Creative Intelligence beginnt mit Wissen

Gerade in der Ideenentwicklung ist mehr denn je das nötig, was nun auch der ADC in seinem Festivalmotto 2019 postuliert: Creative Intelligence. Was im Kern heißt: Es ist zielführender, datenbasiertes Wissen über Menschen zu haben, denen man etwas verkaufen möchte.

Dieses heute so enorm vielfältige Wissen kann auch der empathischste Kreative nicht mehr aus seiner eigenen Erfahrung und Lebenswirklichkeit imaginieren. Wer für eine Marketingaufgabe kreativ sein will, muss mit Creative Intelligence arbeiten und Kollege Data fragen.

Doch diese ideale Welt hat mit dem gelebten Agenturalltag relativ wenig zu tun.

"Ich glaube" ersetzt "ich weiß"

Die zunehmende Komplexität von Kreationsaufgaben, immer schnellere Werbe- und Kampagnenzyklen, ein Realtime-Tagesgeschäft in Social Media, geöffnete Märkte mit verschwimmenden Branchengrenzen und die immer stärker ausdifferenzierten Zielgruppen haben das Werbegeschäft für Agenturen nicht unbedingt leichter gemacht. Vieles muss unter unglaublichem Zeit- und Budgetdruck entwickelt werden.

Wer in diesem Kontext kreativ sein soll, mag sich oft nicht von langatmiger Konsumentenforschung ausbremsen lassen. In kreativer Notwehr wird dem Arbeitspensum begegnet und die Abkürzung über persönliche Einschätzungen genommen. Gesunder Menschenverstand heißt das dann.

Und natürlich gibt es ergänzend dazu immer noch den Agenturklassiker: Strategische Argumentationen und Präsentations-Vorläufe, die kurz vor knapp dann um das kreative Produkt herumgestrickt werden.

Eine gefährliche Strategie für Agenturen, denn hier produziert man zwar Kopfnicker-Charts, die kurzfristig in einem Pitch eine Idee verkaufen, aber die nicht unbedingt nachhaltig Erfolg in der Zielgruppe und im Markt gewährleisten.

Zu viele Daten, zu viel Berührungsangst

Zum Glück ist Marketing-Deutschland eines der am besten erforschten Länder der Welt. Böse Zungen behaupten sogar, der deutsche Markt ist branchenüberreifend überforscht. Die Data-Berührungsängste von Kreativen sind mit Sicherheit auch auf diese enorme Datenfülle zurückzuführen.

Was ist wirklich relevant? Wie schnell bekomme ich Zugang zu den Erkenntnissen? Muss ich mir das umständlich von jemandem erklären lassen? Bremst mich das Zuviel an Wissen aus? Kreative hadern damit, Daten über Konsumenten, Märkte und Wettbewerber frühzeitig in ihre Überlegungen einzubeziehen und für die Ideenfindung zu nutzen.

Warum eigentlich? Daten können ein Quell der Inspiration sein, wenn es darum geht, die Menschen hinter dem spröden Zielgruppen-Cluster zu verstehen und zu erreichen. Gute Zielgruppenstudien hat eigentlich jeder Kunde in der Schublade, man findet darin so ziemlich alles: Persönlichkeitsmuster, Gewohnheiten, Rituale, Wünsche, Antriebe, Einstellungen. Wenn man sie denn ohne Hilfestellung findet, denn gut aufbereitete Zielgruppen-Studien sind immer noch viel zu selten.

Keiner braucht Daten, die langsam machen

Die knallbunte, 350 Charts schwere Old-School-Mafo-Powerpoint hat zu Recht wenig Freunde unter Kreativen. Datenfülle verstellt hier meist den Blick auf das, was in der Hektik des kreativen Tagesgeschäfts mit zahllosen Channels und Touchpoints wirklich interessant wäre.

Deshalb wird die aktuelle Datenlage gerne mal links liegengelassen und die Abkürzung über Intuition und Erfahrung genommen. Nicht zuletzt, weil jede Nachfrage beim forschenden Institut einen Termin mit dem federführenden Welterklärer nach sich zieht.

Die visuelle Sprache der Daten

Wer allerdings schon mal erlebt hat, was eine hochperformante Datenvisualisierungssoftware wie Tableau aus schwer zugänglichen großen Datensätzen macht, erkennt das Potenzial, das schnell verfügbares Wissen auch dem kritischen Kreativen bieten kann – eine wahre Freude, hier in dynamische Infografiken einzutauchen und relevante Insights (selbst) zu finden.

Datenvisualisierungssoftware gibt Unternehmen und ihren Agenturen einen echten Wettbewerbsvorteil. Weil – und es ist tatsächlich so einfach – vorhandenes Wissen endlich nutzbar gemacht wird und Markenverantwortliche befähigt werden zu erkennen, was ist.

Für viele Kreative ist datengestütztes Arbeiten trotzdem ein echter Paradigmenwechsel. Zu wirkmächtig ist das negative Bild einer einengenden Präzision von Erkenntnissen, die der kreativen Spielwiese das Wasser abgräbt. Schnell wird die Leidensgeschichte vom verhinderten Künstler ausgerollt. Der Künstler, der sich im strengen Korsett der Daten nicht entfalten kann, der kreativ eingeengt wird und irgendwann sogar selbst eingeht, wie eine falsch gedüngte Pflanze. Man hätte ja gekonnt, wären da nicht diese Statistiken, Zielgruppen-Auswertungen und nüchternen Fakten gewesen.

Wer allerdings als Kreativer begriffen hat, dass ein tiefes Verständnis für Zielgruppen und Märkte eine sehr solide Argumentationsbasis gegenüber Kunden und Entscheidern ist, ist klar im Vorteil. Auch im Pitch.

Gegen eine datengestützte Idee wirkt alles andere nur zufällig und beliebig.

*) Olaf Oldigs ist Mitgründer und geschäftsführender Gesellschafter von Markendienst, einer Unternehmensberatung für datenbasierte Markenführung mit Standorten in Hamburg, Nürnberg und Berlin.


Autor: W&V Gastautor:in

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