ADC 2018:
ADC-Jurychairman Richard Jung: "Zukunftsthemen kommen zu kurz"
Die ADC-Woche 2018 beginnt in Hamburg mit den zweitägigen Jurysitzungen. Zur Einstimmung gibt es hier das Interview mit dem diesjährigen Jurychef, dem Designprofessor Richard Jung, der unter anderem das Fehlen extravaganter Ideen im Influencermarketing bedauert.
W&V: Herr Jung, was sind die Besonderheiten beim diesjährigen ADC-Festival?
Richard Jung: Das Besondere am ADC Award ist 2018, dass er wie kein anderer deutschsprachiger Wettbewerb die Vielfältigkeit, die Expansion und damit auch die Bedeutung der Kommunikationsbranche darstellt. Thematisch besinnt er sich mit „Fütter deine Kreativität“ zurück auf das, was für die Branche, den ADC und den Wettbewerb sinnstiftend ist: Kreativität.
Sagt sich ja gern mal. Warum ist Kreativität in Ihrer Sicht „sinnstiftend“?
Kreativität ist die Existenzberechtigung der Branche. Denn wir leben in einer Region der Welt, die uns viele Möglichkeiten und sehr viel Auswahl bietet. Das ist das Gute. Der Haken an der Sache: Auswahl ist anstrengend, denn Auswahl bedeutet Qual der Wahl, aber auch: Wettbewerb. Wettbewerb bedeutet, ich muss vorne sein, wenn ich erfolgreich sein will. Vorne bin ich nicht, wenn ich den Durchschnitt, die Norm zum Maßstab meines Handelns mache. Mittelmaß ist langweilig. Es gibt keine Ecken, keine Kanten, keine Differenzierung und damit keine Wahrnehmung. Durchschnitt gibt keinen Grund, sich für etwas zu interessieren, etwas auszuwählen, haben zu wollen. Da nutzt Ihnen weder Big Data, noch die beste IT-Infrastruktur oder der genaueste Programmatic-Algorithmus. Kreativität ist das Öl im Getriebe der Marktwirtschaft.
Welche Favoritenprojekte sind Ihnen bislang aufgefallen?
Da halte ich mich lieber zurück, ich sollte als Jurypräsident neutral bleiben und kein Jurymitglied durch Bewertungen konkreter Arbeiten beeinflussen.
Anders gefragt: Welche Trends sehen Sie im Design? In der Werbung?
Trends sind Züge, auf die jeder schnell auf- und abspringt, da sind wir wieder beim Durchschnitt und der ist, wie gesagt, nicht kreativ. Augenscheinlich waren das vor allem die zahlreichen sogenannten emotionalen Weihnachtsfilme à la Harvey Nicols. Ich denke, es gibt mindestens ein kreatives Beispiel, das diese emotionale Weihnachtsnorm durchbrochen und deshalb auszeichnungswürdig sein wird. Im Grafikdesign sind Retrogestaltungen der 80er- und 90er-Jahre, multiple Farbigkeit und entsprechende Illustrationen angesagt, darüber hinaus viel Bewegung, genauer Gifs und Animationen. Im Corporate Design erscheinen zunehmend sogenannte responsive Logos, die – was man bisher nur von Webseiten kennt, sich unterschiedlichen Endgeräten anpassen. Das sind aber nur Trends und keine kreativen Ideen.
Sonstige Auffälligkeiten?
Interessant finde ich die Unterkategorie „Influencermarketing“, ein gigantisches kreatives Spielfeld auf dem fast nur Durchschnittliches passiert. Würde mich freuen, hier mal überrascht zu werden.
Was kommt zu kurz?
Definitiv die Zukunftsthemen wie Virtual- und Augmented Reality oder Data-driven Creativity. In dieser Kategorie hatten die Telekom und Saatchi & Saatchi vergangenes Jahr eindrucksvoll mit „Sea Hero Quest“ gezeigt, was möglich ist, aber war das alles? Dass wir nicht mehr auszeichnen können, liegt entweder daran, dass viele Kreative in dieser Disziplin den ADC noch nicht im Relevant Set haben und leider nichts einsenden oder aber daran, dass sich die Protagonisten zu sehr mit der Technologie auseinandersetzen und dabei vergessen, genügend Hirnschmalz in überraschende und überzeugende Anwendungen zu investieren.
Richard Jung lehrt an der Hochschule Niederrhein. Davor arbeitete er als Art- und Kreativdirektor und Geschäftsführer für Agenturen wie Springer & Jacoby und Scholz & Friends. Alles zum diesjährigen ADC-Festival lesen Sie außerdem in der neuen W&V-Ausgabe (Heft 16/2018).