Videowerbung:
Was uns Darmspiegelungen über gute Werbung verraten
Eine Videowerbung so zu gestalten, dass der Konsument sie erinnert – wie das geht, erklärt Jens Oberbeck von Unruly anhand der Peak-End Rule. Wichtig dabei ist vor allem eines: emotionale Höhepunkte.
Immer mehr Werbetreibende investieren viel Zeit und Geld in die Erstellung hochwertiger Videoinhalte. Alles für ein Publikum, das in den meisten Fällen vergisst, einen Spot jemals gesehen zu haben. Erinnerung an die Marke? Fehlanzeige!
Dass Werbeansprache auch effektiver geht, beweist die als Peak-End Rule bekannte psychologische Heuristik. Sie erklärt den starken Zusammenhang zwischen Erinnerungen und emotionalen Höhepunkten und liefert wertvolle Anhaltspunkte zur Gestaltung einprägsamerer Videos.
Was ist die Peak-End Rule?
Laut der vom Verhaltenspsychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman geprägten Peak-End Rule folgen unsere Erinnerungen an Erlebtes keiner rationalen Logik, sie sind vor allem emotional geprägt. Daher würden Erfahrungen, ob positiv oder negativ, auch nicht als Ganzes bewertet, sondern danach, wie wir uns an ihren Höhepunkten und am Ende gefühlt haben. In verschiedenen Experimenten, die von Händen in kaltem Wasser bis hin zu Koloskopien einiges umfassten, erwiesen sich diese Annahmen als zutreffend. (Wenn Sie nicht wissen, was eine Koloskopie ist: Vermeiden Sie die Bildersuche.)
Bei den Darmspiegelungsexperimenten wurden die Untersuchungsteilnehmer nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Während die Hälfte der Teilnehmer der schmerzhaften Prozedur in der normalen Zeitspanne unterzogen wurden, dauerte sie bei den anderen etwas länger, wobei die letzten Minuten weniger schmerzvoll waren. Bizarrerweise fanden die Forscher heraus, dass Patienten, die den längeren Eingriff erlebten, diesen als vergleichsweise weniger unangenehm einstuften. Sie hatten einen positiveren Gesamteindruck und so erhöhte sich sogar die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Besuchs beim gleichen Arzt für zukünftige Eingriffe.
Doch was haben Koloskopien nun mit erfolgreichen Werbespots zu tun? Der prägende Einfluss unseres Gedächtnisses und mögliche Verzerrungen unserer Erinnerungen, sind auch für Werbetreibende hoch relevant. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass der überwiegende Teil von Werbung – selbst wenn sie vom Konsumenten wahrgenommen wird – im Anschluss nicht richtig zugeordnet oder erinnert wird.
Das Studiendesign
Um herauszufinden, ob sich die Implikationen der Peak-End Rule auf die Werbeansprache übertragen lassen, haben wir von Unruly gemeinsam mit Affectiva, einem auf Emotionsmessungen spezialisiertes Technologieunternehmen, und der verhaltenspsychologischen Beratungsagentur Astroten, eine Studie durchgeführt.
Wir haben einem Konsumentenpanel von über 1.200 Menschen Werbespots verschiedener Marken gezeigt. Dabei haben wir die Probanden einer biometrischen Gesichtsanalyse unterzogen, um festzustellen, wie sie emotional reagieren. Die Spots konnten so in drei Kategorien aufgeteilt werden. Videos:
- ohne emotionale Spitzen (Kontrollgruppe)
- mit mehreren emotionalen Höhepunkten
- mit einem emotionalen "Peak" am Ende
Zum Überprüfen der Marken- und Werbeerinnerung wurde eine Woche später etwa die Hälfte der Teilnehmer erneut kontaktiert. So konnten wir herausfinden, an welche Spots und Videoelemente sie sich erinnerten.
Die Peak-End Rule gilt auch für die Werbewirkung
Die Studienergebnisse zeigen: Die Annahmen der Peak-End Rule lassen sich eindeutig auf Marken- und Werbeerinnerung übertragen und untermauern so auch die treibende Kraft, die Emotionen in der Werbeansprache zugeschrieben wird:
- Werbeerinnerung: Werbespots mit Momenten hoher emotionaler Intensität bleiben beim Konsumenten deutlich besser in Erinnerung.
- Werbespots mit mehreren emotionalen Höhepunkten oder einem intensiven Peak am Ende, wurden eine Woche später mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit wiedererkannt.
