Inhalte kontrollieren, statt Erbsen zählen. Hat Contentmarketing also seine eigenen Gesetze?

Ich sage meinen Kunden provokativ: Display heißt, wir haben aus den Zeitungen die Anzeigen rausgenommen und sie ein bisschen mit Animationen gepimpt. Für Branding hat Display seine Berechtigung. Aber wenn es um Performance geht, taugt Display nur bedingt. Deshalb setzen wir auf Slideshows und aktivere Formate. Bildergalerien sind Performance-Werbefelder. Damit können wir für den Kunden nachweisen, ob der User überhaupt mit dem Inhalt interagiert. Wenn man nur sagen kann, dass der User etwas gesehen hat, reicht das nicht.

Bildergalerien sind also ein unterschätztes Werkzeug?

Ja. Die Verlagshäuser verstehen das, weil sie es täglich einsetzen. Große Tagesmedien und Magazine spielen zum Beispiel so ihre Themen. Die Engagementraten sind dabei sehr hoch. Aber in der Werbung werden Bildergalerien ganz selten genutzt. Die Werbewirtschaft sollte sich einfach fragen, was die Nutzer wirklich interessiert.

Sie sagen: Wir haben die falschen KPIs. Aber wer ist "wir"? Messen die Unternehmen selbst falsch oder haben sie Dienstleister, die ihnen aus Bequemlichkeit oder Unwissenheit falsche Zahlen liefern?

Es wird relativ schlampig gemessen. Man verlässt sich nach wie vor auf die Display-KPIs. Teilweise fehlen generell entsprechende Messkriterien. Weder die Dienstleister noch die Werbekunden wissen bei Contentmarketing und Native Advertising wirklich, worauf sie achten sollten. Das liegt auch an denen, die diese Produkte anbieten. Sie müssten solche KPIs nach vorne tragen und ihre Kunden über Educationprozesse aufklären.

Grundsätzlich gilt also: Verweildauer rauf, Abbruchrate runter. Welche weiteren Messgrößen sollte man Ihrer Meinung nach einführen?

Zunächst einmal überprüfen wir die Inhalte unserer Kunden speziell auf diese beiden Kriterien: Verweildauer und Abbruchrate. Wenn wir zum Beispiel ein Advertorial von einem Automotive-Kunden bekommen und das in die Reichweite buchen, dann schauen wir uns genau an, ob die Menschen das lesen, und wenn ja, wie lange sie es lesen. Wenn wir feststellen, dass beide KPIs unterdurchschnittlich performen, dann rufen wir den Kunden an und raten ihm, den Inhalt zu überarbeiten. Generell sollten wir uns beim Contentmarketing auf Engagementraten konzentrieren. Schließlich kann Content mehr als nur gelesen werden.

Ein Beispiel, bitte.

Wenn in einer Bilderstrecke die User immer beim siebten Bild aussteigen, dann kann es sinnvoll sein, an dieser Stelle statt eines Produkt-Ansatzes einen erzählerischen Ansatz zu ­bringen. Oder: Wenn man will, dass Menschen sich Broschüren runterladen, wäre Native Advertising ein ideales Mittel, wenn wir in diese Umfelder Performance-Elemente implementieren und die dann kontinuierlich auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen.

Es geht also um die Verknüpfung von Quantität und Qualität, um das Echtzeit-Testing von Medialeistungen im Zusammenspiel mit Werbeinhalten?

Wir schalten Contentkampagnen nicht nur, damit wir die Zielgruppen über Inhalte anspielen, sondern wir machen darüber hinaus ein dynamisches Testing, also Contentresearch. Welcher Inhalt weckt Interesse? Das lesen wir über die Klickraten und die Öffnungsraten der Artikel. Dann kontrollieren wir, welcher Inhalt für die jeweilige Marke funktioniert. Da gibt es verblüffende Unterschiede. Manche Artikel klicken einfach gut. So lösen zum Beispiel Listicles und Gossip in der Regel zwar ein hohes Engagement aus. Aber der Inhalt funktioniert nicht für den Werbungtreibenden dahinter. Die Klick- und Öffnungsrate zeigt: Das Thema war interessant. Aber die Dwell-Time und die Verweildauer zeigen, ob der Content auch relevant war und nicht nur interessant. Uns muss klar sein: Empathie gibt es nicht im App-Store.

