Gastbeitrag von Mark Curtis:
Warum es in Cannes nicht mehr um die "Big Idea" geht
Allein mit besserer Werbung können sich Marken nicht mehr von der Konkurrenz abheben. Diese Erkenntnis hat Folgen für das Cannes-Festival, sagt Fjord-Mitgründer Mark Curtis.
Lassen Sie sich bei den Cannes Lions nicht von gehypten, als „disruptiv“ angepriesen Projekten ablenken. Schauen Sie stattdessen auf Marken, die dabei sind, ihre Einstellung zu Verbrauchern zu verändern. Marken, die den Spieß umdrehen – und nicht die Loyalität der Kunden suchen, sondern alles daransetzen, selbst loyal zu werden.
Loyale Marken passen sich ständig den Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Kunden an, um relevant und hilfreich zu bleiben. Denn nur so können Unternehmen heute noch nachhaltig wachsen. Bei Fjord nennen wir diesen Ansatz „Living Business“. Ein solches Unternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass es Produkte, Dienstleistungen und Erlebnisse liefert, die sich an die wandelnden Lebensumstände und Bedürfnisse ihrer Kunden anpassen und damit niemals belanglos werden.
Keine wohlfeilen Botschaften: Marken müssen für User einen echten Unterschied machen
Warum ist das wichtig? Auf Schritt und Tritt werden Verbraucher bombardiert: mit Promotions in Social-Media-Kanälen, mit Produktempfehlungen auf E-Commerce-Seiten, mit Sonderangeboten im Handel. Der Qual der Riesenauswahl kann eine Marke auch mit immer besserer Werbung und Kommunikation nur begrenzt begegnen.
Hinzu kommt: Veränderungen der Gesellschaft und der ungebremste digitale Wandel verändern das Umfeld für Unternehmen und Marken, zum Teil gravierend. Das zwingt sie zum Umdenken: Zukünftig müssen sie ihre Ressourcen und ihr Wissen vermehrt dafür einsetzen, das Leben der Menschen zu verbessern, anstatt sie mit immer neuem Kram zu überschütten.
Deshalb bin ich bei den diesjährigen Cannes Lions vor allem auf Einreichungen gespannt, die zeigen, wo Marken bereits neue Wege gehen – zum und mit dem Kunden. Zum Beispiel mit Arbeiten, die einen echten Unterschied für Menschen machen und es nicht bei wohlgemeinten Botschaften belassen. Natürlich mag ich mitreißende Werbekampagnen. Noch lieber ist es mir, wenn auch wirklich Substanz dahintersteckt.
Das Festival bringt hoffentlich auch abteilungsübergreifende Initiativen zu Tage, bei denen u. a. Marketing, Digital, Kundenservice gemeinsam an der bestmöglichen Customer Experience arbeiten, an allen Ecken und Enden. Das krasse Gegenteil: die immer noch verbreitete Praxis, im stillen Kämmerlein die „Big Idea-Kampagne“ zu entwickeln. Gerade erst hat eine Untersuchung von Accenture zu Living Business ergeben: 93 Prozent der erfolgreichsten Unternehmen verlassen sich nicht auf Ideen aus dem Silo, sondern richten jeden Geschäftsbereich an den Kundenbedürfnissen aus.
Kundenerlebnisse, die das Leben bereichern, bringen nachhaltigen Erfolg
Was wäre, wenn eine Bank Wege fände, ihren Kunden jederzeit deren finanzielle Situation vor Augen zu führen – und ihnen damit hilft, Überziehungen zu vermeiden oder etwas anzusparen? Und zwar an jedem Touchpoint, also in einer App, beim Online-Banking am PC, in der Filiale und per Messaging-Bot. Das wäre doch eine Auszeichnung wert. Ein starkes Werbemotiv könnte sogar Teil dieses Gesamtpakets sein.
Den Reiz, sich zu einer loyalen Marke zu entwickeln, macht vor allem eins aus: Es ist der beste Weg, um loyale Kunden zu gewinnen. Im Grunde ist es nur ein neuer Weg zum gleichen Ziel. Die Unternehmen und Marken, die ich als Living Business bezeichne, haben eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, Disruptionen erfolgreich standzuhalten, und eine dreimal so hohe Chance, überdurchschnittliches Umsatz- und Gewinnwachstum zu erzielen.
Kundenerlebnisse, die das Leben der Verbraucher wirklich bereichern, sind um einiges mehr wert als jede Branchenauszeichnung – selbst als ein Cannes-Löwe. Zugeben, der Löwe hat mehr Glamour. Er liefert aber auch den deutlich kurzlebigeren Erfolg.
Über den Gastautor:
Mark Curtis ist Mitgründer und Chief Client Officer von Fjord, einer internationalen Service-Design-Beratung, die 2013 von Accenture übernommen wurde.