
Gastbeitrag von Dominik Reisig:
Adblock-Nutzer finden Werbung gar nicht so schlecht
Wenn die Adblocker-Quote steigt, muss für hochwertige Medieninhalte bezahlt werden. Dabei sind Adblock-Nutzer nicht unbedingt Werbehasser. Wie die Branche gegensteuern kann, verrät Dominik Reisig von AdDefend.

Foto: AdDefend
Gibt es qualitativ hochwertige Medieninhalte bald nur noch für Besserverdiener? Denn das wäre eine Konsequenz, wenn die Adblocker-Quote weiter steigt, warnt Dominik Reisig, CEO des unabhängigen Adblock-Advertising-Anbieters AdDefend. Dabei seien Adblock-Nutzer gar nicht unbedingt Werbehasser. Was die Branche jetzt tun muss, um gegenzusteuern.
Kaum ein Thema wird aktuell so kontrovers diskutiert wie Adblocking. Erneut Öl ins Feuer gegossen wurde erst Mitte August durch das Urteil des Oberlandesgerichts München, das den Ansichten der klagenden Medienunternehmen nicht gefolgt war und zu Gunsten des Adblocker-Anbieters Eyeo entschieden hat. Jetzt geht es in die nächste Instanz.
Die Fronten zwischen Publishern und Adblock-Anbietern sind verhärtet. Doch wenn man über Adblocking spricht, lohnt eine diversifizierte Betrachtung. Denn nicht nur Publisher und Medienhäuser sind hier im Spiel, die großen Browser-Anbieter, allen voran Google, mischen ebenfalls kräftig mit. Währenddessen wird oft vergessen, dass es weitere Beteiligte gibt, wie zum Beispiel die Advertiser, deren Stimmen in diesem Zusammenhang nur selten Gehör finden. Und doch sind es die Werbetreibenden, die aufgrund von Adblocking auf die Ansprache von mindestens 25 Prozent ihrer Zielgruppe verzichten müssen.
Starten wir also mit den Fakten und einem weiteren oftmals übergangenen Beteiligten – dem Nutzer und der Frage nach dem Warum. Ist es die Ablehnung von Werbung per se, die für einen Werbeblocker spricht?
Adblock-Nutzer = Werbehasser?
Nach allen Studien und Befragungen, die es dazu gibt, ist die Antwort ein klares Nein. Ganz im Gegenteil: 30 Prozent nannten gegenüber dem Anti-Adblock-Spezialisten PageFair Sicherheitsaspekte und weitere 29 Prozent die Unterbrechung des Nutzererlebnisses als primäre Gründe für die Installation eines Adblockers. Weitere 16 Prozent entschieden sich für einen Blocker, damit Seiten wieder schneller laden, und nur 14 Prozent gaben "zu viele Ads" als Grund für ihre Entscheidung an.
Und auch bei der Art der Werbeanzeigen differenzieren Adblock-Nutzer ganz genau. Nach den abgelehnten versus präferierten Werbeformaten befragt, nannten sie am roten Ende der Skala Videoanzeigen, die nicht übersprungen werden können sowie Audio-Ads, die automatisch starten. Auf der Seite der bevorzugten Anzeigen wurden statische Displayanzeigen angeführt.
Doch eine Adblocker-Software differenziert nicht. Einmal installiert fragt sie nicht danach, was der Nutzer ursprünglich damit bezweckt hat. Sie kappt auch nicht nur die als disruptiv und aufdringlich empfundenen Formate wie contentüberlagernde Pop-overs, sondern jegliche Werbung auf jeglicher Seite; auch auf Websites von Publishern, die ihre Premiuminhalte kostenlos und frei zugänglich halten möchten und dafür Werbeeinnahmen benötigen.
Hinzu kommt, dass in einer Befragung ganze 65 Prozent der Deutschen angaben, den Begriff Adblocker nicht zu kennen, was wiederum die Vermutung nahe legt, dass viele Adblock-Nutzer gar nicht wissen, dass sie einen Werbestopper verwenden.
Jeder vierte Internet-Nutzer sieht in Deutschland keine Werbung mehr
Die Adblocker-Rate hierzulande steigt nach vier Quartalen sinkender Raten seit nunmehr zwei Quartalen auf aktuell 20,4 Prozent wieder beständig an und liegt sogar um einen Prozentpunkt über dem Wert des Vorjahres. Ein deutliches Zeichen, dass es sich um einen gesättigten Markt handelt und man davon ausgehen darf, dass auch in Zukunft weder erhebliche Wachstumsraten noch Einbrüche dieser Quote zu erwarten sind und sich die Nutzung bei 20 Prozent einpendeln wird.