Sie sprechen von Empathie. Was meinen Sie damit?

Zum Großteil ist Native Advertising sehr plump ausgeführt. Es wirkt aufgesetzt. Wir sollten deshalb weniger über User sprechen, als mehr über Menschen. Der Begriff User verleitet dazu, die Handlungsweise von Menschen maschinell zu betrachten. Das Problem ist nicht, dass jemand merkt, dass er in ein Advertorial gerutscht ist. Ein Problem ist es, wenn ihn der Inhalt nicht interessiert. Haben wir die Empathie, eine Kampagne erst dann freizuschalten, wenn alle Beteiligten der Meinung sind, dass der Content relevant und interessant ist? Die Frage ist doch: Würden wir das selbst lesen? Oft kommt Native Advertising aus den Marketing- und Mediaabteilungen der Unternehmen. Die leben Content aber nicht so, wie es Redakteure tun. Redakteure kennen ihr Publikum. Im Marketing drückt man oft zu sehr auf die Tube. Das funktioniert im Contentmarketing nicht.

Letztlich geht es doch aber nicht nur darum, wie ich die Zielgruppe anspreche, sondern auch darum, dass ich die richtige Zielgruppe anspreche.

Ich versuche mich an den besten Playern im Markt zu orientieren. Und da pfeife ich auf die Sinus-Milieus. Wenn es um das Thema Zielgruppe geht, ist Google Search mit Abstand der etablierteste und qualitativ beste Anbieter am Markt. Wenn jemand auf die Suchmaschine geht und „Gartenzaun“ eingibt, dann ist Google in dem Moment egal, ob das eine 14-jährige Tochter oder eine 80-jährige Großmutter ist. Natürlich haben die Sinus-Milieus in bestimmten Feldern ihre Berechtigung. Aber wenn es um Kontext geht, müssen wir auf Inhalte schauen. Ich bin das beste Beispiel. Ich bin gerade Vater geworden. Ich interessiere mich für Themen rund um das Stillen. Eigentlich geht es um meine Frau. Aber auch ich bin für Werbungtreibende hochrelevant.

Sie meinen das Finden statistischer Bedarfszwillinge über Google Search, die soziodemografisch überhaupt nichts miteinander zu tun haben müssen?

Genau. Ein Beispiel: Donald Trump, Wayne Rooney und ein Hells Angel haben, von den Sinus-Milieus aus betrachtet, nichts miteinander zu tun. Aber falls die drei Angst vor Haarausfall haben sollten, dann kommen sie vielleicht als Kunden eines Spezialshampoos zusammen. Darum geht es Marken doch prinzipiell: Mit der richtigen Zielgruppe kontextspezifisch zu kommunizieren.

Also bietet Search eine ideale Werbemöglichkeit?

Jein. Search ist zum richtigen Zeitpunkt da, wenn jemand weiß, was er braucht; aber Search kreiert keinen Bedarf. Das ist mitunter auch das größte Problem der Suchmaschine. Wenn jemand auf die Suchmaschine geht, weiß er bereits, wonach er sucht. Wir alle haben aber im Studium gelernt, dass Marketing auch Bedürfnisse wecken können muss.

Die Vorstellung ist doch aber die, dass die Daten­mengen so riesig sind, dass auch auf die geclusterten Bedürfnisse hin gezielt geworben werden kann. ­Schließlich reden alle von Big Data. Oder ist das alles übertrieben?

