
Foodtrends:
Der lange Weg von Instagram ins Supermarktregal
Vegan ist erst der Anfang. Was die neuesten Food-Trends für Lebensmittelhersteller bedeuten und wie sie das Beste daraus machen können.

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Haferdrinks, Linsenmehl und vegetarische Burger finden immer mehr begeisterte Anhänger, prognostizieren Food-Experten. Food-Trends spiegeln das Lebensgefühl und die Sehnsüchte der Gesellschaft wider, sagt Markenexperte Günter Lewald, geschäftsführender Gesellschafter B+D Communications. Was das für Lebensmittelhersteller bedeutet und wie sie jetzt auf diese Bedürfnisse reagieren sollten.
Wer kein waschechter Foodie ist, hat es mittlerweile schwer, bei der schieren Anzahl an neuen, alten oder sogar wieder auflebenden Food-Trends mitzuhalten. Bubble Tea, Buddah Bowls, Frozen Yoghurt, Craft Beer und Co. sind nur die Spitze des Eisbergs. Es sind diejenigen Trends, die sich in der breiten Gesellschaft einen Namen machen konnten. Und auch das ist mithin kein Garant dafür, dass sich ein Trend langfristig etabliert. Wie wird aber ein Trend zum Trend und wieso setzt sich das eine Produkt durch und ein anderes nicht?
Trends können ganz unterschiedlichen Ursprungs sein. Deshalb gibt es keine eindeutige Antwort darauf, wieso ein bestimmtes Lebensmittel gerade angesagt und ein anderes eher out ist. Sie entstehen manchmal "auf der Straße" und werden von dort aus weitergetragen. Einzelne Personen oder kleine Gruppen lösen sie aus. Andere Trends, wie Kimchi zum Beispiel, sind das Ergebnis cleverer Regierungsstrategen, um den Tourismus in Südkorea anzukurbeln und die Landesküche zu bewerben.
Wichtig für eine großflächige Verbreitung sind in jedem Fall mediale Einflüsse. Sie festigen und streuen die Trends. Vor allem die sozialen Medien spielen dabei heutzutage eine enorme Rolle: Food-Influencer zählen zu den Trendsettern der Szene. Durch ihre große Reichweite und die Glaubwürdigkeit, die sie bei den Usern genießen, sind sie am Aufstieg und Hype um kulinarischer Trends maßgeblich beteiligt. Aus diesem Grund sind sie so lukrativ für die Lebensmittelindustrie, die über Influencer-Kooperationen die junge Generation erreichen möchte. Und Essen ist im Social Web ein beliebtes Thema: Die Suche nach dem Hashtag #food bei Instagram erzielt fast 310 Millionen Ergebnisse.
Essen als Teil der Sinnsuche
Das Thema Ernährung ist so beliebt, weil Trends den Bedarf der Gesellschaft über Hunger und Durst hinaus befriedigen: In Zeiten des faktischen Überflusses verlangen Konsumenten nach Sinnstiftung. So wird der Verzehr nur bestimmter Nahrungs- und Genussmittel zum Teil der Selbstverwirklichung. Vor allem junge Menschen haben drei entscheidende, allgemeine Bedürfnisse.
Zum einen ist es das Ziel, sich möglichst gesund zu ernähren – idealerweise mit naturbelassenen und regionalen Produkten. Ständiger Zeitmangel führt dazu, dass vorgefertigte Nahrung zu einem weiteren Anspruch wird, vor allem bei Vollzeitbeschäftigten. Der dritte Aspekt bezieht sich auf den Wunsch, Individualität und Abgrenzung über eine gleichzeitige Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung zu erreichen. Der Verzicht auf Fleischprodukte ist ein gutes Beispiel hierfür, da die Abgrenzung von der Gesellschaft bzw. den Fleischessern über die Zugehörigkeit zur Gruppe der Vegetarier erfolgt.
Nahrungsmittel mit Potenzial zum Food-Trend erfüllen mindestens zwei dieser Anforderungen. MyMuesli beispielsweise macht Cerealien salonfähig und ist bei jungen Konsumenten überaus beliebt. Das absolut individualisierbare Produkt ist dabei nicht nur gesund, sondern wird verzehrfertig bis nach Hause geliefert und bedient damit genau die Ansprüche moderner, junger Menschen.
Startups mischen den Lebensmitteleinzelhandel auf
Die psychologisch-emotionalen Bedürfnisse der Konsumenten sind ihnen mal mehr, mal weniger bewusst. Aber sie sind immer eine Voraussetzung dafür, dass ein Trend zunächst zum Trend wird und darüber hinaus auch den Sprung in den Lebensmitteleinzelhandel schafft. Das Produkt und die Marke müssen zum Lebensstil, zu den Interessen und Präferenzen der Konsumenten passen, damit sie sich erfolgreich und langfristig am Markt behaupten können.
In den letzten Jahrzehnten vertrauten Verbraucher großen, bekannten Marken. Das scheint sich zu wandeln: Vor allem Millennials wollen Produkte von Marken kaufen, die in ihren Augen authentisch sind. Statt einer Flasche Coca-Cola kaufen sie eine Fritz Cola, Afri Cola oder eine Club Mate. Und je kleiner diese alternativen Unternehmen sind, desto besser, so die Meinung der jungen Konsumenten.