Nimmt man noch diejenigen Nutzer hinzu, denen das Adblocking als Nebeneffekt anderer Software mit verkauft wurde, liegt der Anteil der nicht mit regulärer Displaywerbung zu erreichenden Gruppe der Online-Nutzer nach unseren Messungen bei 25 Prozent.
Einen defacto Adblocker gibt es zum Beispiel im Rahmen des Privacy Modes bei Firefox. Auch an dieser Stelle sind es primär Sicherheits- und Privacy-Bedenken, die zur steigenden Popularität des privaten Surfens beitragen – doch auch hier ist der Kollateralschaden für Publisher, dass sie ihre Seiten nicht mehr monetarisieren können und die Nutzer Inhalte konsumieren, ohne dafür mit ihrer Aufmerksamkeit für ausgespielte Anzeigenwerbung zu bezahlen.
Das bedeutet: Jeder vierte Online-Nutzer ist über herkömmliche Displaywerbung nicht erreichbar. Ein immenser Schaden für Publisher, der von PageFair für das Jahr 2016 mit rund 41 Milliarden US-Dollar weltweit geschätzt wurde - mit den bekannten Konsequenzen für unsere Medienlandschaft, für die Bezahlschranken immer attraktiver werden.
Es besteht die Gefahr, dass nur noch Besserverdienende ausgewogene, qualitativ hochwertige Inhalte aufrufen werden können. Denn nur mit Werbung bleibt der freie Zugang zu differenzierten Inhalten auf lange Sicht gesichert. So ist der Nutzer der eigentliche Verlierer Nummer 1: Er verliert die Kontrolle darüber, welche Anzeigen er nicht mehr zu sehen bekommt – und ist auch noch dafür verantwortlich zu machen, dass Inhalte in Zukunft vermutlich weitaus öfter mit barer Münze zu bezahlen sind.
Viel in Bewegung, jedoch wenig Konsequenz
Neue Bewegung dürfte ins Spiel kommen, sobald Google im nächsten Jahr seinen neuen Chrome Browser auf den Markt bringt. In einer Vorversion, die derzeit getestet wird, ist ebenfalls ein fest integrierter Werbeblocker enthalten. Und auch von etwa 1000 blauen Briefen ist die Rede, die Google an all jene ein Prozent der Webseitenbetreiber verschickt haben soll, die vom neuen Adblocker besonders betroffen sein werden, da sie Werbeformate wie Popups, Autoplay-Videos mit Ton oder Vorschaltseiten nutzen.
Nachdem es heute bereits primär und mit mehr als 60 Prozent Anteil die Chrome-Nutzer sind – gefolgt von Firefox – die Adblocker einsetzen, ist zu erwarten, dass die tatsächliche Auswirkung auf die Adblock-Rate minimal sein wird. Eventuell könnte es für neue Nutzer weniger attraktiv sein, einen regulären, sprich zusätzlichen Adblocker einzusetzen – aber man darf auch nicht erwarten, dass sich eine große Mehrheit der heutigen Adblock-Nutzer entscheidet, ihre bereits installierte Software zu deaktivieren. Die Rate sollte also relativ konstant bleiben.
Die durchschlagende Wirkung von Gerichtsurteilen sollte zudem in Frage gestellt werden. Geld, das derzeit in Anwälte investiert wird, könnte der Suche neuer Wege dienen, um die verlorene Reichweite zu reaktivieren.
Advertiser: Chance verpasst
Auf der Verliererseite ebenfalls ganz weit oben – jedoch fast noch öfter übersehen – werden bei der Diskussion die Werbetreibenden selbst, die mit ihren Bemühungen 25 Prozent des Marktes auf regulärem Weg nicht mehr ansprechen können.
Wobei die Zielgruppe der Adblock-Nutzer durchaus extrem spannend für Advertiser ist. Erstens erhalten diese Nutzer weitaus weniger Werbung als andere – und haben dadurch einen geringeren Sättigungsgrad. Zweitens handelt es sich um die attraktive Zielgruppe internetaffiner Nutzer mit hohem Bildungsstand (55 Prozent mit Abitur oder Hochschulabschluss, Stand 2015, Statista). Da bei den unter 29-Jährigen die Adblocker- (bzw. Anti-Tracking-Software-) Rate laut YouGov (Juni 2016) bei über 50 Prozent liegt, können es sich Werbetreibende schlichtweg nicht leisten, diese Zielgruppe komplett zu ignorieren.
Kreative Ansätze sind gefragt. Die Coalition for Better Ads verfolgt einen guten und wichtigen Weg, um Werbung besser zu machen und damit ihre Akzeptanz zu steigern. Und auch Advertiser wie StayFriends, Fernet Branca und Walbusch zeigen, dass an Adblock-Nutzer ausgespielte attraktive Displaykampagnen nicht nur einfach "funktionieren", sondern sogar überdurchschnittlich hohe Performance-Kennzahlen aufweisen können.