Einen der Gründe sieht Marco Nink, Director of Research & Analytics von bei Gallup EMEA, in der mangelnden Empathie: "Führungskräfte kümmern sich derzeit vor allem um das Managen von Krisen, die Beschäftigten sind wieder etwas vom Aufmerksamkeitsradar verschwunden." Dazu kommen noch die zahlreichen Kündigungswellen, auch in rentablen Tech-Konzernen wie Amazon, die für Unsicherheit und Beklommenheit sorgen.

Die Auswirkungen der Dauerkrise

Während die Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren recht tapfer durchgehalten haben und ihren Firmen auch so manches verziehen haben angesichts der abrupten Corona-Pandemie, sind jetzt die Widerstandskräfte aufgezehrt. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 lag der Anteil der Beschäftigten mit hoher emotionaler Bindung bei jeweils 17 Prozent - ein Rekordhoch. 2022 ist er mit lediglich 13 Prozent deutlich eingebrochen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Arbeitnehmenden, die im Job innerlich gekündigt haben, auf 18 Prozent gestiegen und erreicht damit den höchsten Wert seit 2012 (2021: 14 %). 

Nur noch 13 Prozent der Befragten stellen ihren Führungskräften ein sehr gutes Zeugnis aus, das zu einer hohen emotionalen Bindung führt. Mit 69 Prozent macht der überwiegende Teil Dienst nach Vorschrift. Der Anteil derer, die keine emotionale Bindung aufweisen und bereits innerlich gekündigt haben, liegt bei 18 Prozent und damit höher als in den Vorjahren.

Das bringt nicht nur volkswirtschaftliche Kosten mit sich, die Gallup auf mehr als 120 Milliarden Euro beziffert, sondern hat auch sehr negative Auswirkungen auf wichtige Firmenindizes. Dabei hat Gallup jeweils die Unternehmen aus dem obersten und untersten Viertel verglichen.

Wechselbereitschaft auf Rekordniveau 

Neben der niedrigen emotionalen Bindung ist noch ein weiterer Faktor wichtig, der die Wechselbereitschaft beeinflusst. 81 Prozent glauben, dass es gerade eine gute Zeit sei, sich nach einer neuen Stelle umzusehen. Das war in den beiden Vorjahren komplett anders.

In Bezug auf die mittelfristige Wechselbereitschaft: Waren 2018 noch zwei von drei Beschäftigten fest davon überzeugt, in drei Jahren noch für ihren aktuellen Arbeitgeber tätig zu sein (65 %), sind es jetzt nur noch 39  Prozent (2019: 58 %, 2020: 50 %, 2021: 44 %).

Besonders schwach ist der Wille zu bleiben bei den Jungen ausgeprägt. Aber auch hier zeigt sich, dass man als Unternehmen etwas tun kann - in die Bindung investieren. Denn dann steigt die Treue - über alle Generationen hinweg.

Die Wechselbereitschaft nach Altersgruppen

"Wir sehen massive Umwälzungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt", so Pa Sinyan, Managing Partner von Gallup EMEA. "Die Wechselbereitschaft nimmt konstant zu, Beschäftigte schätzen ihre Aussichten in einem für Unternehmen herausfordernden Umfeld so positiv ein wie selten zuvor. Unternehmen, die jetzt nicht gezielt gegensteuern, werden ins Schleudern geraten und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gefährden."

Marco Nink ergänzt: "Von denjenigen, die in einem Jahr nicht mehr bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber sein möchten, ist jeder Fünfte  (20%) bereits aktiv auf Jobsuche, weitere 41 Prozent hören sich um."

Auch die Burn-out-Gefahr nimmt mit steigender Bindung drastisch ab.  Insgesamt beklagt jeder Dritte, aufgrund von Arbeitsstress innerlich ausgebrannt zu sein  (35 %) – bei Menschen mit hoher emotionaler Bindung sind es nur 13 Prozent.

Das Stresslevel bleibt hoch.

"In einem volatilen Arbeitsmarkt müssen Unternehmen alles daransetzen, ihre Mitarbeitenden zu halten", so Marco Nink. „Nur so haben sie eine Chance, die Auswirkungen des Fachkräftemangels und des allgemeinen Arbeitskräftemangels abzufedern. Wenn Mitarbeitende dauerhaft bleiben, dann tun sie das aufgrund der erlebten Führung und des Arbeitsumfelds. Vor diesem Hintergrund gibt es für schlechte Führung keine Entschuldigung mehr – zumal es hier keine Erkenntnislücke, sondern ein Umsetzungsdefizit gibt. Führungskräfte brauchen ein Bewusstsein für das eigene Verhalten und sollten es auf den Prüfstand stellen."

Wie man Vertrauen schafft

In der aktuellen Situation gibt es vor allem zwei Hebel, um die Ängste der Beschäftigten zu nehmen:

  • Zuversicht vermitteln, dass und wie man künftig gut durch Krisen kommt
  • Stützen, stärken, inspirieren: seine Aufgaben als Chef:in besser wahrnehmen

Bei beiden Punkten hapert es. Uneingeschränktes Vertrauen in die finanzielle Zukunft ihres Unternehmens haben nur noch 41 Prozent der Befragten (-5 % ggü. Vorjahr). Auch die Überzeugung, dass die Geschäftsführung künftige Herausforderungen erfolgreich meistern wird, hat gelitten. Nur noch 29 Prozent der Befragten trauen ihr das zu.

Nur jeder Vierte ist mit seiner direkten Führungskraft äußerst zufrieden.

Die größten Kritikpunkte

Mein:e Chef:in

  • nimmt meine positiven Seiten und Stärken wahr 
  • inspiriert mich und ermutigt mich, neue Dinge auszuprobieren
  • ist erreichbar und nimmt sich Zeit für mich
  • versorgt mich mit allen Informationen, die ich benötige
  • informiert mich über Vorgänge in meinem Unternehmen
  • unterstützt mich

Diese Punkte fehlen den meisten Beschäftigten. Nur ein Drittel erlebt das bei seinen Chefs, den Punkt Inspiration/Ermutigung sogar nur 14 Prozent.

"Die Daten deuten darauf hin, dass es bei Führungskräften erhebliches Potenzial gibt, Beschäftigte so zu führen, dass sie ihren Job besser machen können und motiviert zur Arbeit gehen. Sie zeigen aber auch, dass sich hohe Zufriedenheit mit der Führungskraft positiv auf die emotionale Bindung zum Unternehmen auswirkt. Zu viele Vorgesetzte legen allerdings immer noch den Schwerpunkt auf die Schwächen ihrer Beschäftigten statt auf ihre Stärken und positiven Eigenschaften", sagt Marco Nink. 

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Annette Mattgey, Redakteurin
Autor: Annette Mattgey

Seit 2000 im Verlag, ist Annette Mattgey (fast) nichts fremd aus der Marketing- und Online-Ecke. Als Head of Current Content sorgt sie für aktuelle Geschichten, Kommentare und Kampagnen auf wuv.de. Außerdem verantwortet sie das Themengebiet People & Skills.