Man muss das einfach mit dem gesunden Menschenverstand betrachten. Oder wie wir Österreicher sagen: mit Hausverstand. Ich muss immer schmunzeln, wenn ich auf der Dmexco bin. Da steht fast auf jedem Messestand „Big Data“. Man kann Turbinen antreiben mit der heißen Luft, die da verzapft wird. Amazon, Facebook und Google haben Big Data aufgebaut, weil sie wirklich wahnsinnig viel über ihre Nutzer wissen: Wo wohnt er, wie alt ist er, wofür interessiert er sich, mit wem ist er befreundet? Das ist Big Data. Wenige Unternehmen haben CRM-Systeme, die man auch als Big Data bezeichnen könnte. Aber eigentlich gilt doch: Wenn es um Werbung geht, müssen wir uns nicht immer mit Big Data herumschlagen. Es sollte eher Smart Data sein.

Smart Data statt Big Data – das klingt gut. Aber was meinen Sie damit?

Man sollte sich zunächst einmal ganz einfach fragen: Wie alt ist überhaupt der Datensatz, mit dem ich arbeite? Und: Wofür interessiert sich meine Zielgruppe tatsächlich? Wenn ich das weiß, kann ich die passenden Dienstleistungen und Produkte auf ansprechende Weise zeigen. Es kann sinnvoll sein, zwei Schritte zurückzugehen, statt anzufangen, Berge an Daten zu verarbeiten. Um zum Beispiel von vornhin zurückzukommen: Menschen, die Haarausfall haben, kann ich über Content perfekt targeten.

Kann man auch Media-Geld sparen, indem man mit Content zielgerichtet wirbt?

Zunächst einmal: Search-Advertising kann auch teuer sein. Versicherungsunternehmen zahlen bis zu 50 Euro Cost per Click. Das liegt daran, dass die Konkurrenz sehr stark ist. Search funktioniert sehr gut. Aber wenn eine Verknappung eintritt, wird es eben teurer. Andererseits: Wenn die Conversion-Rate stimmt und der Kunde lange genug bleibt, zahle ich als Unternehmen gerne so viel. Das kommt immer auf den Einzelfall an. Ich rate niemals meinen Kunden, nicht Google Search zu buchen. Die Performance ist einfach gut. Aber wenn es zu manchen Thematiken zu wenig Suchvolumen gibt, dann muss ich anders vorgehen.

Und wie?

Wenn es in Deutschland nur 20 000 Suchabfragen pro Monat zu einem bestimmten Thema gibt, aber die ganze Industrie sich darum balgt, dann muss ich vielleicht den Teich, in dem ich angle, größer gestalten. Dann muss ich nicht nur die Wissenden ­abfischen, sondern bedarfsweckende Maßnahmen setzen. Dafür ist Content ein großartiges Mittel.

Theoretisch klingt das sinnvoll. Können Sie ein praktisches Beispiel geben, wie das bei Ihnen funktioniert?

Ein Kunde von uns ist ein österreichischer Energiedienstleister. Sein Ziel war es, Solarpaneele zu verkaufen. Er hat klassisches Display-Advertising gemacht. Die Display-Kampagne lief ziemlich gut. Mit einer Click-through-Rate von 0,17 Prozent war er schon weit über dem Durchschnitt.

Wie hoch ist denn der Durchschnitt?

Laut Internet Advertising Bureau liegt die weltweit durchschnittliche Click-through-Rate über alle Werbemaßnahmen hinweg gemessen bei 0,05.

Trotz der guten CTR haben Sie Ihrem Kunden geraten, seine Werbung zu ändern?

Wir haben für ihn eine Content-Kampagne aufgesetzt, in der wir die Zielgruppe über thematische Inhalte zum Thema Photovoltaik angesprochen haben. Da haben wir Themen wie staatliche Förderung und Energiesparpotenziale gebracht. Dabei kam heraus, dass weder die Förderung noch die Sparpotenziale die Zielgruppe extrem interessiert ­haben, sondern: Das Triggerthema Nummer eins war das Wetter! Logisch: Österreich hat vergleichsweise viele ­Regen- und Nebeltage. Die Menschen hatten einfach Angst, dass sie am falschen Ort für eine Solaranlage leben könnten. Sie wollten darüber informiert werden, ob sie zum Beispiel auch bei nebligem Wetter genug Strom produzieren können. Mit dieser Erkenntnis sind wir zum Kunden, und der hat seine Content-Strategie geändert.

