Schlechtes Jahr für Deutschland

Nur 32 Löwen bringt Deutschland mit nach Hause, darunter zwar immerhin der erste Grand Prix für PR (Scholz & Friends' "Tampon-Buch" für The Female Company), 3 Gold (mit Deutschlands erstem Titanium für DDB!), 12 Silber und 16 Mal Bronze. 2018 waren es insgesamt 66 Löwen! Unwahrscheinlich, dass es Deutschland damit wieder in die Top 5 schafft. Dabei war die Qualität der eingereichten Arbeiten gar nicht schlecht, wie Kreative aus aller Welt anerkennen. Die Konkurrenz war nur besser. Dazu kommt, dass mit Jung von Matt, Antoni und Thjnk die Leistungsträger aus Deutschland Awardpause machten. Und: Die Jurys ausgerechnet 2019 besonders streng hinschauten. Sie waren von den Veranstaltern angehalten, die begehrten Trophäen nur in Maßen zu vergeben. Das viel gescholtene Cannes, das nach den großen Reformen von 2018 noch immer unter Beobachtung steht, will Goldstandard bleiben.

So schafft es Scholz & Friends im Medaillenranking vor Ogilvy ("No need to fly", Deutsche Bahn), Antoni und DDB auf Platz eins. Antoni hat den Erfolg ihren Produktionen Anorak und Iconoclast zu verdanken; sie selbst reicht ja nicht ein. Etliche Favoriten aus Deutschland wie "Lifeboat" von Serviceplan oder "Eye to Eye" von Kolle Rebbe für Peta haben es aus dem lokalen Kontext heraus nicht aufs globale Parkett geschafft. Vor allem die Kunden müssen hier größer denken.

Das ist schade, aber unter den gegebenen Umständen keine Überraschung. Beunruhigen mag vielmehr, dass deutsche Agenturen besonders in zukunftsweisenden Kategorien wie Innovation, Social & Influencer nichts gewonnen haben. Es fehlt hier an Mut und dem Verständnis für Communitys und Zielgruppen – jedenfalls im internationalen Vergleich. Das nächste Jahr kann nur besser werden. (cob/duv)

Tech-Buden verdrängen Agenturen

Die Zeiten, in denen Werbeagenturen, Film- und Musikproduktionen das Bild an der Croisette prägten, sind vorbei. Die Strände belegen die großen Internet- und Tech-Unternehmen. Allein der Facebook Beach: mit Steg, eigener Bühne, Lounge zum Arbeiten, Bar und Fashion-Ecke, einem Eisstand. Zugang hatte jeder, der vorbeikam. Einfach Perso zeigen und rein. Damit trägt Facebook auch zur Demokratisierung des Strandes bei. Am Yachthafen neben dem Palais lag lediglich eine einzige Agentur vor Anker.

Es war bezeichnend, dass der German Bach dieses Jahr an den O'Key Beach umziehen musste. Am alten Standort wollte der Vermieter nach der Renovierung das Dreifache an Miete – Catering extra. Google, Facebook, Spotify können sich das leisten, Agenturen nicht (mehr). Sicher: Im Westen der Stadt sind die Strände schöner, weniger Werber unterwegs, eigentlich ganz lauschig das alles. Die Gäste von Weischer.Media und Studio Funk haben sich wohl gefühlt. Aber natürlich waren viele gekränkt. Die Branche spürt, wie das Geschäftsmodell Agentur unter Druck gerät und sie als Werber in der zweiten Reihe Platz nehmen müssen. "Nur wollen das bis heute nicht alle wahr haben", sagt Frank Bodin, einer der größten Kreativen der Schweiz, der hier wie viele seiner Landsleute Gast ist. Weischer.Media vertritt das Cannes-Festival neben Deutschland nämlich auch in der Schweiz.

