Studie von Netzwerk Reklame:
Die Parteien verschlafen das Internet
Wenig attraktive Inhalte, langsame Ladezeiten und mehr: Die etablierten Parteien nutzen das Web wenig für den Bundestagswahlkampf.
Spätestens nach den Wahlsiegen von Barrack Obama und Donald Trump, aber auch mit Blick auf die Aktivitäten von Emmanuel Macrons Bewegung En Marche könnte man erwarten, dass sich auch die deutschen Parteien im Wahlkampf aufs Web stürzen. Doch das ist weit gefehlt, wie eine Studie von Netzwerk Reklame zeigt. Stattdessen weichen die voraussichtliche Bedeutung der Parteien bei der Bundestagswahl und ihrer Präsenz im Web oft stark voneinander ab.
Über Similarweb wurden die Anzahl der Visits und die Dauer des Website-Besuchs gemessen und mit dem aktuellen Ergebnis der Sonntagsfrage von Infratest Dimap verglichen. Wäre die Internet-Affinität bei allen Parteien gleich hoch ausgeprägt, müsste die prozentuale Verteilung der Visits und Facebook-Likes aller Parteien zumindest grob mit ihrem Stimmanteil übereinstimmen. Abweichungen weisen auf eine über- bzw. unterdurchschnittliche digitale Präsenz der Partei hin.
SPD auf Facebook stärker als die Union
Vor allem die Union schneidet mit 136.100 Visits und 42.400 Visits für die CSU klar unterdurchschnittlich ab. Auch die Aufenthaltsdauer von im Schnitt 1,52 Minuten ist eher schwach. Dass die Partei der Kanzlerin gerade nach ihrem viel belächelten „Das Internet ist für uns alle Neuland“-Zitat dennoch keine stärkere Performance im Internet zeigt, ist schon verblüffend. Nur der CSU verdankt die Union, dass es auf Facebook nicht ganz so desaströs aussieht: die CSU schneidet hier mit 185 000 Likes deutlich stärker ab als die CDU mit nur 138 000 Likes. Da Facebook als globales Medium keine Landesgrenzen kennt, profitiert die CSU hier sicher auch von Anhängern außerhalb von Bayern. Allein die Kanzlerin kommt allerdings auf über 2,4 Mio. Facebook Fans.
Die SPD liegt mit derzeit 187.600 Visits knapp vor den beiden Unionsparteien bei den Website-Visits und ist allein, verglichen mit der CDU, auch stärker auf Facebook. Bemerkenswert ist auch die deutlich längere Aufenthaltsdauer von 3,10 Minuten, was auf attraktivere Inhalte schließen lässt als bei der Union. Martin Schulz ist mit 351.000 Fans auf Facebook mehr als doppelt so beliebt wie Christian Lindner, der stark auf soziale Medien setzt, allerdings auch sehr weit hinter Angela Merkel.
Grünen mit langer Ladezeit
Obwohl die Wählerschaft der Grünen in den letzten Jahren deutlich gealtert ist, verfügt die Partei immer noch über eine höhere Beliebtheit bei den jüngeren und damit Internet-affineren Wählern. In Relation zur Größe der Partei sind 144.900 Facebook Likes und über 112.000 Visits ein ordentlicher Wert, wenn auch nicht so hoch, wie zu erwarten gewesen wäre. Erstaunlich schlecht schneidet die Website bei der mobilen Nutzung ab: das Google Prüfsystem TestMySite ermittelt hier eine mobile Ladezeit von inakzeptablen 15 Sekunden, dem schlechtesten Wert aller untersuchten Parteien.
Die Linke kommt mit über 200.000 Likes auf Facebook auf Rang drei hinter Union und AfD. Bei der Website-Nutzung liegt sie mit 119.300 Visits in etwa auf Augenhöhe mit den Grünen, allerdings mit einer viel besseren mobilen Optimierung der Website und entsprechend besseren Ladzeiten.
Die FDP liegt mit 121 000 Visits noch vor den Grünen, wenn auch bei den Likes mit knapp über 100 000 am Ende des Feldes. Hier ist allerdings die starke Personalisierung auf den Spitzenkandidaten Christian Lindner zu beachten, der mit 159.000 Likes deutlich stärker abschneidet als seine Partei.
Sowohl bei den Website-Visits als auch auf Facebook führt überraschenderweise die AfD das Feld an. Sie erreicht im Juli 235.900 Visits und über 330.000 Facebook Likes. Auch die Besuchszeit von 2,52 Minuten auf der Website spricht für eine intensive Nutzung der Website. Diese Werte sind möglicherweise ein Ausdruck der geringeren Präsenz in den Medien sowie der schwächeren Organisationsstruktur.
Wie viel Geld die Parteien in den Web-Wahlkampf investieren, warum ein Trump-Erfolg in Deutschland nicht möglich ist und mehr lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Kontakter (ET: 10. August)