Interview mit Joko Weykopf:
Nach Corona: Kein Business as usual mehr
In der Corona-Krise entwickeln viele Unternehmen plötzlich konstruktiven Impact. Polycore-Geschäftsführer Joko Weykopf freut sich über die Entwicklung und fragt sich gleichzeitig: Was davon bleibt?
Jägermeister produziert Desinfektionsmittel, Prada medizinische Kleidung, Agenturen und Unternehmen stellen Leistungen kostenlos zur Verfügung oder spenden Umsatzerlöse: Das Modewort Purpose hat seit dem Beginn der Corona-Krise eine ganz neue Bedeutung gewonnen – und wird doch kaum noch genutzt. Stattdessen wird gehandelt. Schnell und konstruktiv. Joko Weykopfs Agentur Polycore betreut seit Jahren ausschließlich nachhaltige und soziale Produkte und Dienstleistungen. Auf der einen Seite freut er sich über die vielen positiven Projekte, auf der anderen Seite fragt er sich: Warum muss das alles so aufgebauscht werden? Und was davon bleibt auch langfristig?
Herr Weykopf, Sie sind Spezialist in Sachen Purpose. Wie betrachten Sie die aktuelle Entwicklung?
Joko Weykopf: Ich denke, dass wir alle gerade sehr viel lernen. Wir lernen, dass wir die Priorisierung unserer Werte überarbeiten müssen. Wir lernen, dass "Silodenke" uns nicht immer weiterbringt, sondern das Denken und Handeln in Zusammenhängen. Wir begreifen, was alles geht, wenn wir es nur wollen und gemeinsam dafür einstehen. Das ist gut, weil wir über die letzten Jahrzehnte viele wichtige Dinge aus den Augen verloren und Konsum und Profit an deren Stelle gesetzt haben. Diese Krise könnte uns näher zusammenbringen und stärker machen für die Herausforderungen der kommenden Dekade. Wir stecken in einem Reifeprozess, der zu einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung führen kann: einem konstruktiven Kapitalismus. Die Diskussion um Purpose ist nur ein Vehikel zu diesem Ziel.
Warum fällt es so vielen Unternehmen plötzlich so leicht, etwas für die Allgemeinheit zu tun?
Es gibt keine Möglichkeit der Verdrängung. Keine Chance auf Business as usual. Die Lage ist abstrakt, aber dennoch sehr konkret. Sie betrifft nämlich alles und jeden. Niemand kann sich zurücklehnen und sagen: 'Sollen sich die Gutmenschen mal drum kümmern'. Jeder Mensch stellt sich die Frage, was er jetzt tun kann – und tun sollte. Und diese Menschen arbeiten in Unternehmen und krempeln die Ärmel hoch. Ganz pragmatisch und praktisch. Das Engagement kommt also oft von innen – die Mitarbeiter fordern die Führungsriege auf, aktiv zu werden. Das bedeutet nicht automatisch, dass Manager und CEOs keine intrinsische Motivation für soziale Verantwortung hätten. Kommt die Motivation aber von den Mitarbeitern, entwickeln solche Maßnahmen oft wesentlich mehr Energie. Führungskräfte müssen dann klug und empathisch navigieren, statt aufwendig zu animieren.
Hat Corona etwas ausgelöst, was die drohende Klimakatastrophe und die Situation von Geflüchteten nicht geschafft haben?
In gewissem Maße schon. Die Notwendigkeiten werden im Kontext des Klimawandels auch erkannt. Nur ist der Impact der Irritation aktuell eben noch nicht groß genug. Durch Corona führen wir eine Diskussion darüber, was der Preis für ein Menschenleben ist. Und welche Folgen wir zu schultern haben, wenn wir große Teile der Wirtschaft lahmlegen, um Risikogruppen zu schützen. Es steht aber seit Jahrzehnten auch eine andere Frage im Raum: Was ist der Preis unserer Lebensbedingungen? Und was sind die Folgen, wenn wir weiterhin ein System befeuern, das unseren Lebensraum gefährdet und dadurch ebenfalls große Teile der Weltbevölkerung zur Risikogruppe macht?
Die Menschen ignorieren, dass unser Planet durch unser Handeln zerstört wird. Ein Verhalten, das sehr wenigen Menschen kurzfristig monetär nutzt, allen anderen aber massiv schadet. Und während wir die Debatte um Corona und den Preis eines Menschenlebens in Ethik-Räten ausmachen, führen wir die Diskussion um eine Änderung des menschlichen Verhaltens mit dem Ziel, uns wieder mit der Natur zu versöhnen. Denn die interessiert sich nicht für Rezession oder finanzielle Hilfspakete. Ist der Impact des Klimawandels und des Artensterbens in unserem Alltag angekommen, ist er die neue Realität. Die Verhandlung ist dann beendet.
