
So funktioniert Textmining:
"Hiermit beschwere ich mich!"
Textmining hilft, Kundenanfragen und Beschwerden möglichst effektiv zu bearbeiten. Aber der Künstlichen Intelligenz sind Grenzen gesetzt.

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Auf Kundenbeschwerden schnell, präzise und im Idealfall sofort problemlösend zu reagieren, das ist eine Königsdisziplin im Kundenerlebnis-Management. Zeige mir, wie du mit Beschwerden umgehst, und ich sage dir, ob du eine Zukunft hast! Gerade für Konzerne mit einer großen und heterogenen Kundschaft - Handel, Finanzdienstleister oder Versorger etwa - ist das ein Fokusthema.
Kunden, die mit allem rundum zufrieden sind, melden sich in der Regel nicht beim Unternehmen. Sie steigen erst dann in die Kommunikation ein, wenn etwas nicht stimmt. Und gerade dann erwarten sie schnelle Orientierung und präzise Lösungen.
Um den Strom an Anfragen zu kanalisieren, braucht es Technologie. Die Stichworte sind Künstliche Intelligenz (KI), Textmining und damit entwickelte Algorithmen, die dafür sorgen, dass große Mengen an Informationen automatisiert interpretiert und sortiert werden können.
Textmining bedeutet im wortwörtlichen Sinn, dass man der Bedeutung der Texte auf den Grund geht ("mining"). Man findet heraus: Was will uns der Kunde sagen? Was wollen uns so viele Kunden sagen, dass es offenbar ein großes Thema ist? Haben wir ein grundsätzliches oder umfangreiches Problem, auf das wir reagieren müssen?
Textmining identifiziert Themen, die der einzelne Callcenter-Mitarbeiter im Kundenservice gar nicht erkennen und einordnen kann.
Was KI kann - und was nicht
Textmining bedeutet, dass in der Vielzahl von sogenannten "unstrukturierten Texten", wie man E-Mails, Anrufe oder Kommentare von Endkunden nennt, Muster erkannt werden. Ein einfaches Beispiel: Kommen Worte wie "Rechnung", "Geschmack" oder "Preis-Leistungs-Verhältnis" gehäuft vor, sind das erste Hinweise auf relevante Themen. Haben wir ein Problem in der Buchhaltung? Haben wir bei der Rezeptur des Schokopuddings den Geschmack der Kundenmehrheit verfehlt? Sind wir zu teuer?
Man könnte jetzt denken, das geht alles automatisch. Im Prinzip ist das auch so. Aber der Mensch ist weniger denn je ersetzbar. Der Algorithmus leistet nämlich nur das, was man ihm „beigebracht“ hat: Er macht sozusagen Vorschläge für die Einordnung oder Klassifikation der Texte und gibt an, wie sicher er sich bei der Zuordnung ist. So können sich die Berater auf die kritischen, komplizierten Fälle konzentrieren. Erst die Kombination aus menschlichem Know-how und künstlicher Intelligenz bzw. dem sogenannten „Machine Learning“ schöpft die Potenziale von Textmining richtig aus. In der Praxis gilt: Ein Algorithmus „von der Stange“ bewältigt 20 Prozent der geforderten Leistung, erst der Mensch kann ihn auf 100 Prozent Leistung bringen.
Das Geheimnis des Pre-Processing
Programmierer sprechen hier vom sogenannten "Pre-Processing": Ein Mensch, der das Unternehmen, seine Kunden, Produkte und damit die „Themen“ kennt, gibt dieses Wissen bei der Programmierung an den Algorithmus weiter. Dieser Wissenstransfer ist keine einmalige Angelegenheit. Mit neuen Angeboten in der Produkt- oder Dienstleistungspalette eines Unternehmens entstehen laufend neue Themen, und auch Ausdrucksweisen verändern sich. Erst ein derart maßgeschneiderter und laufend gepflegter Algorithmus kann fehlerfrei arbeiten, und zu Ergebnissen führen, die allgemeingültige Schlussfolgerungen ermöglichen.
Wer leistet dieses "Pre-Processing"? Die Idealbesetzung für diese Aufgabe ist zum Beispiel ein CRM-Berater, der das technologische Know-how mitbringt, aber gleichzeitig das Unternehmen so gut kennt, dass er quasi zum Vermittler zwischen Unternehmen und Algorithmus wird. Je komplexer ein Unternehmen ist, je spezieller die Kundenanliegen und je vielfältiger die Themen, desto weniger kann man sich auf standardisierte Lösungen verlassen.
Grenzen des Textmining
Standardisierte Lösungen können funktionieren, wenn es um einfache Aufgaben geht. Da es beim Textmining immer darum geht, gehäuft auftretende Wörter mit einander in Beziehung zu setzen, um Schlüsse daraus zu ziehen, liegt darin aber auch die größte Schwäche, wenn man rein auf Technologie setzt. Denn Texte können, auch wenn sie dieselben Wörter verwenden, trotzdem unterschiedliche Bedeutung haben. Der Mensch sieht das sofort, er erkennt den Sinn. Der Algorithmus erfasst nur die Wörter und ihre Anzahl.
Ein Algorithmus ist jedoch lernfähig - natürlich nicht im menschlichen Sinn, aber im technologischen. Eine Möglichkeit, dem Algorithmus etwas "beizubringen" ist es, dem Textmining ein sogenanntes "Clustering" vorzuschalten: Indem man vorab festlegt, wie bestimmte Wort-Kombinationen zu interpretieren sind, kann der Algorithmus eine theoretisch unendliche Anzahl Themen trennscharf unterscheiden.
Was passiert, wenn man das nicht macht?
Im schlimmsten Fall erhält der Kunde, der sich über die falsche Rechnung beschwert hat, die gleiche falsche Rechnung nochmal; bei dem Kunden, der sich über den neuen Puddinggeschmack aufgeregt hat, bedanken wir uns und laden ihm mit Rabattcoupon ein, noch mehr von dem Pudding zu kaufen; und dem Sparfuchs schicken wir das nächste Mal ein höherpreisiges Angebot.
Unterm Strich: Die Themen werden falsch interpretiert, irreführend sortiert und kontraproduktiv beantwortet. Der Verbraucher fühlt sich in seinem Beschwerdemodus nicht ernstgenommen und ist zu Recht verärgert. Da wäre dann keine Reaktion sogar besser gewesen als diese Reaktion.
Empfehlungen für die Praxis
Auch die neueste Textmining-Technologie sollte vom Menschen für das Unternehmen maßgeschneidert programmiert und laufend überwacht werden. Das Ziel ist immer, mehr Qualität und Effizienz in die Beantwortung von Anliegen oder Beschwerden zu implementieren und damit ein besseres Kundenerlebnis zu gewährleisten.
Auch in einem anderen Punkt sollte man sich nicht allein auf die Technologie verlassen, sondern in den Faktor Mensch investieren: Das Management-Dashboard, das heißt die Benutzeroberfläche, auf der die Ergebnisse des Textmining dargestellt werden, sollte so aussehen und so praktikabel sein, dass man gern damit arbeitet. Denn letztlich ist es doch der Mensch, der die Entscheidungen trifft. Auch wenn die Technologie ihm schon sehr helfen kann.
Die Autorin: Anja Friederichs ist Beraterin beim CRM-Experten Cintellic Consulting Group