Sie haben einfach nur das Thema gewechselt und übers Wetter geredet?

Nicht nur. Wir haben Nutzer, die sich für das Thema Wetter interessiert haben, über Cookies markiert und dann über klassische Retargeting-Mechanismen wiederholt angesprochen. Allerdings mit einem Display-Motiv, auf dem nicht stand „Photovoltaik ist toll“, sondern: „Photovoltaik funktioniert auch bei schlechtem Wetter“, angereichert mit Informationen dazu. Das war nichts anderes als personalisierte Werbung auf den Kundenbedarf hin. Dadurch ist die Klickrate exorbitant (0,95 Prozent) nach oben gegangen, denn es war für die Menschen relevant und kontextual richtig.

Also geht es ganz einfach um die Kunst, die wirklichen Ängste, Sehnsüchte und Vorlieben der potenziellen Kunden rauszufinden?

Ja, man muss den Menschen im User erkennen. Das Interessante in diesem Fall war: Der Kunde hat selbst nicht an das Wetter gedacht. Um so etwas herausfinden zu können, haben wir eine eigene Content-Unit, die auf das jeweilige Thema hin gebrieft wird, und nicht auf den Kunden. Im ersten Schritt ist es völlig egal, wer der Werbekunde ist. Es geht um das Thema. Im vorliegenden Fall war das die Photovoltaik. Dann beginnen die Redakteure breit zu recherchieren. So finden wir über das Engagement mit den Usern heraus, was sie wirklich interessiert. Das wissen wir oft selbst nicht.

Warum sagen Sie Ihren Redakteuren anfangs nicht, wie der Kunde heißt?

Bei neutral angesetzten Themenumfeldern wird man dadurch von vornherein unnötig gedanklich eingeschränkt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Redakteure bei der Recherche logischerweise auch die Webseite des Kunden anschauen. Dann sind sie aber automatisch in der bereits bestehenden Argumentation des Kunden gefangen.

Also geht es um möglichst viel kreativen Freiraum.

Ja. Weil: Technik wird nie alles lösen können. Das ist der größte Trugschluss, den man überall am Markt sieht. Alle glauben, die Systeme seien so clever. Nein, sind sie nicht. Die Systeme können clever bedient werden. Wir brauchen den Hausverstand und die Empathie! Google ist schon sehr clever. Aber auch dahinter arbeiten Menschen.

Was Sie sagen, klingt auch wie eine Kritik an ­Mediaplanern.

Mediaplaner arbeiten nicht schlecht. Sie wissen nur manchmal zu wenig. Einer unserer Kunden ist ein Hersteller für ergonomische Sitzmöbel. Das Thema war: Rückenschmerzen. Als Mediaplaner würde auch ich das Thema vor allem auf Gesundheitsportalen ausspielen. Tatsächlich aber waren die Engagement-Raten in wirtschaftlichen Themenumfeldern besonders hoch. Und zudem in den Abendstunden. Daraus haben wir ein strategisches Learning erhalten: Wenn die verspannten Büromenschen abends zu Hause oder im Büro sitzen, ist das eine günstige Situation. Das können wir dem Kunden kommunizieren und wir können die anschließenden Marketingaktivitäten darauf einstellen. Also nicht nur die Distribution der Inhalte auf die Wirtschaftskanäle shiften, sondern zum Beispiel auch die Display-Flights in Richtung Abendstunden ausspielen. 

Das Native Advertising Institut bringt heute übrigens das E-Book "The global guide to technology in native advertising " heraus. Hier kostenlos zum Download (Institutsgründer Jesper Laursen spricht heute bei den "Advertising Heroes" in München)

Wie gutgemachtes Native Advertising funktioniert, können Sie außerdem hier nachlesen.

Das Interview erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe von W&V, die Sie hier abonnieren können.


Autor: Rolf Schröter

Rolf Schröter ist Chefredakteur der W&V und interessiert sich nicht nur deshalb prinzipiell für alles Mögliche. Ganz besonders für alles, was mit Design und Auto zu tun hat. Auch, wenn er selbst gar kein Auto besitzt.


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