
Debatte:
Wie unterschätzt ist der Anteil digitaler Werbespendings?
Digitale Werbung nur bei zehn Prozent Marktanteil? Das findet Netzwerkreklame-Geschäftsführer Wolfgang Thomas massiv unterschätzt - und wirft als Gegenvorschlag 24 Prozent in den Raum.

Foto: Netzwerk Reklame
„Stimmen Sie Wolfgang Thomas' Zahlen zu?”
Hinter die Zahlen zu digitalen Werbespendings machen viele im Markt ein Fragezeichen. Denn große Teile sind nicht hinreichend erfasst oder ausgewiesen. Wolfgang Thomas, Geschäftsführer von Netzwerkreklame, stellt in einem Debattenbeitrag für W&V jetzt offensiv den Erhebungen von ZAW, Nielsen und OVK eigene Daten gegenüber.
Die digitale Werbung hat in den letzten Jahren bekanntlich ein beeindruckendes Wachstum hingelegt, allerdings ist die konkrete Bezifferung nach wie vor ein Problem. Je nachdem, wer gefragt wird und wie die Frage interpretiert wird, gibt es eine ganze Fülle alternativer Fakten.
Dabei ist die Frage, wie viel Geld für Werbung in digitalen Medien ausgegeben wird sowohl für Nachfrager als auch Anbieter interessant: Werbekunden suchen nach einem Vergleichsmaßstab, welche Anteile für die einzelnen Mediagattungen derzeit üblich sind. Medienhäuser brauchen diesen Benchmark für Investitionsentscheidungen sowie zur Einschätzung ihrer Relevanz am Markt.
Nun ist die Berechnung von Werbespendings auch für klassische Medien keine triviale Angelegenheit. Die zwei bekanntesten Quellen in Deutschland sind die Nielsen Bruttowerbestatistik sowie die ZAW-Nettospendings. Die Nielsen-Zahlen basieren auf Meldungen der (deutschen) Vermarkter, differenziert nach Werbeträgern, Unternehmen und Produkten. Die gebuchten Anzeigen und Spots werden mit dem jeweiligen Listenpreis vor allen Rabatten bewertet.
2016 waren dies für das Internet 2,936 Milliarden Euro zuzüglich 517 Millionen Euro für Mobile. Als Marktanteil entspricht dies 9,5 Prozent plus 1,7 Prozent, also gut 11 Prozent vom Gesamtwerbemarkt für Digital.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die ZAW, wenn auch mit anderen absoluten Zahlen, da hier ja die Rabatte bereits abgezogen sind. Online und Mobile wird für 2015 mit 1,424 Milliarden Euro netto bewertet, was bei einem Gesamtmarkt von 15,2 Milliarden Euro einem Anteil von 9,4 Prozent entspricht.
Der niedrigere Marktanteil für Digital resultiert unter anderem daraus, dass die ZAW auch weitere Medien wie Anzeigenblätter und Verzeichnismedien berücksichtigt. An diesen Zahlen orientiert sich übrigens auch der Onlinevermarkterkreis (OVK) im BVDW, der den digitalen Werbemarkt 2016 jüngst mit 1,785 Millionen Euro beziffert hat.
Nun liegen 9,4 oder 11 Prozent hinreichend nah beisammen, die Wahrheit könnte in der Mitte liegen – wären nicht beide Zahlen grotesk falsch. Tückisch ist nämlich das Kleingedruckte: sowohl Nielsen als auch die ZAW erfassen wichtige Onlinegattungen überhaupt nicht. Es fehlen vor allem:
- Suchmaschinenmarketing (also v.a. Google)
- Bewegtbildwerbung auf Plattformen wie Youtube
- Social Media (v.a. Facebook)
- Programmatic Advertising (u.a. die großen US-AdExchanges) und
- Affiliate Marketing
(Anmerkung der Redaktion: Laut OVK wird Facebook berücksichtigt, allerdings auf Grundlage von Markteinschätzungen, nicht gemeldeten Zahlen. Branchenakteure gehen davon aus, dass die angesetzten Zahlen Facebooks Anteil unterschätzen.)
Ein digitaler Werbemarkt ohne Google und Facebook?
In den USA wird aktuell geschätzt, dass von jedem digitalen Werbedollar 75 Cent bei Google und Facebook landen. In unserer Netzwerkreklame Studie "Digital Spendings", die wir 2017 zum zweiten Mal veröffentlicht haben, zeichnet sich ein vergleichbares Bild. Hierbei ergänzen wir die Nielsen-Zahlen mit den fehlenden Instrumenten durch eigene Recherchen zum Beispiel in der Finanzkommunikation von Google und Facebook.
"Würden die Hallenflächen bei der Dmexco proportional zu Marktanteilen verteilt, hätten Google und Facebook gleich zwei ganze Hallen für sich allein."
Das Ergebnis ist ein drastisch höherer Marktanteil im Vergleich zu den klassischen Medien: Für 2016 kommen wir auf ein Marktvolumen von 8,7 Milliarden Euro für digitale Werbung. Dies entspricht im Vergleich zu den Nielsen-Spendings einem Aufschlag von 5,2 Milliarden Euro oder 152 Prozent. Entsprechend drastisch ändert sich der Marktanteil für digitale Werbung von 10 bis 11 Prozent auf über 24 Prozent.
Es ist also höchste Zeit, den Unsinn von zehn Prozent Marktanteil für digitale Werbung zu beenden. Diese Darstellung mag für deutsche Medienhäuser schmeichelhafter sein, verstellt aber komplett den Blick auf die Realität: auch der deutsche Werbemarkt wird digital immer stärker durch die global agierenden großen Player dominiert. Würden die Hallenflächen bei der Dmexco proportional zu Marktanteilen verteilt, hätten Google und Facebook gleich zwei ganze Hallen für sich allein.
Werbetreibende sollten sich an einer Größenordnung von einem Viertel des Werbebudgets für Digital gewöhnen, weltweit wurde kürzlich von Zenith sogar ein digitaler Marktanteil von über 30 Prozent ermittelt. Natürlich kann dieser Anteil je nach Kommunikationsziel und Zielgruppe nach oben und unten abweichen, als Orientierung taugt ein Viertel für Digitales allemal mehr als die immer mal wieder kursierenden 10 Prozent.