Wie sich der Nachwuchs beweisen muss

Was sie auf der großen Business-Bühne draufhaben, müssen die jungen Kandidaten in Achtergruppen an sieben fiktiven Cases unter Beweis stellen. Selbstverständlich präsentieren sie auf Englisch, denn die Bewerber kommen immerhin aus über 100 verschiedenen Nationen. Das Motto dieser elften Recruiting-Veranstaltung sind datengetriebene Innovationen.

Sieben Unternehmensbereiche steuern konkrete Fragestellungen bei, fragen nach Content-Ideen für Alexa, nach neuen datengetriebenen Apps für die Print-Marken, nach Mehrwert-Projekten für die Deutschlandcard, nach Verbesserungsvorschlägen für gezieltere Marketing-Aktionen.

An nur einem Workshop-Vormittag müssen die Gruppen Ideen konkretisieren, eine überzeugende Präsentation erarbeiten, Zahlen validieren, Business-Modelle skalieren. Um sie dann der Jury oberster Bertelsmann CEOs vorzutragen, die bewusst mit dem Rücken zum Publikum platziert ist. Es geht hier nicht um die Bertelsmann-Köpfe, sondern es geht allein um die Ideen der High Potentials.

Zehn Minuten Zeit um zu überzeugen, zehn Minuten, um gegenüber den bohrenden Nachfragen der Bertelsmann-Granden zu bestehen. Und um auch dann cool zu bleiben, wenn eine halbe Minute vor Schluss von der Jury die Frage aufgeworfen wird: "Sorry, aber euer Business-Modell habe ich immer noch nicht ganz verstanden."

Dass die Jungen umgekehrt auch unbequeme Fragen stellen, ihrerseits an den alten Strukturen eines Mediengeschäftes rütteln, dass sie traditionelle Ordnungen auf den Kopf stellen, ist gewollt. Warum man als starke Marke RTL in Zeiten von Programmatic Buying überhaupt noch Media-Agenturen als Mittler brauche – ist nur eine, die das Auditorium zu hören bekommt.

Auffallend ist der unbekümmerte Umgang, wie die jungen Talente Daten akquirieren und nutzen wollen. Datenschutzbedenken kommen auf ihrer Seite der Bühne nicht vor, was vielleicht auch dem internationalen Teilnehmerfeld geschuldet ist. Auch das Gewinner-Projekt der Talentiade fußt auf der Aggregation indiskreter Daten: Matching für Dating-Apps via TV-Geschmack und App-Nutzung.

Die ungläubige Nachfrage aus der Jury, ob es tatsächlich zu erwarten sei, dass sich die Nutzer freiwillig outen mit ihrem Faible für "Bauer sucht Frau", quittiert eine junge Australierin freimütig: "Wenn es für mich bequemer ist, es mir zehn miese Dates mit dem falschen potenziellen Match erspart und man nicht umständlich lange Dating-Profile ausfüllen muss – warum nicht?"

Diese Chuzpe ist es schließlich, die ihrem Achterteam den ersten Platz beschert hat. Und ihr Teamgeist, den Thomas Rabe in der Laudatio ausdrücklich lobt.

Die Gewinner erhalten eine Reise nach L.A.

"Schlussendlich kann man in einer solch kurzen Zeit keine Business-Idee nicht in allen Punkten stichhaltig prüfen, aber es lässt sich doch ganz gut ablesen, welche Fähigkeit jemand als Teamplayer mitbringt, wie souverän er mit Zwischenfragen umgeht", sagt Bertelsmanns Personalvorstand Immanuel Hermreck. "Und wir haben durchaus herausfordernde Fragen gestellt."

