
PR-Gag:
"Shitstorm mit Obdachlosen" ist eine Guerilla-Aktion
Die "Shitstorm-Agentur" entpuppt sich als PR-Aktion, der viele Medien auf den Leim gingen. Agenturchef Oliver Bienkowski bedankt sich amüsiert bei allen, die das Thema aufgegriffen haben.
Obdachlose, die im Auftrag der Neusser Agentur Caveman Shitstorms befeuern? Diese Behauptung des Agenturchefs Oliver Bienkowski ließ auch uns am 4. April die Frage stellen, ob das Ganze nur ein PR-Gag sei. Unsere Vermutung: Bienkowski, der im Management der Agentur Caveman sitzt, will damit auf die Situation der Obdachlosen in Deutschland aufmerksam machen. Ganz sicher waren wir uns aber nicht. Inzwischen gibt es eine Auflösung: Es war so. Bienkowski schreibt auf der Seite der Agentur: "Wir bedanken uns bei allen Medienverlagen und Onlineredaktionen, dass Sie dem Thema Obdachlosigkeit für kurze Zeit einen Platz in der Berichterstattung eingeräumt haben."
Er listet auf, wie es ihm und seinem Team gelungen sei, das Thema zu platzieren. Fahrt aufgenommen habe das Interesse an seiner angeblichen Shitstorm-Agentur nach einem Artikel in der "Zeit". Sie versuchte darin, feuilletonistisch über das Phänomen Shitstorm zu berichten und erwähnte dabei auch das Angebot von Caveman. Danach war zu beobachten, wie andere Medien und Blogger teils durchaus ungläubig darüber schrieben, dass es Shitstorms jetzt zu kaufen gebe. Bienkowski zeigt auf, wie "Focus Online", "Meedia.de" und die "Werbewoche" ungeprüft einen "Heise"-Artikel zitierten.
Von Obdachlosen war da allerdings noch nicht die Rede. Erst auf Nachfragen behauptete der Guerilla-Marketing-Experte Bienkowski, Obdachlose für Shitstorms einzusetzen. Wir stellten uns ebenso wie "Horizont" die Frage, ob dahinter ein PR-Gag steht. Die "Süddeutsche Zeitung" witterte dagegen Zynismus und Unmoral. Über die halbe Seite Interview in der Ausgabe vom 5. April freut sich Bienkowski jetzt besonders. Auch online auf jetz.de war das Interview zu lesen. "Gute Sache, 68.000 Euro Image und Markenwerbung gespart – so viel kostet eine Seite Werbung in der Süddeutschen Zeitung", freut sich Bienkowski. Die Auflösung präsentierte er auf seiner Webseite extra erst nach dem Drucktermin der Zeitung. Die "SZ" gibt sich zerknirscht und hat das Interview vom Netz genommen. Sie interpretiert die Aktion als Satire.
Sicherlich ist das Ganze eine Lehrstunde für die Medien. Allerdings ist fraglich, ob sich dadurch nachhaltig etwas an der Situation der Obdachlosen in Deutschland ändert, um die es Bienkowski angeblich in erster Linie geht. Oder ob er sich nicht eher als Guerilla-Marketer empfohlen hat. Gegenüber W&V betont er, dass das Engagement für Menschen ohne Dach über dem Kopf sein soziales Thema sei. Er plane in diesem Jahr eine große Verköstigung in Düsseldorf und wolle in die Fußstapfen Frank Zanders treten. Der Musiker richtet seit 18 Jahren ein Weihnachtsessen für Obdachlose in Berlin aus. Außerdem hat Bienkowski zeitgleich mit der Auflösung seiner Guerilla-Aktion die Idee von "Microappartments" veröffentlicht, die auf fünf Quadratmetern Privatsphäre zur Verfügung stellen sollen. In leerstehenden Gebäuden oder Hallen, so die Idee, könnte dadurch kostengünstiger Wohnraum entstehen - für Obdachlose aber auch Studenten.
Bienkowskis Vorgehen steht in einer ganzen Reihe von Aktionen, die größtmögliche Aufmerksamkeit für Obdachlosigkeit schaffen wollten. Und dabei nicht immer sensibel vorgingen:
Im Februar provozierte das Unternehmen Farbflut Entertainment, von der schon ein umstrittenes Spiel namens "Pennergame" stammt. Sie wollte mit einer satirisch-zynischen Facebookseite mit dem Titel "Initiative sauberes Hamburg" die Diskussion über Obdachlosigkeit ankurbeln und erntete dafür nicht nur Zustimmung. Sie erreichte aber durchaus, dass das Thema in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
In Schweden machte das Obdachlosen-Magazin "Faktum" mit einer gelungenen Online-Kampagne auf die Situation der Menschen ohne Dach über dem Kopf aufmerksam. Auf der Website des "Faktum Hotels" konnten User symbolisch eine Übernachtung an Orten in Göteborg buchen, an denen Obdachlose häufig nächtigen - also etwa im Park, unter der Brücke oder in verlassenen Bauten. Das dabei eingenommene Geld kam obdachlosen Menschen zu Gute.
RTL brachte das Thema im Februar in die Wohnzimmer seiner Zuschauer. Damals moderierten Obdachlose den Wetterbericht – und zwar direkt von der Straße aus. Sie kündigten die Temperaturen der kommenden Wintertage an und berichten von den Folgen, die die Kälte für sie persönlich hat.