Dieser massive Werbedruck geht einher mit geschärften Werbebotschaften. Seit September vergangenen Jahres heißt es bei Aldi Süd und Nord "Einfach ist mehr". Ogilvy Düsseldorf und ­Oliver Voss inszenieren dieses Versprechen. "Mehr Freude für alle" verkündet BBDO im Namen von Lidl seit Ende April.

Das Thema Nachbarschaft dagegen steht seit Anfang März im Zentrum der Kommunikation von Penny (Serviceplan Campaign). Die gute Nachbarschaft und damit die örtliche Verfügbarkeit als Thema transportiert ebenfalls die Penny-Mutter Rewe (Agentur: Thjnk). Dabei will jetzt ausgerechnet Rewe einen deutschlandweit funktionierenden Onlinemarktplatz aufbauen - das ist nämlich der neue Trend.

Distributionsgrenzen verschwimmen

Die Grenzen zwischen stationärem Handel und Onlineverkauf verschwimmen auch im Lebensmittelbereich immer mehr. Die Rewe-Group, Deutschlands zweitgrößter Lebensmittelhändler, will künftig neben Nahrungsmitteln auch Non-Food-Artikel von kleineren Handelsmarkenpartnern online anbieten. In einer Testphase sind neben den Münchner Feinkostspezialisten Dallmayr und Käfer die Händler Mytoys und Butlers an Bord.

Auch die Hypermarktkette Real will zum Marktplatz werden. Real hat vor über einem Jahr den Onlinemarktplatz Hitmeister gekauft und mittlerweile unter Real.de inte­griert. Vor wenigen Wochen hat Real.de die Preismodelle für Fremdhändler vorgestellt. Diese bestehen aus einem Marketingpaket mit drei Varianten und einer Provision, die ähnlich wie bei Ebay oder Amazon Marketplace nach Warengruppen gestaffelt ist. Dafür heißt es: keine Kosten für Bezahlmethoden und das Einstellen von Artikeln.

Die Idee des Marktplatzes ist logisch: Kleinere Handelspartner bereichern das Sortiment, kümmern sich um die Logistik und bringen schnelles Umsatzwachstum. Die Plattformbetreiber dagegen bringen ihren kleineren Partnern Reichweite, also neue Kunden – deren Daten wiederum die Plattformbetreiber sammeln.

Amazon gibt das Tempo vor

Dass die Entwicklung im E-Commerce momentan so rasch voranschreitet, liegt wohl in erster Linie an dem Tempo, das Amazon vorgibt. Experten rechnen laut dem Fachtitel LZ damit, dass Amazon Fresh schon in diesem Jahr 11 Mio. Euro Umsatz in Deutschland macht. Zum Vergleich: Der seit 1997 zunächst als Onlinesupermarkt aktive Lieferdienst Bringmeister hatte für das Geschäftsjahr 2015 einen Umsatz von 16,1 Mio. Euro ausgewiesen. 2018 soll Amazon Fresh den Prognosen zufolge bereits 46 Mio. Euro Umsatz in Deutschland machen, 2020 dann 90 Mio. und 2022 sogar 156 Mio. Euro.

Gleichzeitig greift Amazon die stationären Händler in ihrem eigenen Gebiet an. Vor wenigen Tagen hat der US-Konzern angekündigt, für rund 13,7 Mrd. Dollar die US-Biosupermarktkette Whole Foods zu übernehmen. Das heißt: Der Onlinegigant steigt im großen Stil in den stationären Lebensmitteleinzelhandel ein. Das bedeutet: Es wird künftig kein Entweder-oder mehr geben. Nur noch ein Sowohl-als-auch.

Aldi Süd testet Zwitter-Modell

Selbst der Lebensmittelriese Aldi Süd startet nun im Non-Food-Bereich einen neuen Service namens "Aldi liefert" – eine Art Zwitterding zwischen stationärem Verkauf und Onlinehandel. Ausgewählte Aktionsartikel sind zwar nicht direkt in der Filiale zu erhalten, können dort aber bestellt und bezahlt werden. Mithilfe einer Guthaben-Pin erledigt der Kunde über die Webseite namens Aldi-liefert.de die Abwicklung der Liefermodalitäten. Das erste "Aldi liefert"-Angebot startete am 26. Juni: ein 65 Zoll großer Fernseher für 899 Euro.

Der starke Wettbewerb, der daraus resultierende hohe Preisdruck und die nach wie vor hohen Logistikkosten machen es schwer, im Lebensmitteleinzelhandel ein wirtschaftlich zukunftsfähiges Onlinegeschäft aufzubauen. Deshalb bieten sich auf Sortimentsseite besonders margen­trächtige Kategorien wie Wein und Kaffee an. Kein Wunder, dass unter den ersten Testpartnern auf Rewes Onlinemarktplatz die Feinkostmarken Dallmayr und Käfer sind. Schließlich müssen sie die Kosten des Fulfillments einkalkulieren.

Fazit: Jetzt werden die Weichen gestellt

Noch ist es eine vergleichsweise kleine Zielgruppe, die Lebensmittel online kauft. Aber diese Zielgruppe ist jung und kaufkräftig. Und die Weichen werden jetzt gestellt. Gleichwohl reagiert die Masse der Konsumenten eher träge auf die Möglichkeit, das Essen aus dem Netz zu fischen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Dezember 2016 im Auftrag des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV) glauben 70 Prozent der Verbraucher, dass sie ihre Lebensmittel in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiterhin im örtlichen Supermarkt kaufen werden.


Autor: Rolf Schröter

Rolf Schröter ist Chefredakteur der W&V und interessiert sich nicht nur deshalb prinzipiell für alles Mögliche. Ganz besonders für alles, was mit Design und Auto zu tun hat. Auch, wenn er selbst gar kein Auto besitzt.