Als mono-, maximal oligopolistische Anbieter haben sie sich an der sensibelsten und zugleich erfolgskritischsten Schnitt­stelle festgesetzt: Sie führen Angebot und Nachfrage zusammen, kontrollieren dabei den Zugang von Unternehmen zu bestehenden und potenziellen Kunden und Märkten (und damit wichtige Media) und isolieren beide Sphären penibel voneinander.

Im Zuge der Login-Pflichtigkeit und Opt-In-Fähigkeit ihrer Angebote verfügen sie zudem über exklusive tiefe Customer und Market Insights. Abschottung und Konsumenten-Lock-In als Geschäfts­modell.

Mit ihren "Walled Gardens" und Gatekeeper-Positionen nehmen vor allem Google und Facebook auch die deutsche Werbeindustrie in ihren Würgegriff, insbesondere im Programmatic-Bereich. Kern ihrer entsprechenden Werbeangebote ist stets ein hochwertiges Media- und/ oder Datenprodukt in hoher Skalierung, teilweise verpackt als technische Lösung bzw. Adtech-Stack.

Und massive Skalierung, das heißt massives Wachstum ist exakt das, was die auf Basis exorbitanter Kurs-Gewinn-Verhältnisse bewerteten Plattformen auch im Werbemarkt liefern müssen – die Börsenkurse von heute leben von den Umsatz- bzw. Gewinn­erwartungen in der Zukunft.

Jenseits des eher schwierigen Wachstums in neuen Geschäftsfeldern, liegt da primär ein Hebel nahe: Neben dem brutalen Verdrängungswettbewerb im (Werbe-)Kern­geschäft ist das die Margenoptimierung im Bestandskundengeschäft.

 

… and Europe will pay for it

Mit der zumeist intransparenten Maximierung der eigenen Marge und der rigorosen Kompression der Margen der Kunden zielen die US-Plattformen auf Seite der Werbetreibenden bzw. Agenturen genau auf das Gegenteil dessen ab, was Programmatic eigentlich bezwecken soll: den transparenten, kosteneffizienten Einkauf von Media.

Denn in der Regel müssen werbetreibende Unternehmen nicht nur für die Media zahlen, sondern auch für Informationen über ihre eigenen Kunden, die sie aufgrund von "Walled Gardens" gar nicht mehr selbst generieren können, sowie für damit verbundene "Walled Garden"-Mediatechnologien.

Denkt man an diesem Punkt das Ziel Margenoptimierung konsequent zu Ende, kommt man nicht umhin, die Frage zu stellen, ob die entsprechenden Technologien nicht insofern auch Mittel zum Zweck sein könnten, als dass sie möglicherweise ganz eigene, bspw. im Ein- bzw. Verkauf "Walled Garden"-Media bevorzugende programmatische Vermarktungs­logiken verfolgen (Das kommt Ihnen aus einem anderen Bereich bekannt vor? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!).

Hinzu kommt die verschwindend geringe Verhandlungsmacht im Hinblick auf Preise, Qualitäten etc., die Werbe­treibende bzw. Agenturen gegen­über GAFA im Vergleich zu großen nationalen Vermarktern haben.

Umso mehr verwundert es, dass derzeit schätzungs­weise 65 bis 75 Prozent aller digitalen Werbespendings im deutschen Markt zu den großen US-Playern und durch deren Technologie-Stacks fließen; Tendenz weiter steigend. Man fragt sich ja schon, warum sich Unternehmen ihre Ertragskraft so beschneiden lassen.

 

Alternative fact: The Lumascape

Die "Walled Garden"-Entwicklung im Programmatic-Bereich hat aber nicht nur für Werbetreibende problematische Auswirkungen. Mit ihren exklusiven Media- und Datenprodukten expandieren die US-Plattformen in nicht-exklusive Marktsegmente. Dort, und nur dort, in diesem immer kleiner werdenden Restmarktsegment, findet ein gnadenloser Wettbewerb statt – mit überwiegend reinen Mediatechnologie-Anbietern.

Ohne "Walled Garden" bzw. strategische Bindung, d.h. ohne Daten und/ oder Media, haben diese auf Dauer allerdings keine Chance, gegen die großen Plattformen zu bestehen: Mit ihrer Marktmacht und ihren dank gigantischen Börsenbewertungen vollgespülten Kassen können die US-Player Technologie­produkte als Komplettpaket anbieten.

Und die Pakete aus Media, Daten und Technologien sind so gut wie immer zu günstigeren Preisen im Angebot, als für reine Technologielösungen aufgerufen werden, und setzen Mitbewerber-Margen massiv unter Druck – bis zum ruinösen Verdrängungswettbewerb. Zumal sie ihr Geld ohnehin nicht mit Technik verdienen, sondern mit Media und Daten.