Coaching fürs Präsentieren

Im Idealfall sind die Teilnehmer auf so etwas schon vorbereitet, denn Coaches aus den einzelnen Bertelsmann-Divisionen geben in den vormittäglichen Workshops Tipps. Auch solche, welche Präsentationen ankommen und wie man plakativ das Interesse weckt. "Macht es simpel" ist eine der Botschaften. "Personifiziert komplexe Probleme". In der Konsequenz wird so auf der Bühne aus einem komplizierten Algorithmus ein blau dekoriertes Monster, das man eher in einem Kindergarten vermuten möchte als vor einer so hochkarätig besetzten Jury.

Doch die Mutigen fallen auf: "Gerade haben drei Kandidaten auf der Stelle ein Job-Angebot bekommen, direkt nach ihrer Präsentation", erzählt Immanuel Hermreck. "Dabei steht der Tag mit den persönlichen Einzelinterviews noch aus."

Den Mutigen gehört die Aufmerksamkeit.

Volle drei Tage hat Bertelsmann für die künftigen Führungskräfte reserviert, um ihnen auf den Zahn zu fühlen und sich selbst als potenzieller Arbeitgeber zu präsentieren. Das Highlight ist der zweite Tag, an dem die jungen Talente ihre Ideen präsentieren, am dritten werden die Kandidaten noch einmal einzeln zum Gespräch gebeten und können ein individuelles Karriere-Coaching in Anspruch nehmen.

Für die Gala im Deutschen Theater in Berlin lässt BMG dann auch noch die aufstrebende Nachwuchs-Künstlerin Alice Merton einfliegen. Bertelsmann wuchert vor den umgarnten Kandidaten mit dem gewichtigsten Pfund, das der Konzern hat: Den eigenen starken Marken für TV, Buch, Print, Musik. Oder wie Thomas Rabe betont: "It’s all about content."

Die Strahlkraft starker Content-Marken

Dabei sind es nicht unbedingt immer die großen Content-Marken, die die größte Strahlkraft für die Bewerber besitzen. Einer seiner Kandidaten habe beispielsweise Interesse für eine ganz konkrete Position signalisiert, erzählt Immanuel Hermreck. Er sei beeindruckt, welche genauen Karriere-Pläne der die 54 High Potentials, die an diesem Abend auf der Bühne gestanden hätten, mitbringen.

Nicht notwendigerweise führt sie der Weg nach ihrem Abschluss dann sofort zu Bertelsmann. "Wir nehmen auch Umwege in Kauf, wenn jemand meint, er brauche erst einmal ein paar Jahre bei einer Unternehmensberatung oder einem Tech-Unternehmen", sagt Nico Rose, Vice President Employer Branding und Talent Acquisition bei Bertelsmann. "Aber es kommt häufiger vor,  dass ein ehemaliger Teilnehmer anruft oder am Rande einer Veranstaltung plötzlich vor dir steht und fragt, ob man mal reden könne."

600 Kandidaten in elf Jahren hat Bertelsmann so schon durch das Event "Talent Meets Bertelsmann" geschleust. Etwa 100 davon haben angeheuert, noch mal 60 sind über Master-Arbeiten oder Praktika dem Unternehmen verbunden geblieben. Damit der Kontakt auch zu den anderen Talenten nicht abreißt, hat Bertelsmann ein Alumni-Programm aller TMB-Leute aufgesetzt. Regelmäßig, jedes Jahr im Herbst trifft sich das Netzwerk in Berlin, hinzu kommen noch die neugegründeten Hubs zum Beispiel in New York, München und im Silicon Valley.

Auch nach der TMB gibt es regelmäßige Get togethers.

Dass einmal eine Führungskraft aus dem Programm erwachse, darauf hofft die Personalabteilung bei jedem Jahrgang. Gern auch in höchster Führungsebene. "Alle Teilnehmer haben das Potenzial, eines Tages als Führungskraft Verantwortung in einem Unternehmen zu übernehmen - idealerweise auch bei Bertelsmann," sagt Hermreck.

Keine Frage, der Konzern, der sich mit dieser Veranstaltung größte Mühe gibt, den hohen Erwartungen der High Potentials bestmöglich zu begegnen, stellt auch selbst höchste Ansprüche.


Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.