Zurück zum Engagement der Unternehmen: Solche Maßnahmen reißen sicher ein so großes Loch in die Geschäftsbilanz, das nicht durch etwaiges Imageplus wieder ausgeglichen werden kann.
Das Loch in der Geschäftsbilanz wird eh kommen. Das liegt aber weniger an einzelnen Maßnahmen als am umfassenden Lockdown. Wie sich das Engagement auf den Wert des Unternehmens auswirkt, wird davon abhängen, was das Unternehmen getan hat und wie die Menschen das bewerten. Marken sind in Gestalt gebrachte Leistungen. Und Kommunikation ist das Verhalten dieser Marken im Kontext der Gesellschaft. Jede Marke sollte sich deshalb im Klaren darüber sein, dass sie sich eh verhält. Man kann nicht nicht kommunizieren. Das gilt vor allem in Krisenzeiten.
Aber: Wenn man aktiv wird, sollte man sicherstellen, dass man ein wirkliches Problem löst. Es ist nicht ratsam, den Menschen bloß gut zuzureden, damit man während der Krise auch mal was gesagt hat. Marken sollten nicht im Trösten verharren, sondern Mut, Orientierung und nachhaltige Lösungen anbieten. Sie müssen voran gehen, die Dinge zum Besseren verändern und den Menschen die Möglichkeit geben, dabei mitzumachen. So sieht das Marken-Involvement der Zukunft aus.
Werden sich Unternehmen nach der Corona-Krise auch weiter tatkräftig engagieren, zum Beispiel für Geflüchtete und die Klimakrise oder wird wieder alles beim Alten, einem theoretischen Purpose, sein?
Fest steht, dass sehr viele Menschen gerade zum ersten Mal am eigenen Leib erleben, wie gefährlich die Ignoranz unserer aktuellen Wirtschaftsordnung ist. Und wie unvollständig eine Perspektive ist, die allein den monetären Wert eines Unternehmens in den Fokus stellt.
Die Fragen dabei sind: Was nützt ein Purpose in der Realität? Hat den mal irgendeine Agentur aufgeschrieben, aber keiner weiß so richtig, was er bedeutet? Oder ist er lebendig und macht das Unternehmen zu einem konstruktiven Element in der Welt? Im Kern geht es immer um die Förderung folgenkritischen Denkens und Handelns. Ein definierter Purpose ist dabei stetiger Impulsgeber. Jeder CEO, jede Managerin, jeder Mitarbeiter muss morgens auf dem Weg zur Arbeit die Frage beantworten können: Ist die Folge meines beruflichen Handelns positiv oder negativ für die Welt? Kann er dies nicht, verkommt der wohlfeil formulierte Purpose zur Komödie.
Ich rechne damit, dass viele Unternehmen aus dieser Krise lernen und sich mittelfristig damit beschäftigen werden, wofür sie stehen und welchen Wert das eigene Handeln wirklich hat.
Wie kann die Umstellung langfristig gelingen?
Wir bei der Polycore arbeiten für Unternehmen, die Verantwortung in Bezug auf den Klimawandel und das Artensterben übernehmen. Diese Unternehmen handeln schon im Bewusstsein einer Krise. Auch, wenn diese langsamer und anders verläuft als zum Beispiel die Corona-Pandemie. Bei unserer Arbeit geht es also oft um die Frage, wie ein Unternehmen krisensicher wird. Nun sollte klar sein, dass sich Krisen unterscheiden. Grundsätzlich gilt aber: Unternehmen müssen sich bewusster machen, wovon sie abhängig sind. Und dem sollten sie mehr Wert zuschreiben und versuchen, einen konstruktiven und fairen Impact darauf zu entwickeln. Weg vom Denken in Wertschöpfungsketten hin zum Handeln in Wertschätzungsketten.
Die Formel ist recht simpel: Hat ein Unternehmen konstruktiven Impact auf alle seine Stakeholder, wird es in Zukunft von höherem Wert für Mensch und Natur sein. Daraus folgt Relevanz. Und daraus nachhaltiger Profit. Für alle.
Joko Weykopf ist Inhaber und Geschäftsführer von Polycore, einer Agentur, die sich auf nachhaltige und soziale Produkte und Dienstleitungen spezialisiert hat. Die Hamburger Agentur, die er 2015 zusammen mit Jannes Vahl gründete, bezeichnet sich selber als "Agentur für eine bessere Welt". Polycore arbeitet unter anderem für Greenpeace Energy, Ben & Jerry's, Budnikowski, den Bund Naturschutz und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Hamburger stecken auch hinter dem Duschbus Gobanyo, eine Art mobiles Badezimmer für Obdachlose.
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