
Vreni Frost über die Sexismus-Debatte:
"Andere Agenturen lachen sich insgeheim ins Fäustchen"
Vreni Frost war Teil des Recherche-Teams zum Zeit-Artikel über Sexismus bei Scholz & Friends. Im Interview erzählt sie über Dildos auf Schreibtischstühlen, Most-Fuckable-Listen – und das Vergessen der Medien.

Foto: Suzana Holtgrave
Nachdem Die Zeit Anfang August über Sexismusvorwürfe gegen Scholz & Friends berichtete, kocht die #Metoo-Debatte wieder hoch. Während die Agentur selbst auf W&V-Anfrage bisher schweigt, wird das Thema in den sozialen Medien heftig diskutiert. Und unter anderem Britta Poetzsch und Jo Marie Farwick schilderten die weibliche Sicht auf die Branche.
Jetzt meldet sich auch Bloggerin und Influencerin Vreni Frost zu Wort. Sie beschäftigt sich nicht nur schon lange mit Gleichberechtigungs-Themen. Sie hat auch bei den Recherchen zu dem Enthüllungsbericht in der Zeit mitgewirkt und der Autorin Ann-Kathrin Nezik zugearbeitet. Sie berichtet von den Geschichten hinter den Kulissen der Recherche und warum ihre Hoffnung klein ist, dass sich die Verhältnisse ändern.
Vreni, ist das Sexismus-Problem in der Agenturbranche besonders groß? Oder ist es explizit ein Problem von Scholz & Friends?
"Die Geschichte in der Zeit ist sozusagen die Spitze des Eisbergs."
Sexismus ist keinesfalls nur ein Problem von Scholz & Friends, auch wenn die Agentur bisher als einzige in den Fokus gerückt ist. Ich habe auf Instagram Nachrichten von Betroffenen aus allen namhaften Webeagenturen in Deutschland bekommen. Das reicht vom Poster der nackten Frau auf der Männertoilette mit dem Hinweis „Hier abspritzen“ bis hin zum klar platzierten Dildo auf dem Schreibtischstuhl. Sexismus ist aber kein reines Agenturproblem, er zieht sich durch alle Branchen.
Du hast selbst einen Teil der Recherchen für Die Zeit übernommen und mit Betroffenen gesprochen. Erzähl doch mal, wie hast du die Recherchen erlebt?
Über 90 Prozent der Geschichten haben es nicht in den Artikel geschafft. Die Geschichte in Der Zeit ist sozusagen die Spitze des Eisbergs. Ich habe an einem Wochenende über 1000 Nachrichten von Betroffenen erhalten und bin bis heute zum einen überwältigt von dem Mut, aber auch überfordert, weil ich aus dem Vertrauen, das mir entgegen gebracht wird, unbedingt etwas entwickeln möchte, das allen Betroffenen in Zukunft eine bessere Arbeitskultur ermöglicht.
Ich will die Täter nicht gegen Frauen aufbringen. Sie sollen ihre Täterrolle erkennen und umdenken.
Die Herausforderung dabei ist, dass ich die Täter nicht gegen Frauen aufbringen will, was aus deren Machtposition heraus oftmals geschieht. Sie sollen vielmehr ihre Täterrolle erkennen und anfangen, umzudenken. So lange sich nur die Betroffenen gehört fühlen, ist nicht viel getan.
Wie hast du die betroffenen Frauen erlebt, die du für die Recherchen gesprochen hast?
Mir ist aufgefallen, wie dankbar die Betroffenen darüber waren, endlich gehört zu werden. Es ist traurig, dass sie innerhalb des Unternehmens keine Vertrauensperson hatten. Wenn die Betroffenen sich an die Personalabteilung oder auch direkt an die Geschäftsführung wandten, erfuhren sie meistens eine Abschwächung der Situation. Einige wurden nach dem Äußern von Missständen regelrecht aus der Agentur gemobbt – das habe ich oft gehört.
Was ist nach Veröffentlichung passiert? Haben sich noch mehr Frauen gemeldet?
Die meisten Frauen hatten sich in den Wochen vorher gemeldet. So konnte ich viele der Betroffnen mit der Zeit-Redakteurin verknüpfen. Bis heute sind wir aber im Austausch, ich erhalte immernoch persönliche Geschichten oder auch spannende Links, die meine Follower*innen zum Thema entdecken. Das Thema Sexismus ist auch nicht erst seit dieser Geschichte auf meinem Account präsent. Schon seit Jahren beschäftige ich mich mit Gleichberechtigung und Toleranz. Hier bin ich in regem Austausch mit meiner Community.
Du hast in den sozialen Medien viel Kritik für die Geschichte bekommen. Wie war das?
Nein, es gab wenig, aber dafür sehr laute Kritik. Über 95 Prozent des Feedbacks war positiv. Die Kritik kam fast ausschließlich von Männern, die mir erklärten, mein Tonfall sei zu „harsch“, ich „tue mir keinen Gefallen“ oder meine Aussagen seien „eine Frechheit“. Das ist auch ein Problem, mit dem sich starke Frauen immer wieder konfrontiert sehen. Männer, die meinen, sie müssten Frauen erklären, wie man Missstände aufdecken dürfe. Ich habe mich wenig mit der Kritik beschäftigt, weil es ermüdend ist und Energie raubt. Diese Energie stecke ich lieber in positivere Aktionen.
Seit dem Artikel verhält sich die Geschäftsführung von Scholz & Friends still. Was wäre deiner Meinung nach die richtige Reaktion? Hat die Agentur überhaupt die Chance, das Image wieder hinzubiegen?
Ich habe kurz überlegt, ob ich auf diese Frage eine PR-Antwort gebe oder ob ich einfach ehrlich bin. Ich entscheide mich für zweiteres: Meine ehrliche Meinung ist, dass sich nicht viel ändern wird. Die Medien wenden sich bald einem neuen Thema zu, dadurch werden die Stimmen der Betroffenen wieder leiser und vieles wird wieder in alte Muster verfallen.
Die anderen Agenturen lachen sich insgeheim ins Fäustchen, dass es Scholz & Friends und nicht sie getroffen hat und die Boys Clubs werden weiterhin intern die Most-Fuckable-Listen der weiblichen Angestellten auswerten. Der Lichtblick: Es kommen immer mehr starke Frauen nach, die den Mut haben, sich gegen das bestehende System zu wehren.
Diese Frauen werden gemeinsam mit den Männern, die Gleichberechtigung heute schon leben – davon gibt es zum Glück auch bereits viele –, das System umordnen. Das wird noch eine ganze Weile dauern, aber die ersten Weichen sind gestellt und ich freue mich darauf!