Die Maschine spricht uns an

War es in der Vergangenheit hauptsächlich der Mensch, der sich mit seinen Anliegen an eine Künstliche Intelligenz gewendet hat, so bewegen wir uns aktuell in einer Phase, in der die Interaktion zwischen Mensch und Maschine immer mehr von Gegenseitigkeit geprägt ist. Virtuelle Figuren kommen mit ihren Anliegen auf uns zu – Humanizing Technology in entgegengesetzter Richtung: Ein uns ansprechender Bot muss menschlich genug gestaltet sein, um einen Zugang zu seinem Publikum zu finden.

Ein Beweis dafür sind "virtuelle Influencer", die sich auf Social-Media-Plattformen wie Instagram tummeln: Das erste virtuelle Supermodell Shudu Gram (177.000 Follower) und die Influencerin Lil'Miquela (1,5 Millionen Follower) mitsamt ihrem – selbstredend ebenfalls virtuellen – Freund Blawko (135.000 Follower) sind 3D-gerenderte virtuelle Modelle, aber besuchen wie "traditionelle" Influencer Hotspots, laden Selfies und Slice-of-Life Stories in Echtzeit hoch. Und das ist nur ein Aspekt ihres perfekten Instagram-Lebens. Weitaus interessanter ist, dass sie Prada tragen und für KFC werben.

Mit anderen Worten: Sie sind Social-Media-Nutzer mit dem Ziel, Influencer-Marketing zu betreiben.

Welches Potenzial hinter dieser Entwicklung steckt, wird deutlich, wenn man den Markt betrachtet, in dem sich die virtuellen Influencer bewegen: Influencer Marketing, das 2016 noch eine 1,7-Milliarden-Dollar-Industrie war, ist 2019 auf einen Markt mit einem Volumen von 6,5 Milliarden Dollar angewachsen. Einen Markt, den die virtuellen Influencer als optimierte Personifizierungen von Marken betreten. Mit einem großen Vorteil auf ihrer Seite: Das Wesen der Virtual Influencer basiert auf einer breiten Datengrundlage.

Datenquellen wie Google, Yelp, Facebook-Rezensionen, Verbraucher- und Trendforschung formen die virtuellen Influencer und sorgen dafür, dass sie besser informiert sind als ihre menschlichen Kollegen. Außerdem unterläuft ihnen ein Fehler nicht, für den Influencer häufig kritisiert werden: inkohärente Botschaften, etwa durch unrealistische, Pay-for-Play-Platzierungen, die leider der traurige, neue Branchenstandard zu sein scheinen.

Lieber virtuell, aber konsistent

Das Misstrauen gegenüber dieser Art Marketing Messaging schafft Raum für eine seltsame neue Norm: die der offenen Inauthentizität. Vieles spricht für einen Markenbotschafter, der eine ungebrochene Kohärenz in seiner Aussage mit einer hohen Passgenauigkeit für seine Zielgruppe bietet. Und Kohärenz wird honoriert: Einer Umfrage von Mindshare zufolge finden 54 Prozent aller britischen Konsumenten virtuelle Entitäten ansprechend – unter Tech-affinen sind es sogar 69 Prozent. 

Virtuelle, datengetriebene Influencer als Teil einer digitalen Marken-Infrastruktur könnten in naher Zukunft die ergänzende Schnittstelle zwischen Marke und Kunde werden. Von heute auf morgen geht das allerdings nicht. Und es funktioniert nur, wenn die Branche sich dieser Aufgabe annimmt. Bis die Influencer zum fest ins Ökosystem der Marke integrierten Bindeglied zwischen Brand und User werden können, müssen wir für mehr Akzeptanz virtueller Meinungsträger in den sozialen Medien sorgen.

Es liegt nun an uns, die Trends und Social-Tech-Entwicklungen mitzubestimmen und Daten intelligent zu verknüpfen, um eine ehrlichere und einfühlsamere Beziehung zwischen Menschen und Maschinen zu erzielen. Da offen unauthentische Persönlichkeiten – wie virtuelle Influencer oder Bots – immer häufiger auftreten, können sie eine neue Form der Ehrlichkeit – oder Kohärenz – entwickeln. Indem wir als Nutzer die Influencer oder Bots mit auf Daten basierenden Erkenntnissen versorgen, erhalten wir kohärenten Botschaften. Zudem müssen wir die Kreativität nutzen, um die Technologie zu humanisieren und die Maschinen mit dem Einfühlungsvermögen auszustatten, das sie benötigen, um relevanter zu werden. Unsere gemeinsame Zukunft wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz geprägt sein. Dies ist ein neues Zeitalter für Creative Tech und Social Media, das Maschinen und Menschen näher als je zusammenbringt.

Die Autoren: Nathaniel Grigolla ist Director of Content bei Elbkind Reply am Standort Berlin und ist mit seiner Elbkind Reply Content Innovation Unit stets auf der Suche nach Innovationen im Bereich Storytelling und Kommunikation.Tobias Spörer ist Gründungsmitglied und Teil der Geschäftsführung von Elbkind Reply. Die Kreativ-Agentur entwirft und pflegt digitale Ökosysteme für Marken und Kunden.


Autor: W&V Gastautor:in

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