- Die Werbeerinnerung nahm um 35 Prozent für Videos mit mehreren emotionalen Peaks zu sowie um 43 Prozent für Spots, deren emotionaler Höhepunkt am Ende lag.
- Markenerinnerung: Die Teilnehmer erinnerten sich bei Videos mit emotionalen Spitzen auch deutlich häufiger an die werbende Marke.
- Der Uplift in Bezug auf eine korrekte Markennennung für Spots mit einer emotionalen Spitze betrug im Vergleich zur Kontrollgruppe 110 Prozent. Videos, mit mehreren emotionalen Höhepunkten, erzielten sogar einen Uplift um 220 Prozent.
- Dieser Effekt war besonders ausgeprägt, wenn die Marke während der Momente emotionaler Intensität präsent war.
- Die Dauer der Spots bewies dabei keinen signifikanten Einfluss.
- Dies deutet darauf hin, dass kürzere Spots genauso effektiv sein können wie längere Anzeigen, um Erinnerungsstrukturen auf Grundlage emotionaler Höhepunkte aufzubauen.
Unvergesslich?! Was Werbetreibende und Kreative daraus lernen können
Die Ergebnisse unserer Studie stützen die Peak-End Rule, die wiederum erklärt, warum Werbung mit starken emotionalen Höhepunkten den Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit in Erinnerung bleibt. Eine hohe Werbe- und Markenerinnerung ist ein wichtiges Puzzleteil, um Budgets optimal auszuschöpfen und Brands nachhaltig zu stärken. Werbetreibende und Kreative sind daher gut beraten, wenn sie sich an den Implikationen der Peak-End Rule orientieren, um Kampagnen zu kreieren, an die wir uns auch morgen noch erinnern:
- Wenn Marken den Menschen mit ihren Videos im Gedächtnis bleiben wollen, spielen emotionale Höhepunkte sowie ihre Synchronisation mit Marke und Botschaften eine entscheidende Rolle. Dem sollte beim Erstellen und Optimieren von Kampagnen eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
- Wir können die Erinnerung an ein Werbevideo erheblich steigern, wenn wir am Ende einen oder im Verlauf des Spots mehrere intensive emotionale Peaks erzeugen. Bei kürzeren Videos sollte der Schwerpunkt auf die Schaffung eines herausragenden Spitzenmoments gegen Ende liegen. Längere Spots liefern einen Rahmen für mehrere Höhepunkte.
- Die Markenerinnerung lässt sich maximieren, indem wir sicherstellen, dass die Marke vor allem in den emotionalsten Moment(en) präsent ist und eine Schlüsselrolle spielt. Der Fokus sollte daher nicht nur auf einer emotional fesselnden Geschichte liegen, wie es aktuell oft zu beobachten ist. Vielmehr geht es auch um smarte Timings, die den im wahrsten Sinne des Wortes gefühlten Flow der Story mit Brand und Botschaften in Einklang bringen.
Wie übersetzen wir all das in die Praxis? Mit ein wenig strategischem Geschick und im besten Fall auch noch der richtigen emotionalen Datengrundlage, können wir diese Learnings schon bei der kreativen Kampagnenerstellung einfließen lassen und die emotionalen Spitzen entsprechend setzen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, nachgelagert bereits existierende TV- oder Herospots auf ihre emotionalsten Sequenzen hin zu analysieren und sie datengestützt optimal für die Ausspielung auf allen (weiteren) digitalen Screens zu kürzen.
Über Jens Oberbeck
Jens Oberbeck ist seit vergangenem Jahr als VP Commercial DACH beim Ad-Tech-Anbieter und Videoexperten Unruly an Board und unter anderem für die kommerzielle Strategie sowie die Fortentwicklung von Kunden- und Agenturbeziehungen verantwortlich. Der gelernte Diplom-Kaufmann blickt in seinen über 15 Jahren in der internationalen Digitalbranche unter anderem auf Stationen bei der Amazon Media Group, AdColony, Vibrant Media, InMobi und MiQ Digital zurück.
Unruly hilft Agenturen und Werbetreibenden dabei, datengetrieben eine hohe emotionale Übereinstimmung zwischen ihrer Kampagne und dem Konsumenten zu erzielen. Das Unternehmen adaptiert bestehende Werbevideos für die digitale Verlängerung und steuert sie über den Videomarktplatz UnrulyX in 163 Ländern aus. Mehr als 95 Prozent der Ad Age Top 100 Brands nutzen die Technologie. Seit Januar 2020 gehört Unruly zum Videowerbeunternehmen Tremor International.