Stephanie Kurz, Dorten:
Spielt doch mit den Schmuddelkindern
Was auf der Wunschliste der meisten Agenturen ganz oben steht, birgt auch das kleinste Risiko. Wenn man Marken bei grundlegenden Veränderungen begleiten will, muss man auch mal an die Schmerzgrenze gehen.
Kreative wollen nur schöne Projekte machen. Und was sind schöne Projekte? Die Projekte, bei denen ihr ästhetischer Anspruch umgesetzt werden kann, am besten im Bereich Kultur. Und dafür gibt’s dann ganz viel Applaus. Gute Kreation bedeutet aber auch auf Auftraggeber zu treffen, die unter Umständen anders sind als man selbst.
"Für welche Kunden würdest Du gerne arbeiten?", das wird bei Einstellungsgesprächen in Agenturen gerne gefragt. Meist werden dann Marken genannt, die in irgendeiner Weise "cool" sind, oder wenigstens bekannt und groß. Unternehmen mit Dreck am Stecken, mit Leichen im Keller, mit schlechtem oder sogar gar keinem Image stehen eher nicht auf der Liste. Vielleicht sollten sie das.
Auftrag oder Anlass?
Gerade im Design habe ich manchmal den Eindruck, das große Ziel ist, für die Coolen was Cooles zu machen. Das gilt dann als tolle Leistung, da klopft man sich selbst oder bei Preisverleihungen, wenn es sein muss, auch gegenseitig auf die Schulter, und vor allem: Es sieht gut aus im Portfolio. Daraus könnte man die These ableiten: Unterm Strich arbeiten Agenturen also am liebsten für sich selbst.
Lobenswert!
Ebenso gut kommt es an, wenn man für Unternehmen arbeitet, die als "die Guten" gelten. Kultur, Umwelt und Soziales: Das sieht sogar so gut aus, dass man es auch mal gerne etwas billiger macht. Natürlich ist die eigene Imagepflege nicht der Grund für das Engagement – zumindest nicht offiziell – sondern der Wunsch, die Welt zu verändern, besser zu machen, indem man den Guten dabei hilft, bekannter zu werden. Keine Frage, das ist wichtig. Wenn man es denn tatsächlich ernst meint. In jedem Fall aber arbeitet man mit kleinem Hebel in einem Bereich, in dem man nicht Gefahr läuft, sich selbst schmutzig zu machen. Langweilig, eigentlich.
Wozu hat man jahrelange Erfahrung und Fachwissen, Marketing-, Strategie-, Digital- und Designkompetenz in der Agentur gebündelt, wenn man dann nur mit denen arbeitet, die es ohnehin tendenziell richtig machen? Müssten sich nicht gerade Agenturen um die Marken kümmern, die sich entwickeln und verbessern müssen und wollen?
Darum: Mehr Mut zur Spannung!
Es gilt zu hinterfragen, warum eine Marke zu den Schmuddelkindern gehört. Denn da liegt doch der spannende Teil der Markenarbeit. Wenn ein Unternehmen sich wirklich verändern will, dann ist die gesamte Palette der Agenturkompetenz gefragt. Je weiter der Weg, desto anstrengender wird es. Aber desto länger und inniger ist auch die Beziehung. Und desto größer ist auch der Erfolg. Die Schritte sind anfangs vielleicht kleiner und das Portfolio bleibt zunächst einmal leer. Aber Agenturen arbeiten ja gar nicht fürs Portfolio, richtig?
Klar, es gibt Sachen, die will man nicht polieren. Muss man auch nicht.
Wie erkennt man, ob es ein Unternehmen ernst meint mit der Veränderung? Oder ob es nur jemanden sucht, der für schnelles Geld das Image so lange aufbessert, bis der Shitstorm vorbei ist? Natürlich riskiert man, an Heuchler zu geraten. Es gibt genügend Beispiele von Unternehmen, die offensichtlich nicht bereit sind, sich zu bewegen, die Augenwischerei betreiben wollen, oder ihre Weste grün waschen.
Den Fleischfabrikanten Tönnies beispielsweise könnte man vor diesem Hintergrund betrachten. Eher unfreiwillig bekannt in diesem Jahr als Corona-Hotspot, wegen der Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern und generell ein ums andere Mal in der Kritik beim Thema Tierschutz, startete 2018 eine Dialogplattform. Tierwohl "aus Sicht der Tiere" hieß es da. 2020 ist dort von offenem Dialog nicht besonders viel zu sehen, wenn man bedenkt, dass Tönnies geradezu überflutet worden sein muss mit kritischen Fragen. Die Auswahl der öffentlich präsentierten Fragen und Antworten, sowie die Themen, die heute unter dem Punkt "Verantwortung" stehen, lassen angesichts der Berichte der letzten Monate nur schwer als ernsthafter Wille zur Verbesserung deuten. Angenommen dieses, oder ein ähnlich "schmuddelig" wahrgenommenes, Unternehmen meinte es tatsächlich ernst und wollte sich grundlegend ändern und verbessern, als Agentur ginge man hier deutlich an die eigene Schmerzgrenze.
Was sagen wir Agenturen unseren Kunden immer? "Ihr müsst mutig sein. Etwas wagen. Vertraut uns, wir wissen, was wir tun." Vielleicht sollten wir selbst diesen Rat mehr beherzigen und dabei auf unser Bauchgefühl hören. Immerhin ist Intuition ein wesentlicher Bestandteil kreativer Arbeit.
Fazit: Nur wer bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen, kann die Welt verbessern.
Wenn Agenturen also nicht nur hübsche Etiketten für Elitebrands gestalten, oder deren Produkte mit der immer irgendwie gleichen Coolness durch die immer gleichen Kanäle treiben wollen, sondern Marken von Grund auf mit- und umgestalten und dadurch die Welt ein Stückchen besser machen, dann müssen sie sich vom Diktat des Portfolios befreien, müssen sich anstatt mit den Coolen mit den Außenseitern an einen Tisch setzen. Die vermeintlichen Schmuddelkinder müssen auf der Liste der Wunschkunden ganz nach oben.
Über die Autorin: Stephanie Kurz ist seit August 2020 Geschäftsführerin Kreation bei Dorten. Zuvor wirkte sie als Gründungsmitglied über zwölf Jahren im Führungskreis der renommierten Berliner Agentur Stan Hema und verantwortete dort die strategische Beratung.