Kommentar:
Hört auf, euch über TikTok-Stars lustig zu machen
Die Zeit widmet fünf TikTok-Stars ein großes Porträt und die Resonanz in den Kommentarspalten könnte abfälliger nicht sein. Der Beruf ist nicht neu, ebenso wie das Bedürfnis der Älteren, sich über die Jugend zu erhöhen.
Fünf war schon in den Neunziger Jahren so etwas wie die magische Zahl, wenn es um die Zusammenstellung von Boybands ging. Man denke nur an Take That, NSync und natürlich die Backstreet Boys. Heutzutage müssen Boybands nicht mehr unbedingt singen können, um eine zu sein. Plattformen wie TikTok machen es möglich. Dort haben es die so genannten Elevator-Boys mit ihrem guten Aussehen, wuscheligen Haaren, Lipsync und eben ziemlich viel Kreativität innerhalb eines Jahres zu sehr viel Berühmtheit, einem eigenen Management und einer eigenen WG - der Elevator Mansion - geschafft, von der aus sie nichts anderes machen, als hauptberuflich TikToks zu drehen. Denn Social-Media-Star oder Influencer ist nunmal eine ernstzunehmende Karriereoption geworden.
Der Beruf "Influencer" oder "Social Media Star" existiert seit Jahren. Zeit, das zu akzeptieren
Was für viele über 30 immer noch unverständlich und Anlass zum Kopfschütteln gibt, ist jedoch nicht neu. Erst kamen die YouTuber, dann die Instagramer, nun die TikToker. Das läuft seit mehreren Jahren so, wird aber von der Generation Y und älter immer noch belächelt und verurteilt. Inwiefern diese Verurteilung stattfindet, zeigt ein Blick in die Kommentarspalten ebenjener sozialen Plattformen, auf denen Creators wie die Elevator Boys ihr Geld verdienen. Zeit Campus widmete ihnen ein großes Porträt, in denen die fünf Jungs erzählen, warum sie oberkörperfreie Videos drehen, was ihre Zukunftspläne sind und natürlich auch, wie sie zu dem Erfolg kamen. Denn fast jeder der fünf Band-Mitglieder hat auf TikTok eine Followerschaft im Millionenbereich. Sie heißen Tim, Jacob, Bene Julien und Luis. Fünf außerordentlich hübsche, weiße, deutsche und damit ziemlich privilegierte junge Männer Anfang 20.
In dem Artikel mit dem Titel "Die schönsten Jungs des Internets" erzählen sie aber auch, unter welchem Druck sie stehen, wie durchgetaktet ihr Leben ist und wie sie mit all den negativen Reaktionen umgehen. Tja und die häufen sich unter dem Post ebenso wie unter dem Artikel. Was dabei einfach negativ aufstößt, ist diese Arroganz der Generation Y und älter gegenüber dem Beruf "Influencer" oder sonstigen Aktivitäten der jüngeren Generationen. "Sollen etwas richtiges lernen", "Wer nur mit reiner Optik überzeugen will, der hat eine schlechte Basis für das Leben", "Haben wir keine anderen Probleme?", "Ihr müsst doch diesen Unsinn nicht auch noch hypen", lauten die Kommentare. Es wird ihnen unterstellt, sie seien ungebildet, nur auf ihr Aussehen bedacht, untalentiert und das, was sie tun, nur unsinnige Zeitverschwendung.
Jede Zeit hat ihr Phänomen
Das Porträt ist objektiv und einfühlsam geschrieben. Und es ist relevant, auch für ein Magazin wie die Zeit. Wer sagt denn, dass auf den Seiten und Unterseiten von Zeit, Spiegel und der Süddeutschen Zeitung nur Themen stattfinden dürfen, mit denen Millenials und Boomer auch etwas anfangen können? Wer bestimmt, was seriöse Themen sind und was nicht? Der Content, den die Elevator Boys machen, prägt nun einmal eine ganze Generation und damit Millionen von Menschen. Social-Media-Plattformen gehören zum Lifestyle der Generation Z, ebenso wie Lipsync, Stitches, Duette und ein eigener Slang. Abgesehen davon, stellt der Artikel ziemlich gut dar, was hinter dem ganzen Content steckt, der wie aus dem Ärmel geschüttelt aussieht: Viel Arbeit, Disziplin und wenig Schlaf. Guter Social-Media-Content ist eben nicht zu vergleichen, mit einem zufällig glücklich gedrehten Video aus dem Urlaub. Es hat schon seinen Grund, warum das eine viral geht und das andere nicht.
Statt sich augenblicklich über derartige Phänomene lustig zu machen und eine verurteilende Haltung einzunehmen, könnte man sich auch einmal an die Popkultur der eigenen Jugend erinnern, die von den Älteren ebenso kopfschüttelnd betrachtet wurde. Denn jede Zeit hat ihr Phänomen und dass darüber berichtet wird, trägt eigentlich zu einem besseren Verständnis bei. Eine abwehrende Haltung dient jedoch nur der eigenen Erhöhung. Und zwar in Momenten, in denen man sich selber abgehängt fühlt.
Übrigens: Die Elevator Boys nennen sich so, weil ihr Erfolg mit einem Gruppenvideo in einem Aufzug anfing, das viral ging. Danach folgten zahlreiche Videos mit einem ähnlichen Szenario und der Einzug in die Elevator Mansion. Sie posten sowohl auf dem gleichnamigen TikTok-Kanal @elevatormansion, als auch auf ihren Einzelprofilen @timschaecker (3,4 Millionen Follower), @jacob_rtt (3 Millionen), @bene.schulz (3,7 Millionen), @its.julien.brown (976.000) und @luis_freitag_ (772.000) und auf YouTube und Instagram.