Der Konsument kann selbst entscheiden

Welche Rolle soll also der Staat in dieser Frage einnehmen? Nicht nur für Foodwatch ist die Frage schnell beantwortet: Er soll sich um das Wohl seiner Bürger kümmern und diese vor Schäden bewahren. Dazu zählt, Gefahren durch Gesundheitsschäden als Folge bestimmter Konsumentscheidungen abzuwehren. Ich bin nicht der Meinung, dass dies die Rolle des Staates ist. Der Staat, so mein Verständnis, hat die Aufgabe, Schäden von seinen Bürgern abzuwehren, die ihnen von außen beziehungsweise von anderen zugefügt werden. Den Bürger vor sich selbst zu schützen gehört nicht dazu.

An dieser Stelle wird dann gerne argumentiert, der Konsument sei aber eben gerade nicht frei in seinen Entscheidungen. Das Warenangebot sei nun mal überwiegend ungesund und die Werbung hierfür verführe ihn nun mal. Dem Konsumenten wird eine Eigenverantwortung für sein Handeln und für das Handeln seines unmittelbaren Umfeldes weitgehend abgesprochen. Zunächst einmal ist diese These gewagt, jüngere Untersuchungen etwa vom Marktforschungsinstitut Allensbach deuten auf ein ganz anderes Konsumentenbild hin. Diese Verantwortung kann man ihm aber nicht abnehmen. Im Gegenteil glaube ich, dass eine Gesellschaft, in der jeder Lebensbereich reguliert ist und in dem ergo niemand mehr selbst Verantwortung für Verhaltensweisen und Entscheidungen trägt, nicht gesund ist.

Wir brauchen keinen wohlmeinenden Staat, der sich wie eine Helicopter-Mama aufführt und uns zu einem "guten Leben" erzieht. Wir sind vielmehr gut darin beraten, den Menschen ihre Spielräume zu lassen und sie nicht für unfähig zu erklären, vernünftige Wahlentscheidungen fällen zu können – dies allein schon, weil es die Basis unserer demokratischen Grundordnung bildet.  Die Kriterien eines "guten Lebens" sind keineswegs objektiv oder objektivierbar, auch nicht für den Gesetzgeber.

Aufklärung vs. Verbote

Es fällt auf, wie schnell und leichtfertig Akteure in dieser Diskussion zum Teil bereit sind, Grundwerte zu opfern, wenn es der eigenen Sache dient. Nur ein Beispiel: ein Influencer auf YouTube gibt zunächst einmal eine eigene Meinung wieder. Foodwatch fordert mehr oder weniger explizit, dieses Recht einzuschränken, sobald Äußerungen zu vermeintlich gesundheitsschädlichen Produkten im Spiel sind. Hier ist immerhin ein Grundrecht berührt. Dieses Muster findet sich leider relativ häufig. Immer wieder werden Einschränkungen grundlegender Rechte für eine vermeintlich gute Sache gefordert. Die "gute Sache" gibt es als objektive Größe jedoch nicht. Der Staat wäre auf einem falschen Weg, wenn er objektiv richtige Werte wie die Meinungsfreiheit auch nur in kleinen Teilen opfert, um Themen zu regulieren, für die er  nicht zuständig ist.

Richtig ist, (potentielle) Konsumenten aufzuklären und über die Folgen seiner potentiellen Konsumentscheidungen ins Bild zu setzen. Und das am besten gleich im Kindergarten. Hier haben Eltern eine Verantwortung, aber eben auch der Staat. Falsch, weil nicht mit unserem politischen und ökonomischen System in Einklang zu bringen, sind viele Forderungen nach Regulierung von Marketing-Kommunikation."

Benjamin Minack ist Präsident des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen GWA und als solcher auch oft in politischen Fragen unterwegs, die die Werbebranche betreffen. Nebenbei führt er die Geschäfte der Agentur Ressourcenmangel in Berlin, die zur Hirschen-Gruppe gehört.


Conrad Breyer, W&V
Autor: Conrad Breyer

Er kam über Umwege zur W&V. Als Allrounder sollte er nach seinem Volontoriat bei Media & Marketing einst beim Kontakter als Reporter einfach nur aushelfen, blieb dann aber und machte seinen Weg im Verlag. Conrad interessiert sich für alles, was Werber- und Marketer:innen unter den Nägeln brennt. Seine Schwerpunktthemen sind UX, Kreation, Agenturstrategie. Privat engagiert er sich für LGBTQI*-Rechte, insbesondere in der Ukraine.