Auch die Supermärkte reagieren darauf und ermöglichen kleinen Marken und Startups prominente Positionen im Regal. So wurde erst kürzlich verkündet, dass das Startup Just Spices mit seinen neuen Bio-Tütengerichten "In Minutes" exklusiv bei Rewe neben Produkten von Nestlé und Unilever gelistet wird.
Individualisierung und Markenführung
Eine entscheidende Rolle, ob sich ein eingeführtes Trend-Produkt langfristig am Markt halten kann oder nicht, spielt die Markenführung. Mit ihrer Hilfe können die heutigen Bedürfnisse der Gesellschaft ins Zentrum der Produktwahrnehmung rücken. Die Crux: Es gilt, mit konsequent ausdifferenzierter sowie individualisierter Kommunikation gleichzeitig möglichst viele Verbraucher anzusprechen.
Die Herausforderung liegt also heute darin, einerseits dem einzelnen Konsumenten möglichst nahe zu kommen, gleichzeitig aber die für die nachhaltige Markenentwicklung kritische Masse zu erreichen und zu halten. Gelingt dies nicht, ist eine nachhaltige Verankerung einer Marke im Relevant Set möglichst vieler Verbraucher nicht möglich.
Ein junges Unternehmen, das es mit dem Smoothie-Trend in den Handel schaffte, ist True Fruits. Das Unternehmen nutzt den Hype um bestehende Trends und bedient die Health-Bedürfnisse der Konsumenten. Gleichzeitig überzeugt True Fruits mit authentischer und konsequenter Markenführung. Das Unternehmen nutzt seit jeher die eigenen Flaschen als Werbefläche.
Was zunächst aus der Not fehlender Werbegelder heraus entstand, wurde schnell zum Markenzeichen. Die humoristischen Texte bringen die Käufer zum Schmunzeln und vor allem auch ihre unkonventionelle und auf Social Media fokussierte Werbestrategie mit provozierenden Slogans sorgt immer wieder für Aufsehen. Das Unternehmen scheut sich nicht, anzuecken und dabei authentisch zu den eigenen Werten zu stehen. Dazu hat das True Fruits-Team sogar einen eigenen Wettbewerb ins Leben gerufen, der Unternehmen auszeichnen soll, die Mut beweisen und sich selbst gegen alle Widerstände treu bleiben.
Das eigene Angebot erweitern
Auch traditionelle Marken greifen Trends nicht nur auf, sondern setzen sie selbst, um Kunden zu halten und neue Zielgruppen zu gewinnen. Wichtig ist, dass sich diese bekannten Marken treu bleiben, aber auch den Bedürfnislagen der Konsumenten folgend weiterentwickeln. Rügenwalder ist ein Paradebeispiel für eine in diesem Sinne geführt Marke.
Das Unternehmen entwickelte aus der Beobachtung des Marktes und aktueller Trends eine neue Strategie: Heute ist Rügenwalder der größte Anbieter vegetarischer Fleischersatz-Produkte. Bleibt aber weiter seiner langen Tradition treu.
Was wirklich funktioniert, entscheidet am Ende der Verbraucher. Und da gilt immer noch, dass starke, etablierte Marken nicht jeden Trend mitmachen müssen. Um sich aber den Konsumwünschen der Millennials anzupassen, investiert die Lebensmittelindustrie gezielt in Startups. Nestlé etwa war in den vergangenen Jahren regelrecht auf Shopping-Tour und erwarb Anteile junger Unternehmen, die Produkte wie kalt gebrühten Kaffee oder vegan-vegetarischem Öko-Nahrung anbieten.
Was uns morgen schmecken wird
Neue Trends bedienen die Bedürfnisse der Menschen. Und die Schnelllebigkeit unserer Zeit befeuert auch die Food-Branche. Nicht jeder Hype schafft es von der Straße in die Supermärkte. Welche Marke aber nicht lernt, die sich entwickelnden Geschmackspräferenzen einer Gesellschaft zu lesen, für sich zu interpretieren und hierauf mit veränderten oder weiterentwickelten Produkten zu antworten, wird auf Dauer keinen Erfolg haben.
Marken, die das besonders gut meistern, werden sich an die Spitze von Entwicklungen setzen, diese für die eigene Profilierung nutzen und so vielleicht erst einen größeren, nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Trend begründen.
Günter Lewald ist Sprecher der Kölner Agenturgruppe B+D, deren Partner er seit dreizehn Jahren ist. Zuvor war der Marken- und Marketing-Fachmann fast genauso lange als Geschäftsführer in der Konsumgüter- und Verlagsbranche tätig. Sein Interesse gilt heute der ganzheitlichen, d.h. gleichermaßen analogen wie digitalen Konzeption von Unternehmens- und Markenidentitäten sowie Vermarktungsprogrammen. Die B+D Agenturgruppe mit Sitz in Köln zählt zu den größten inhabergeführten Kommunikationsagenturen Deutschlands. Zu den Kunden zählen Unternehmen wie Sony Mobile, Epson, Postbank, Congstar, Deutsche Telekom, Johnson & Johnson, Iglo, Vorwerk, IP Deutschland, Moskovskaya und Chiquita.