Zuschauer reflektieren

Stehling hat auch untersucht, warum sich Frauen GNTM anschauen. "Junge Mädchen, die GNTM schauen, sind nicht unbedingt mit dem Frauenbild einverstanden", erklärt sie. "Da gibt es eine Ambivalenz, indem sie etwa sagen 'Ich schaue mir das gerne an', die sexistischen Aufforderungen aber kritisch reflektieren." Für 14- bis 20-Jährige sei Reality-TV normal. "Sie wissen, dass es inszeniert ist", sagt Stehling. Aber: "Sie verbannen deswegen nicht das ganze Format."
Der Protest der Schülerinnen zeige, dass die Zielgruppe das Format kritisch sehe und das Frauenbild hinterfrage. "Ich glaube, dass Bewegungen wie #MeToo und #Aufschrei dazu geführt haben, dass diese Themen präsenter sind. Da sehe ich schon einen Zusammenhang", sagt Stehling. "Man muss aber differenzieren zwischen sexistischen Aufforderungen, wie es sie bei GNTM gibt, und sexualisierter Gewalt." In der Show müssen Teilnehmerinnen zwar in knappen Outfits oder nackt mit Bodypainting posieren. Mit den Übergiffen, die bei #MeToo zur Sprache kommen, kann man das Stehling zufolge aber nicht vergleichen.
Das sieht Medienwissenschaftlerin Jutta Röser von der Uni Münster ähnlich. "Bei #MeToo geht es um sexualisierte Machtausübung, Übergriffe und Gewalt", sagt sie. "GNTM funktioniert ja gerade mit und für Frauen." Auch sie glaubt, dass Zuschauer nicht unbedingt mit dem dort gezeigten Frauenbild einverstanden sind.

ProSieben nimmt die Kritik gelassen

"Seit 13 Jahren wird GNTM immer wieder von Medienwächtern geprüft und als unbedenklich eingestuft", erklärt ein Sprecher. "Aber seit 13 Jahren arbeiten sich auch unterschiedlichste Gruppen an GNTM ab, um für ihre Organisation oder ihr Produkt Aufmerksamkeit zu bekommen." In dem Fall sei das die Organisation Pinkstinks, die hinter dem Protestsong steht.
Hat die Show in Zeiten von #MeToo und #Aufschrei eine Zukunft? "GNTM verändert sich von Jahr zu Jahr", betont der Sprecher. "Und nimmt Veränderungen in der Gesellschaft auf." Jurorin Heidi Klum hatte im Vorfeld erklärt, auch Mädchen "mit tollen Kurven" seien gefragt.

Tatsächlich sind zwei Mädchen noch im Rennen, die nicht auffallend dünn sind. Wie toll Kurven sind, hat Heidi Klum in Sendung zwei beim Oben-ohne-Fototermin am Strand merhfachbetont.
"Ich würde mich sehr wundern, wenn die ganze Debatte einfach so verpuffen würde und es mit GNTM einfach so weitergehen würde", sagt Soziologin Degele aus Freiburg. Aber: "Man sollte nicht denken, dass sich durch #MeToo schon morgen alles ändert", sagt sie. "Solche sozialen Strukturen fallen nicht einfach so ab. Aber es ist gut zu sehen, dass es an immer mehr Stellen hinterfragt wird." (sh/dpa)


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Autor: W&V Redaktion

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