Das führt dazu, dass reinen Mediatechnologie-Anbietern schnell die Luft ausgeht: Zum einen reichen die erzielbaren Margen nicht aus, das eigene Geschäft mit Eigenkapital zu skalieren.

Zum anderen können aufgrund der Margen­erosionen die hohen Renditeerwartungen von Risikokapitalgebern und des Finanz­marktes nicht erwirtschaftet werden – weder langfristig noch in relevanter Skalierung.Wichtiges Fremdkapital für weiteres Wachstum steht damit auch kaum zur Verfügung.

Die Folgen haben erste US-Media­technologie-Dienstleister mit Börsengängen bzw. Börsenambitionen bereits am eigenen Leib schmerzlich erfahren: Player, die mit hohen Rendite­versprechen in die Börse gestartet sind, haben ihren Kunden damit unfreiwillig offenbart, dass entsprechende Margen ganz offensichtlich nicht aus transparenten Gebühren stammen können – was unweigerlich Fragen aufwirft und Nachverhand­lungen nach sich zieht.

Und Dienstleister, die weitere Wachstums­investitionen finanzieren wollen, müssen zum Zwecke des Margen-Pimp-Ups vor allem eines: Personal entlassen, um Kosten einzusparen. Was gerade in so einem Wissens- und Know-how-getriebenen Sektor wie dem Technologiemarkt oft einem Aderlass in punkto Wettbewerbs­fähigkeit gleichkommt.

Vor diesem Hintergrund ist die Marketing Technology Lumascape schon heute eher Schimäre als Marktrealität.

 

The winner takes it all

Nicht zuletzt stellen die "Walled Gardens" aber auch für vielfältige deutsche Publisher-Landschaft eine eklatante Bedrohung dar. Im durch die GAFA-Plattformen dominierten Markt wird eigene Wertschöpfung aus Media und Daten immer schwieriger.

Zur damit verbundenen Margenkompression kommt hinzu, dass es durch den Verdrängungs­wettbewerb im Mediatechnologie-Bereich immer weniger unabhängige Mediatechnologie-Dienstleister und damit immer weniger Technologie­lösungen gibt, die konsequent auf die Optimierung des Publisher-ROI statt auf intransparente Arbitrage-Geschäfte und/ oder eigene Margenoptimierung ausgelegt sind.

Führt Programmatic als künftig dominierende Form des Mediahandels hier letztlich dazu, dass Werbung nicht mehr ausreichend zur (Re-)Finanzierung qualitativ hochwertiger, freier und unabhängiger Medien beitragen kann, steht mehr als nur ein wichtiger Zweig der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel. Dann geht es an die Grundfesten unserer Demokratie.   

 

Make Europe great again

Was also tun, um sich als deutsche und europäische Werbe- und Medienindustrie aus dem Würgegriff der "Walled Gardens" zu befreien? Ein entsprechender Befreiungsschlag kann nur gemeinsam gelingen: Werbetreibende auf der einen und Publisher auf der anderen Seite müssen viel mehr als bisher auf die Generierung und Kombination eigener Daten und eigener Media setzen.

Strategische Partnerschaften wie die von Zalando mit ProSiebenSat1 oder der Otto Group mit Ströer sind dringend notwendige Marktalternativen zu den großen Plattformsystemen.

Gleichzeitig muss der Markt Kapital in die Hand nehmen, um die Existenz unabhängiger Mediatechnologie-Anbieter abzusichern, die, anders als die GAFA-Plattformen, auch wirklich reine Technologiedienstleister sind, so dass Technik und Assets (Media und Daten) in der Hoheit faktisch getrennt sind und bleiben.

Last but not least gehört zu einem solchen Szenario auch, dass die Politik wettbewerbsverzerrenden Lizenz- und Steuer­sparmodellen endlich einen Riegel vorschiebt und beim Thema Datenschutz der digitalen Wirtschaft nicht länger Bärendienste erweist.

Sondern mit Marktverständnis und Weitblick für einen gesetzlichen Rahmen sorgt, der nicht wie mit dem faktisch ab Mai 2018 zur Anwendung kommenden Opt-In vor allem die großen US-Plattformsysteme bevorteilt. Make Europe great again. Yes, we can!

Joachim Schneidmadl ist Vorstand des Freiburger Technologiespezialisten Virtual Minds AG. Dort verantwortet er gruppenübergreifend die Produktstrategie im Geschäftsbereich Mediatechnologie. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Entwicklung und im Vertrieb von Technologien für insbesondere das digitale Media- und Marketinggeschäft.

"Debatte" ist ein neues Format zum Relaunch von W&V Online. Wir stoßen dort regelmäßig Diskussionen an und freuen uns über Ihr Feedback. Mehr über den neuen Digital-Auftritt von W&V auf Facebook und Twitter unter #rethought.

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Autor: W&V Gastautor:in

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