Andererseits: Gäbe es die neuen Player nicht, wäre das Festival von Cannes heute sicher im traurigen Niedergang begriffen. GAFA & Co. bringen Geld, machen die Trends, verhelfen den Cannes Lions zu mehr Innovationskraft. Und die Tatsache, dass sie hier sind, zeigt doch auch, dass sie die Kreativbranche im Grunde schätzen. Nicht umsonst werben sie ihr die besten Leute ab, akquirieren fleißig eine Kreativagentur nach der anderen.

Im Vergleich zu den Vorjahren haben sich die Delegates auf das neue Miteinander bereits eingestellt. "Ich muss sie nicht mögen, aber sie bilden eben den Markt ab", sagt zum Beispiel Ogilvys Kreativchef Björn Bremer. Also lieber mitspielen. Der Wettbewerb kann allen Seiten nur gut tun. (cob)

Cannes wird (etwas) nachhaltiger

Ja, es war ein Anfang. Mehr aber leider auch nicht. Nachdem jeder Festival-Besucher schon bei der Registrierung eine wirklich schöne und hochwertige Flasche zum Wiederauffüllen bekommen hat, konnte man in Sachen Nachhaltigkeit durchaus Hoffnung haben. Doch die hat sich dann relativ schnell in Luft aufgelöst. Noch immer greifen die meisten Besucher aus Bequemlichkeit lieber zu den überall angebotenen Plastikflaschen und Tetra-Paks. Das Festival-Center ist auf kühlschrankähnliche Temperaturen heruntergekühlt, der Stromverbrauch entlang der Strände und bei Events hoch.

Der Punkt, der sich am einfachsten ändern ließe, wiegt aber vermutlich am schwersten: Essen kommt entweder in Plastik, mit Plastikbesteck oder auf Plastiktellern (ja, noch nicht einmal Papier oder Pappe!), selbst auf den hochkarätigen Veranstaltungen. Und - das schmerzt­ - auch beim German Beach. Nun lässt sich natürlich argumentieren, dass Cannes ohne Glamour und große Show nicht funktioniert. Aber ganz ehrlich: Es gäbe durchaus Möglichkeiten, sich auch an der Croisette umweltfreundlicher zu verhalten. So wirkt das Fest zumindest unter dem Nachhaltigkeitsgedanken aus der Zeit gefallen. Liebe Cannes-Veranstaltende: Wie wäre es mit ein wenig mehr Purpose? (duv)

Getting Gender

Frauen in Cannes, das ist eine Sache für sich. Dass sich die Festival-Leitung eine gerechtere Verteilung in Jury und auf der Bühne auf die Fahne geschrieben hat, ist natürlich positiv zu bewerten. Und auch die Jurymitglieder berichten, dass sie tatsächlich dazu angehalten wurden, auf Gleichberechtigung und sexistische Entgleisungen

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in den Arbeiten zu achten. Stichwort: Objektifizierung. Es geht also in die richtige Richtung, aber, und das ist bedauerlich: im Gänseschritt, wenn überhaupt.

Obwohl die Branche vor allem von Frauen getragen wird, haben die wichtigen Positionen noch immer hauptsächlich Männer inne. Und das zeigt sich auch an der Croisette. Wie kann es sein, dass die Verteilung der Jurymitglieder noch immer nicht gleichberechtigt ist? Dass unter den 27 Jurypräsidenten nur neun Frauen sind? Solange die Agenturen nicht nur in Sachen Work umdenken, sondern auch bei der Besetzung von Entscheider-Positionen, solange schlicht nicht mehr Frauen auch in den Spitzenpositionen zu finden sind, wird sich vermutlich auch in Cannes weiterhin nur langsam etwas ändern. (cob/duv)

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Conrad Breyer, W&V
Autor: Conrad Breyer

Er kam über Umwege zur W&V. Als Allrounder sollte er nach seinem Volontoriat bei Media & Marketing einst beim Kontakter als Reporter einfach nur aushelfen, blieb dann aber und machte seinen Weg im Verlag. Conrad interessiert sich für alles, was Werber- und Marketer:innen unter den Nägeln brennt. Seine Schwerpunktthemen sind UX, Kreation, Agenturstrategie. Privat engagiert er sich für LGBTQI*-Rechte, insbesondere in der Ukraine.