"Miss" war, wie auch bei den anderen Printtiteln des Verlags üblich, vor allem eines: anzeigengetrieben. Der Titel, der sich an junge Frauen als Zielgruppe richtet, war von wenigen großen Kunden wie L’Oréal abhängig; sie waren die einzige, aber unsichere Lebensquelle des Magazins. Daran orientierte sich der Verlag. Die damalige Geschäftsführung, heißt es heute aus Verlagskreisen, habe damals alles an Ideen gebremst. „Das haben wir noch nie so gemacht“ oder „Das macht die Marke kaputt“ waren Sätze, die einst von der Chefetage in die Gänge geschleudert wurden.

 

Das konnten zwei junge Mitarbeiter vor gut drei Jahren einfach nicht mehr mit ansehen. Jochen Hahn fand in Monika Affenzeller eine Verbündete. Vielleicht war es auch andersherum. Jedenfalls verstanden sich die beiden auf Anhieb, und weil in diesem veralteten Konstrukt des Verlags niemand etwas bewegen konnte, tüftelte das Duo auf eigene Faust ein mutiges Konzept aus. Affenzeller und Hahn dachten die neue "Miss"-Welt von der digitalen Seite her.

 

Die Kernzielgruppe erreicht man nicht über eine Zeitschrift

 

Der Vorschlag kam fünf vor zwölf. Oder später. Eigentlich hatte der Verlag die junge Zeitschrift, die einst aus der "Wienerin" hervorgegangen war, schon abgeschrieben. Also durften sich die beiden jungen Menschen an der scheintoten miss noch digital austoben. Und das taten sie dann auch.

Immerhin gab ihnen der Verlag Zeit. Und einen großen Spielraum. Monika und Jochen, die sich lieber nur mit dem Vornamen anreden lassen, übernahmen eine Führungsposition; erst seit Anfang 2017 sind sie offiziell Geschäftsführer der Miss Media GmbH. Monika übernahm zudem die Chefredaktion. „Die Arroganz – ‚Ich bin der Chefredakteur‘ –, die gibt es seither nicht mehr“, sagt sie.

 

Dann ging es Schlag auf Schlag: In einem halben Jahr haben die jungen Chefs das erste Projekt hochgezogen; alle Kraft floss zunächst in Social Media. „Unsere Kernzielgruppe Millennials, also junge Frauen zwischen 16 und 35 Jahren, erreicht man eher über Facebook als über eine Zeitschrift“, sagt Monika Affenzeller. Worte, wie sie sonst kein Geschäftsführer eines Printmagazins in den Mund nehmen würde. Das zeigt, dass die beiden vom Vorstand „einen Freibrief hatten, alles neu zu machen“, wie die Chefin, die dort einst als Praktikantin begann, sagt.

Erst Reichweite, dann Interaktion

Erst musste die Reichweite drastisch erhöht werden, dann die Interaktion. „Das Engagement mit unserer Marke ist extrem wichtig“, sagt Affenzeller.

 

Im Herbst 2014 wurde dann vieles anders: Die Mannschaft zog um, „das war auch psychologisch wichtig“, sagt Hahn, „so entstand ein neuer Start-up-Spirit“. Im Februar 2015 kam der große Durchbruch: Die "Miss App" wurde gelauncht. Entwickelt wurde sie zum Großteil mit den eigenen Mitarbeitern – nur ein Teil der Software wurde eingekauft.

Mit ein paar inhaltlichen Kniffen gelang es, die Reichweite zu neuen DACH-Rekorden zu führen: mit Gadgets in der App wie "Miss Feed", also redaktionellen Storys und Native Ads, "Miss Video" und "Miss Activity", also Quiz, Votings und Foto-Uploads. In dem Bereich "My Miss" können die Fans in einer Art Belohnungssystem Diamanten sammeln, etwa für das Ansehen von Werbung. Zugleich können sie ihre gesammelten Diamanten für Rabattaktionen direkt im Shop einsetzen.

 

Du bist tollpatschig!

Ein Umfeld für Versicherungen

 

Doch all das Tun sollte noch nicht genug sein. Der Verlag wurde neu organisiert. Neben der Redaktion tauchte der Bereich „Miss Mind“ auf, das ist eine Art Inhouse-Agentur, die eng mit den Redakteuren interagiert und Kreation mit Sales sowie Wünsche der Werbekunden vereint. Man könnte die Minds-Truppe auch als Contentfabrik bezeichnen. Sie selbst nennen es „Inhouse Native-Advertising-Unit“. Beispielsweise wird hier ausgetüftelt, worauf Männer bei Frauen stehen – und dazu gehört dann der Duft X. „Der Kontext muss für die User wichtig sein“, sagt Monika Affenzeller. Mit der Story „So habe ich meinen Traumwagen gefunden“ könnte man Werbekunden aus den Bereichen Auto oder Bank gewinnen, um über „meinen ersten Kredit“ oder „mein erstes Bankkonto“ zu referieren. Und im Umfeld des Themas „Du bist doch auch tollpatschig“ ließen sich Versicherungen integrieren.

