
Cyber Monday: Patagonia wider die Konsumkultur
"Kaufen Sie diese Jacke nicht!" Diese Aufforderung ziert die Verkaufs-Mail der Kleiderherstellers Patagonia, während andere Online-Händler Sonderangebote rumschicken. Dämlich oder clever?
Die Blumenläden haben den Muttertag, die Hersteller von Schokoherzen den Valentinstag, damit Kürbisbauern und Kostümfabriken auch im Herbst ein kleines Sümmchen zurücklegen können, kommt Halloween nach Europa zurück, von Weihnachten haben alle was, und damit das Vorweihnachtsgeschäft gleich mal mit tollen Angeboten losgeht, hat sich der Einzelhandel in den USA für den ersten Freitag nach dem hohen Fest Thanksgiving den "Black Friday" ausgedacht. Da kommen aber die Internetshops zu kurz. Für die gibt es darum seit 2005 am Montag nach "Black Friday" den US-Superverkaufstag "Cyber Monday".
"Kaufen Sie diese Jacke nicht!" Diese Aufforderung ziert die Cyber-Monday-Verkaufsmail der Kleiderherstellers Patagonia, während andere Online-Händler zu dem künstlich geschaffenen Handelsfeiertag Sonderangebote rumschicken. Das berichtet das US-Magazin Adage.
Patagonia, Reno/USA, will offenbar unser Geld nicht: Statt eines unwiderstehlichen Angebots erhielten die Digitalkunden hier ein Foto einer hübschen Jacke, die man aber bloß nicht kaufen soll. Nicht blind konsumieren, sondern nachdenken, bevor man Geld für einen Anorak oder sonst etwas ausgibt, mahnt die Firma.
Und liefert eine ausführliche Begründung, warum es wirklich mies ist, eine Jacke wie die gezeigte zu kaufen: Weil wir für das Leben auf unserem einen und einzigen Planeten die Ressourcen von eineinhalb Planeten verbrauchen. Weil die abgebildete Jacke, nach Firmenangaben ein Patagonia-Verkaufshit, bei der Produktion 135 Liter Wasser verbraucht hat - den Tagesbedarf von 45 Menschen. Von der Herstellung auf 60 Prozent wiederverwertetem Polyester bis ins Lager in Reno erzeugte die Jacke ihr 24-faches Gewicht, fast zehn Kilogramm, Kohlendioxid. Und zwei Drittel ihres Gewichts erzeugte sie an Abfall. Statt des Kaufappells kommt der, die Umwelt-Initative von Patagonia zu unterstützen.
Das ist ein enorm wichtiges Anliegen. Allerdings ist das eine perfide Doppelstrategie, die Patagonia da fährt. Auf den ersten Blick ist das so wie die meisten von uns: nett und ehrlich, aber dämlich. Mit Nettsein kommt man nicht an die Spitze, und mit Aufrichtigsein verkauft man nichts - ja, das kommt aufs Produkt an, aber mit einem aufrichtg gemeinten "kauf nichts", das der Kunde eins zu eins so hinnimmt, verkauft man wirklich nichts.
Auf den zweiten Blick ist die Aussendung von Patagonia schlau: Weil die Firma die Größe besitzt, sich von der hirnlosen, schnellen Konsumwelt abzuwenden, und endlich mal einer nachdenkt über die Folgen, die der Renditewahn hat. Und sogar bereit ist, dafür auf Umsatz am Cyber Monday zu verzichten.
Aber auf den dritten Blick ist die Mail von Patagonia verdammt perfide: Wer "kauf mich nicht" schreit und dabei "kauf mich" meint, wer sich als der Gute positioniert, um am Ende eben doch ein paar Jacken mehr loszuschlagen, ist hinterhältig. Denn dass Patagonia aus dem Jackengeschäft aussteigen will, ist hier nicht zu erkennen.
Und hier sind wir dann schnell wieder bei dem unglaublichen Balanceakt für Firmen, die Geld verdienen wollen, aber nicht um jeden Preis, natürlich aber Gutes tun und darüber reden - schon allein, weil die Verbraucher ja selbst entscheiden wollen, worauf es ihnen ankommt: Preis oder Qualität, Verantwortung oder Ausbeutung. Der Grat zwischen verantwortungsvollem Handeln und Greenwashing ist verdammt schmal.
Auf welche Seite Patagonia nach diesem Tag gekippt ist, wird sich zeigen. Ein Kommentar bringt das Dilemma auf den Punkt: "Wie raffiniert! Beinah hätte ich die Jacke nicht gekauft."
In Deutschland ist der Cyber Monday übrigens noch klein. So schickt etwa Amazon seit dem vorigen Jahr zum Cyber Monday ein paar Mails, die über "Blitzangebote" informieren. In den USA ist der Umsatz an diesem Novembertag von 600 Millionen auf über eine Milliarde US-Dollar geklettert. (Die jährlichen Online-Handelsumsätze entwickeln sich laut Comscore im selben Zeitraum von 100 Milliarden US-Dollar 2006 auf 142 Milliarden 2010 - ohne Reisen.)
Und für die, die zu viel am Cyber Monday kaufen, gibt es eine App: One Receipt hebt alle Online-Kaufbelege auf, damit die Rechnungen den Mail Eingang nicht verstopfen. Scannt auch Papierbelege und funktioniert übrigens noch nach dem E-Commerce-Feiertag.