
Differenziertes Urteil:
Recht auf Vergessen: Google siegt beim BGH
Der Bundesgerichtshof entschied heute in zwei Fällen zum Recht auf Vergessenwerden. Im einen Fall wies er die Klage ab und gab Google recht. Der andere geht weiter an den Europäischen Gerichtshof.

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte heute über zwei verschiedene Klagen zu entscheiden. In beiden Fällen war Suchmaschinen-Betreiber Google der Beklagte. Die Kläger wollten erreichen, dass in der Trefferliste der Internet-Suchmaschine bestimmte Artikel über sie nicht länger angezeigt werden. Das gelang ihnen nicht. Suchmaschinen-Betreiber wie Google können zwar verpflichtet sein, Links zu kritischen Artikeln auf Wunsch des Betroffenen aus der Trefferliste zu entfernen. Wessen Rechte und Interessen Vorrang haben, ist aber immer von einer umfassenden Abwägung im Einzelfall abhängig. (Az. VI ZR 405/18). Es ist der erste höchstrichterliche Urteilsspruch nach dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018.
Im ersten Fall klagte der frühere Geschäftsführer eines regionalen Wohlfahrtsverbandes für Mittelhessen auf Löschung von Suchtreffern, die inhaltlich korrekt sind, aber ein eher schlechtes Bild vermitteln. Er will, dass ältere Presseberichte über eine Erkrankung und ein Finanzdefizit des Verbandes nicht länger gefunden werden.
Der BGH verneinte nun den Anspruch des Klägers auf Auslistung der streitgegenständlichen Ergebnislinks. Grundlage dafür könnte Art. 17 Abs. 1 DS-GVO sein. Allerdings geht dem eine "umfassende Grundrechtsabwägung" voraus. Hier spielen sowohl die "relevanten Umstände des Einzelfalles" eine Rolle, die Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person, die Grundrechte der Beklagten, die Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit.
Nach einer "gleichberechtigten Abwägung" kommt der BGH zu dem Schluss, dass der Mann keinen Anspruch auf Auslistung der Links hat - "auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs". Die Vorfälle sind sieben Jahre her. Angesichts der Größe und Bedeutung des Verbandes seien die Vorgänge damals von erheblichem Interesse für die Öffentlichkeit gewesen. Und seither sei noch nicht so viel Zeit vergangen. Die Richter kommen deshalb zu dem Schluss, dass die Rechte des Mannes - noch - hinter den Interessen der Internetnutzer und der Medienhäuser zurückstehen müssen.
Der Senat beurteilte den Fall erstmals nach der neuen Datenschutz-Grundverordnung, die seit Mai 2018 in der EU gilt. Im Ergebnis macht das keinen großen Unterschied zu vorher. Abweichend von einem älteren Urteil legen die Richter allerdings fest, dass der Suchmaschinen-Betreiber ”nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt“. Künftig liegen die Hürden für eine Entfernung von Links also etwas niedriger. Im Fall des früheren Geschäftsführers spielte das aber keine Rolle.
Im zweiten Fall sieht sich ein Paar aus der Finanzdienstleistungsbranche in Misskredit gebracht. Die Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens beschäftigte sich kritisch mit dem Anlagemodell ihrer Firma. Das Unternehmen hinter dieser Seite ist wiederum Vorwürfen ausgesetzt, es lanciere gezielt negative Berichte, um die Betroffenen später damit zu erpressen.
Auch hier hatte sich Google geweigert, die Links zu den Artikeln zu entfernen. Man könne nicht beurteilen, ob an den Vorwürfen etwas dran sei. Die zentrale Frage ist nun, ob Google in solchen Fällen in eigener Verantwortung Nachforschungen anstellen muss. Die BGH-Richter sehen die Gefahr, dass dann lieber ein Bericht mehr als einer zu wenig blockiert werden dürfte. Sie neigen deshalb dazu, die Klärung zumindest da, wo es zumutbar ist, dem betroffenen Kläger zu überantworten. Klären muss das aber jetzt der EuGH.
Ein zweiter offener Punkt betrifft die kleinen Vorschaubilder (”Thumbnails“), die neben den Links in der Trefferliste auftauchen. Der inhaltliche Zusammenhang zum ursprünglichen Bericht ist dabei nicht unbedingt zu erkennen. Der EuGH soll jetzt herausfinden, ob Google die Bilder trotzdem anzeigen darf. (VI ZR 476/18)
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2014 sind Suchmaschinen-Betreiber wie Google grundsätzlich für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich. Sie können deshalb verpflichtet sein, Links zu entfernen. Die Rechte der Betroffenen sind aber immer mit dem öffentlichen Interesse abzuwägen.
am/mit dpa