 

Affenzeller und Hahn glauben dabei, ihre Leser sehr gut einschätzen zu können. „Marken kennen ihre Zielgruppen oft nicht so genau.“ Wie sie ticken, was sie wollen, wie genau ihre Bedürfnisse aussehen. „Viele Medien glauben an Themen“, sagt Hahn, „wir kennen die Themen, weil wir digitale Daten analysieren.“ Aus diesem Wissen heraus bietet das "Miss"-Team seit Neuestem Workshops über das Social-Media-Potenzial an. Erste Kunden aus dem Bankensektor oder der österreichischen Fußballbundesliga ließen sich schon beraten.

 

Provisionssystem auch für Redakteure

Noch eine Kleinigkeit: Das Provisionssystem, von dem in Verlagen meist nur Salesabteilungen profitieren, gilt im "Miss"-Team für alle Mitarbeiter, auch für Redakteure. Wer Tipps hat, wird dafür entlohnt. „Aggressives Verkaufen ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Monika Affenzeller. Der Verkauf müsse natürlicher sein. Man müsse mehr erklären, überzeugen; der Service sei wichtiger denn je. „Das Geschäft ist kleinteiliger geworden“, sagt sie, als sei sie schon seit zwei Jahrzehnten im Business. Zwischen Verkäufern dürfe es keine Grabenkämpfe geben. Das Fixgehalt wurde angehoben. Das Team rückt seither mehr zusammen.

 

Die Anzeigenerlöse des Printmagazins heben ab

 

Mit all den Maßnahmen schossen sämtliche Zahlen nach oben: Miss.at wurde mit 4 Millionen Visits pro Monat und gut 13 Millionen Page-Impressions das größte Frauenportal Österreichs vor Woman.at mit halb so großen Werten. Mit über 500.000 Facebook-Fans, 10 Millionen Reaktionen und einer Engagement-Rate von 14 Prozent im ersten Halbjahr 2017 kann es als erfolgreichstes Frauenmagazin der DACH-Region angesehen werden. Die "Miss App" wurde rund 100.000-mal geladen. Sechs Minuten und 58 Sekunden lang bleibt der User darauf und hat über 30 Millionen Diamanten gesammelt, womit mehr als 20.000 Produkte eingetauscht wurden.

 

Die spannendste Entwicklung aber ist, dass es Monika Affenzeller und Jochen Hahn gelungen ist, aus "Miss" nicht nur eine intermedial vermarktbare Plattform zu machen, sondern dass auch das Printgeschäft davon profitiert. 2014 kam bereits die Wende: Die Digitalumsätze gingen von null auf 40 000 Euro, erklommen die Marke von 500 000 (2015) und einer Million Euro im Jahr 2016. Ein Ende dieser Entwicklung ist auch für 2017 nicht in Sicht. Der Clou ist: Die Anzeigenerlöse des Printmagazins werden dieses Jahr den höchsten Wert seit 10 Jahren erreichen.

 

Und im Vertrieb gibt es ebenso einen Change. „Im Einzelverkauf ist bei der jungen Zielgruppe nicht viel zu holen“, gibt Monika Affenzeller zu. „Der Absatzkanal Kiosk ist für die Zielgruppe nicht relevant.“ Die jungen Menschen seien nicht bereit, für journalistischen Content Geld auszugeben. Heißt für die "miss"-Macher: Das Abo sollte Begehrlichkeiten wecken. Es gab keine rabattierten Abos mehr, nur noch voll bezahlte. Allein über die App wurden inzwischen 13.000 Abos generiert. Was nicht funktioniert: E-Paper. Auch das Tablet sei nur eine Zwischenlösung.

Jüngstes Projekt: Influencermarketing mit einer Soap

Zwei beste Freundinnen - Katharina und Valerie - schickte "Miss" für die Social-Media-Soap #MissBFF2017 auf eine Weltreise. Am 30. September endete der dreimonatige Trip, den die Community auf Facebook und Instagram verfolgen konnte. Auch das hat sich für das "Miss"-Team ausgezahlt: 27 Werbepartner waren dabei, 5 Millionen User verfolgten die Freundinnenreise und hinterließen gut 100.000 Reaktionen. 900.000 Abrufe zählten die Macher für die Videos zur Reise.

„#MissBFF2017 beweist, wie Zielgruppen-Formate heute funktionieren: durch 100 Prozent Social Media!", sagt Monika Affenzeller. "Alle anderen Kanäle sind nur noch Begleitmusik, die großen Töne werden auf Facebook und Instagram gespielt.“

Für die nahe Zukunft haben sich Monika und Jochen längst weitere Dinge für den Vertrieb überlegt. Von diesen Plänen haben wir in W&V 25/2017 berichtet.

Ihr Ziel müsse es sein, den Zugang zur Zielgruppe auch in Print zu maximieren. Dann kämen auch die Anzeigenkunden.


Autor: Jochen Kalka

ist jok. Und schon so lange Chefredakteur, dass er über fast jede Persönlichkeit der Branche eine Geschichte erzählen könnte. So drängt es ihn, stets selbst zu schreiben. Auf allen Kanälen.