Studie:
Wirft Corona die Autobranche aus der Bahn?
Für das Jahr 2020 sieht Auto-Experte Stefan Bratzel Einbrüche bei der Automobilnachfrage um bis zu 20 Prozent − wenn es günstig läuft. Sollte die Zwangspause länger dauern, könnte es verheerend sein.
Schon jetzt machen sich die Veränderungen durch das Coronavirus bei der Zahl der Neuzulassungen bemerkbar. Sie ist im März so stark eingebrochen wie noch nie seit der Wiedervereinigung. 215.100 Fahrzeuge kamen im vergangenen Monat neu auf die Straßen und damit 38 Prozent weniger als im März des Vorjahres, wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) mitteilte. Im gesamten ersten Quartal ging die Zahl der Neuzulassungen um 20 Prozent auf 701.300 Einheiten zurück.
Allerdings haben die Betriebe reagiert und die Produktion deutlich heruntergefahren. Demnach bauten die deutschen Hersteller im März lediglich 287.900 Autos und damit 37 Prozent weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres. Im gesamten Quartal ging die Produktion um 20 Prozent zurück. Ähnlich hoch sind die Rückgänge bei den Exporten, die im März um 32 Prozent einbrachen.
Aber welche Szenarien gibt es auf längere Sicht für den globalen Automobilmarkt? Das hat Prof. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) untersucht und in seinem Automotive Performance Monitor 2020 zusammengefasst.
Der Überblick nach Ländern
Der globale Automobilmarkt wird im Jahr 2020 durch die Corona Pandemie nach szenarischen Berechnungen des CAM um 17 Prozent (Basis-Szenario) einbrechen. Insgesamt sinkt die weltweite Automobilnachfrage damit um ca. 15 Mio. Pkw auf nur noch 68 Mio. Pkw. Danach ist in Europa mit einem Minus von 21 Prozent auf nur noch 12,5 Mio. zu rechnen, während in den USA die Nachfrage um 3 Mio. auf dann 14 Mio. Pkw/LCV (- 17 Prozent) sinken könnte.
Der größte Automobilmarkt China würde dagegen um nur 10 Prozent auf 19 Mio. Pkw im Gesamtjahr 2020 sinken, wobei die chinesische Autonachfrage im Vergleich zum Höchststand im Jahr 2017 (24 Mio.) dann bereits um 5 Mio. Einheiten geschrumpft sein wird.
Die Grundlagen des Szenarios
Voraussetzung für die obigen Schätzungen ist, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und damit auch der Automobilwirtschaft auf eine Kernzeit von sechs bis acht Wochen in den jeweiligen Regionen begrenzt bleiben. Andererseits rechnet Bratzel damit, dass die Automobilnachfrage durch verschiedene staatliche Anreizprogramme und zusätzliche Fördermaßnahmen angeregt wird. Sollten diese Annahmen nicht zutreffen, wäre mit deutlich höheren Rückgängen der Pkw-Nachfrage zu rechnen.
In den zurückliegenden Wochen ist die Automobilnachfrage aufgrund der Corona Krise vielfach stark eingebrochen. In China waren im Februar die Neuzulassungen um 80 Prozent und in der ersten Märzhälfte um 50 Prozent gesunken, während seitdem Zeichen einer leichten Belebung sichtbar werden.
In der EU rechnet Bratzel mit einer vier- bis sechswöchigen Verschiebung zu China und daher mit einem negativen Peak im März und April 2020. Das Minus könnte sich durchaus auf bis zu 65 Prozent summieren, am stärksten sieht das CAM Italien betroffen (- 85 Prozent), Frankreich (- 72 Prozent) und Spanien (- 69 Prozent). In den USA sind die Pkw-Absätze im März 2020 um 39 Prozent gesunken. Aufgrund der erst seit kurzem eingeleiteten Ausgangsbeschränkungen ist mit einem Höhepunkt des Markteinbruchs in den USA erst im April zu rechnen.
Die Experteneinschätzung
Studienleiter Stefan Bratzel: "Insgesamt stellt die Corona-Krise die Automobilwirtschaft in Deutschland vor die in ihrer Geschichte bislang größten Herausforderungen. Auf der Angebots- bzw. Produktionsseite wird es angesichts der dramatischen Liquiditätsengpässe vor allem darauf ankommen, die systemrelevanten Akteure zur Zukunftssicherung der Automobilbranche zu schützen. Hierzu zählen nicht nur die Automobilhersteller, sondern auch viele für die Lieferkette essenzielle Automobilzulieferer sowie Automobilhandelsunternehmen. Die Stimulierung der Automobilnachfrage wird in den kommenden Wochen das Kernproblem sein. Die sich verschärfenden negativen ökonomischen Rahmenbedingungen führen zu großer Unsicherheit und entsprechender Kauf-Zurückhaltung bei teuren Anschaffungen wie Automobilen. Entsprechend werden starke Anreize zur Nachfragestimulation notwendig sein, um eine Wiederherstellung und Stabilisierung der automobilen Wertschöpfungskette zu ermöglichen."