Zur Generation Y hat Strerath deutliche Ansichten:

"Früher hatten Eltern viele Kinder. Heute haben Kinder viele Eltern. Sie sind Einzelkind in einer Patchwork-Familie und haben vier Eltern mit schlechtem Gewissen, die ihnen selbst beim Purzelbaum zujubeln. Diese Menschen haben das Gefühl, dass sie privilegiert sind. Natürlich bekommen wir in der Ausbildung mit, dass mal jemand meint, alle hätten nur darauf gewartet, dass er sein Video präsentiert. Aber das passt nicht zu uns."

In der Vorversion hatte noch gestanden, auch wer gleich über seine Work-Life-Balance sprechen wolle, der sei falsch bei Jung von Matt. Nun sagt Strerath: "Ich hoffe schon, dass die Mitarbeiter eine Work-Life-Balance haben und die Agentur hat auch die Verpflichtung, dies zu ermöglichen. Aber manchmal bekommt man das Gefühl, dass die neue Generation von ihrem Arbeitgeber mehr erwartet, als man selbst zu leisten bereit ist."

Einen weiteren Grund, weshalb der Werbebranche Attraktivität abhanden kommt, wähnt er beim Kunden.

"Wir stellen fest, dass eine gewisse Unentschiedenheit in Konzernen zunimmt. Karrieren im Großkonzern entstehen vor allem durch Fehlervermeidung. Man macht dort Karriere, weil man nie einen Fehler gemacht hat. Man macht aber nicht Karriere, weil man etwas besonders richtig gemacht hat. Wir sehen immer mehr Entscheider, die sich nicht trauen, die Sachen, die wir ihnen vorstellen, zu realisieren."

Strerath verweist auf Edeka und #Heimkommen. "Wenn wir also solche Leuchttürme nicht mehr haben, kriegen wir keine guten Mitarbeiter. Entsprechend hart müssen wir von unseren Kunden verlangen, dass sie uns zu solchen Leistungen beauftragen."

Der perfekte Arbeitsplatz ist bei Jung von Matt vor allem eines: leer. Strerath: "Ähnlich wie bei anderen kreativen Agenturen ist es hier nicht gewollt, eine zu extreme private Gestaltung des Arbeitsplatzes vorzunehmen."

"Wir sagen: Je freier der Schreibtisch ist, desto klarer sind die Gedanken. Und wir brauchen sehr fokussierte, sehr zugespitzte Gedanken."

In der Vorversion lautete es noch: "Hier ist es den Leuten verboten, eine private Gestaltung des Arbeitsplatzes vorzunehmen (...) Kreatives Chaos existiert hier nicht."

Teamarbeit schätzt man bei Jung von Matt ebenso wenig wie kreatives Chaos: "Wir glauben auch, dass Teamarbeit komplett überschätzt wird." Strerath zitiert David Ogilvy, der Teamarbeit "eine Verschwörung der Mittelmäßigkeit" nennt und weist darauf hin, dass die größten Werbeideen in der Regel von einer einzelnen Person stammten: "Und diese ist nicht unbedingt sozialverträglich."

 "Es gibt Agenturen, die wollen den geringsten Arschloch-Faktor in der Branche haben. Das ist erst einmal wünschenswert. Exzellenz bedingt aber auch kantige und manchmal schwierige Persönlichkeiten, Sie müssen sie nur gut einbinden."

Dass Meetings bei Jung von Matt grundsätzlich im Stehen stattfinden, wusste man schon. Neu ist, wie wenig Strerath grundsätzlich von Meetings hält:

"Ich weiß, dass Konzernmitarbeiter oft von 9 bis 18 Uhr in Meetings sitzen. Da frage ich mich, was in all den Meetings so entsteht: Ein Unternehmen trifft sich mit sich selbst. Was ist der Effekt davon? Wir machen genau das Gegenteil: Wir müssen unsere Leute aus den Meetings heraushalten. Sie sollen den zeitlichen Freiraum haben, an den Sachen intensiv zu arbeiten."

Wer übrigens eine Minute zu spät zum JvM-Meeting erscheint, hat keine Chance mehr, daran teilzunehmen: Die Türen sind dann geschlossen.

Strerath glaubt daran, dass die Kreativen möglichst nicht abgelenkt werden sollen und ihre Ruhe brauchen. Kreative sollten eigentlich alleine sein oder mit einem Partner kleine Gruppen bilden.

"Die normale Arbeitswelt bei unseren Kunden und auch bei vielen Agenturen ist so, dass man 20 Mal unterbrochen wird. Das führt aus unserer Sicht zu einem hohen Qualitätsverlust. Deswegen sagen wir, dass wir gerade die Kreativen davon völlig freihalten müssen. Deswegen eine Denkzelle, keine E-Mails, keine Telefonate, um große Werkteile am Stück bearbeiten zu können."

Strerath ist übrigens Berater, die kreative Federführung der Agentur hat noch immer Mit-Gründer Jean-Remy von Matt inne. "Inspiration ist zu planen", sagt Strerath weiter.

In der ersten Version seines Interviews wählte Strerath deutlich harschere Worte. Unter welchen Umständen das Interview zustande gekommen war und ob es tatsächlich zunächst unabgestimmt veröffentlicht worden war, dazu wollte sich die Unternehmensberatung Detecon auf W&V-Nachfrage nicht äußern. "Wir sagen zu dem Fall nichts mehr", so ein Unternehmenssprecher.


Autor: Daniela Strasser

Redakteurin bei W&V. Interessiert sich für alles, was mit Marken, Agenturen, Kreation und deren Entwicklung zu tun hat. Außerdem schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Neuerdings sorgt sie auch für Audioformate: In ihrem W&V-Podcast "Markenmenschen" spricht sie mit Marketingchefs und Media-Verantwortlichen über deren Karrieren.