommunikations-App, um Online-Kurse abzuhalten. Dreihundert Städte in 30 Provinzen sollen diese Funktion laut TechNode genutzt haben. Der Dienst, der erst am 27. Januar mit dem chinesischen Videohosting-Dienst Youku gestartet wurde, ist derzeit für Lehrer und Schüler kostenlos. Ein Push für Chinas lukrativen Online-Bildungsmarkt, der in diesem Jahr laut Marktanalysten bis zu 62 Milliarden Dollar wert sein soll. Die Aktienkurse von Online-Unternehmen gehörten zu den wenigen Aktien, die in der vergangenen Woche in die Höhe schnellten.
Die in Deutschland oft kritisierte chinesische Regierung hat etliche Maßnahmen gestartet, um die Folgen der Epidemie zu lindern. Beispielhaft: In staatseigenen Gebäuden werden die Mieten für Unternehmen reduziert oder teilweise ausgesetzt. Auch private Vermieter werden ermutigt, diesem Beispiel zu folgen. Die bereits bezahlte Arbeitslosenversicherung wird den Unternehmen zurückerstattet und der Krankenversicherungssatz gesenkt. Start-ups erhalten die Sozialversicherungskosten subventioniert.
Schutz vor dem Reimported Virus
Noch ist nicht alles überstanden. Die Zahlen der Neuansteckungen sind zwar auf ein Minimum gesunken, aber nun kommen Rückkehrer aus dem Ausland, die das Virus wieder mitbringen. China schützt sich davor mit strikten Maßnahmen. Die Flughäfen Hongjiao und Pudong ähneln einem Hochsicherheitstrakt. Personal in Schutzanzügen kontrolliert jeden einzelnen Fluggast und kategorisiert diese wieder nach dem Ampel-Prinzip.
Dieses Mal in Form eines grünen, gelben oder roten Aufklebers, der auf den Pass kommt. Grün heißt freie Fahrt. Wer aus einem Risikoland kommt, Deutschland zählt dazu, bekommt einen gelben Aufkleber, wer die verdächtigen Symptome zeigt, einen roten. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen dann nicht mehr genutzt werden. Die Betroffenen werden mit einem Shuttlebus nach Hause oder in ein zugewiesenes Quarantäne-Hotel gebracht. Die Kosten bezahlt der Staat.
Auch Tests sind kostenlos. In Taicang, wo die meisten deutschen Unternehmen in China ansässig sind, hat die Stadtregierung nun erklärt, dass zurückkehrende Ausländer nicht mehr erwünscht sind. Kommen sie trotzdem müssen sie nun in einem designierten (schlechten) Hotel die Qaurantänezeit auf eigene Kosten verbringen - Home Quarantäne ist hier für Ausländer nicht mehr erlaubt.
Das konsequente Durchgreifen und die Kontrollen in China beobachten viele, vor allem wir Ausländer, auch mit Argwohn. Aber in den USA würde ich mich zurzeit definitiv unsicherer fühlen. Natürlich beobachten wir jeden Tag, was in Deutschland geschieht. Auch dort werden jetzt mehr Kontrollen und temporäre Beschränkungen eingeführt, um das Virus einzudämmen. Nach allem, was ich in China erlebt habe, glaube ich, dass das der richtige Weg ist, auch wenn wir Deutschen uns bei der Einschränkung von Bewegungs- und Versammlungsfreiheit zurecht unwohl fühlen.
Am Montag, 23. März, wird Stefan Justl bei der virtuellen W&V-Konferenz zu Umgang mit Corona sprechen. Er wird live aus Shanghai zugeschaltet sein. Das gesamte Programm und den Anmeldelink finden Sie hier. #MachenWirDasBesteDraus