"Herausgabeanordnung":
Mails, SMS & Co: Ermittler sollen in EU leichter an Daten kommen
Bislang mussten Strafverfolger in der EU oft mühsam um den Zugang zu elektronischen Beweismitteln wie Chat-Nachrichten kämpfen. Eine Einigung in Brüssel macht nun Hoffnung, dass sich dies bald ändert.
Ermittler in der Europäischen Union sollen zur Verfolgung schwerer Straftaten einfacher und schneller Zugang zu elektronischen Beweismitteln wie E-Mails, SMS und Chat-Mitteilungen bekommen. Unterhändler des Europaparlaments und der Regierungen der EU-Staaten erzielten am Dienstagabend vorläufiges politisches Einvernehmen über neue Regeln für den Zugang zu digitalen Daten, wie der tschechische EU-Ratsvorsitz mitteilte. Demnach fehlen nur noch technische Details und die formale Bestätigung durch den Rat der Mitgliedstaaten und das Plenum des Europaparlaments.
Kern der neuen Regelung ist nach Angaben der für den Text zuständigen EU-Kommission eine sogenannte Herausgabeanordnung. Sie soll es künftig den Justizbehörden ermöglichen, über ein dezentralisiertes IT-System direkt bei einem Diensteanbieter den Zugang zu elektronischen Beweismitteln anzufordern. Dieser muss dann innerhalb von zehn Tagen beziehungsweise im Notfall sogar innerhalb von acht Stunden antworten. Eine sogenannte Sicherungsanordnung soll zudem verhindern, dass elektronische Beweismittel durch Diensteanbieter gelöscht werden.
"Die neuen Vorschriften zu elektronischen Beweismitteln sind dringend erforderlich, damit unsere Justiz- und Strafverfolgungsbehörden wirksam gegen Terrorismus, Cyberkriminalität und andere schwere Formen der Kriminalität vorgehen können", kommentierte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson die Einigung. Derzeit blieben Kriminelle in einem grenzenlosen Internet oft anonym, was Straflosigkeit zur Folge habe.
Mehr als 100000 Beweisanträge im Halbjahr
Laut EU-Justizkommissar Didier Reynders richteten Behörden der EU-Mitgliedstaaten allein im zweiten Halbjahr 2020 mehr als 100 000 elektronische Beweisanträge an die größten Online-Diensteanbieter. Mit der neuen Herausgabeanordnung würden die Mitgliedstaaten nun künftig über einen zuverlässigen Kanal verfügen, um rasch Daten zu bekommen.
Um die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Diensteanbietern zu verbessern, sollen alle Diensteanbieter nach Angaben der Kommission spezielle Vertreter ernennen, die sich um die Bearbeitung von Auskunftsersuchen kümmern. Gleichzeitig soll immer auch der Schutz der Grundrechte und der personenbezogenen Daten garantiert werden.
Die für das EU-Parlament verhandelnde SPD-Politikerin Birgit Sippel sagte am Mittwoch, auf Druck des Parlaments sei vereinbart worden, dass bei Anordnungen zur Herausgabe besonders sensibler Daten – etwa Verkehrs- und Inhaltsdaten - zeitgleich auch der Mitgliedstaat informiert werden müsse, in dem der Diensteanbieter sitze. Die informierte Behörde müsse dann die Anordnung innerhalb der Fristen überprüfen und die Anordnung gegebenenfalls verweigern – zum Beispiel, wenn die Tat im Land des Anbieters keine Straftat sei oder die Herausgabe der Daten eine Verletzung der Pressefreiheit bedeuten würde.
Auch die Anbieter selbst können nach Angaben von Sippel die zuständigen Behörden ihres Landes auf kritische Anordnungen aufmerksam machen. Das Gesamtprojekt beschrieb die Innenpolitikerin als Basis für eine "Zeitenwende in der europäischen Zusammenarbeit von Polizei und Justiz". (dpa/st)
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