2. Wmn-Redakteurin kritisiert traditionelles Rollenbild

Doch was gehört eigentlich dazu? Wie hat Weihnachten eigentlich auszusehen und wie feiert man in Deutschland eigentlich Weihnachten? "Mit unserer diesjährigen Weihnachtskampagne möchten wir unterstreichen, wie wichtig Familie und Zusammenhalt sind. Daher fangen wir alle Momente ein, die zum Weihnachtsfest dazugehören: die lauten und fröhlichen, aber auch die leisen und emotionalen", sagte Lukas Kaiser, kommissarischer Managing Director Marketing and Communications bei Aldi Nord.

So weit so gut. Mona Schäffer vom Wmn-Magazin jedoch findet, Aldi habe hier eine Chance vertan, eine nicht-perfekte Familie zu zeigen. Statt einem heterosexuellen Paar vielleicht ein Queeres, statt einer "Glücklich-bis-an-unser-Lebensende"-Ehe vielleicht eher eine Patchwork-Konstellation. Die Redakteurin räumt ein, dass die Karottenfamilie süß ist und dass heteronormative Beziehungen 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sagt aber: "...allerdings hätte Aldi hier ein Statement setzen können, indem sie eine queere Familie zeigen. Immerhin machen queere Beziehungen gut 15 Prozent der Gesamtbevölkerung aus."

Schäffer kritisiert die Handelskette nicht dafür, was sie gemacht hat, sondern dafür, was sie nicht gemacht hat. Das wiederum führt zu dem Vorwurf der "Diskriminierung durch Nicht-Präsenz". Schäffer schreibt: "Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass gerade in der Werbung mehr auf das Einbeziehen der queeren Community geachtet wird und nicht nur die heteronormative Familie in den Vordergrund gestellt wird."

3. Internet-Gemeinde kritisiert Wmn-Artikel

Genau das wiederum schmeckt der Internet-Gemeinde auf Twitter nicht. Der Artikel wird dahingehend zerrissen, dass hier keine Diskriminierung erkennbar ist, da es sich einerseits um animierte Figuren handelt, andererseits auch ebenjene Mainstream-Figuren in der Werbung weiterhin Platz finden dürfen. 

Einseitige Diversity-Kritik

Zugegeben: Das Thema ist recht komplex und Konzerne haben durch ihre Präsenz und Meinungsführerschaft durchaus eine Mit-Verantwortung, wenn es darum geht, sich für marginalisierte Gruppen einzusetzen, indem sie neue Vorbilder schaffen. Auf der anderen Seite bietet Schäffer auch keinen Ansatz, es besser zu machen: "Leider habe nicht einmal ich eine ideale Lösung, um alle Geschlechter, alle Identitäten und alle Lebensrealitäten einzubeziehen." Eine Bemerkung die insofern weiteren Nährboden für Kritik bietet, da Schäffer zwar von allen Lebensrealitäten spricht, ihr selber aber nur die Punkte "fehlende Queerness" und "heile Familie" sauer aufstoßen. "Als Scheidungskind wünsche ich mir außerdem, dass auch Patchwork-Familien und Familienverhältnisse 'außer der Reihe' in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit bekommen."

Diversity ist jedoch mehr als die Darstellung verschiedener sexueller Orientierungen - was abgesehen davon nicht dasselbe wie geschlechtliche Identifikation ist - und Patchwork. Denn die Mitglieder der Karottenfamilie erfüllen metaphorisch noch weitere "Norm-Kriterien", da sie schlank und gerade gewachsen sind, keine Auswüchse haben, mit denen sie nicht im Handel landen würden, sich ohne Einschränkungen bewegen können und denselben Schalenton besitzen. Und warum besteht die Familie eigentlich nur aus Karotten und nicht auch aus Pastinaken und Roter Bete? Oder warum haben alle sehr deutsch klingende Namen? Auf den sozialen Status und den Bildungsgrad deutet zwar nichts hin, doch wenn man schon wie die Redakteurin ein solches Fass aufmacht, dann könnte man auch an die marginalisierten Gruppen denken, zu denen man selber nicht gehört. Stichwort "Diskriminierung durch Nicht-Präsenz".


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Autor: Marina Rößer

Marina Rößer hat in München Politische Wissenschaften studiert, bevor sie ihre berufliche Laufbahn in einem Start-up begann und 2019 zu W&V stieß. Derzeit schreibt sie freiberuflich von überall aus der Welt, am liebsten in Asien, und interessiert sich besonders für Themen wie Nachhaltigkeit und Diversity.