Die Arroganz des Mächtigen

Pritchard stößt gerne Branchendebatten an, und die Fachmedien lieben sie. Trotzdem ist der Marketer des weltgrößten Werbungtreibenden dieses Mal übers Ziel hinausgeschossen. Um nicht zu sagen: völlig abgehoben. Womöglich gefällt sich der Amerikaner in der Rolle des mahnenden Marketers.

Unbenommen: Kunden müssen sich heutzutage nicht mehr von ihren Agenturen abzocken lassen, dafür haben Werbungtreibende schon selbst mehr Durchblick denn je. Stichwort: Inhousing. Strategie, Data, Digital, Social Media, Kreation, Produktion - Unternehmen wissen Bescheid, manches machen sie sogar selbst.

Mit ihrem Expertenwissen haben Kunden die Intransparenz agenturinterner Organisationsstrukturen, wuchernder Maßnahmenkataloge und unverständlicher Kostenakalkulationen vielerorts überwunden. Die Unternehmen, vor allem die großen innovativen Konzerne wie Nestlé, Daimler machen Druck. Aber im Ernst: Viele Agenturen sind digitaler und agiler aufgestellt, als sich das Pritchard vorstellen mag.

Welche Agentur spiegelt noch Kundenstrukturen, wie Pritchard behauptet? Hohe Overheadkosten durch Silo-Wirrwar in der Werbefirma? Gibt es, aber immer weniger. Und mal ehrlich: Einerseits fordern Kunden von ihren Agenturen Full Service, allzeit stets bereit, andererseits kritisieren sie, dass ihre Werbepartner sämtliche Dienstleistungen vorhalten und dieselben ja auch irgendwie finanzieren müssen. Wo sie selbst noch dazu in immer kürzeren Abständen um Einzelprojekte pitchen lassen.

Welche Agentur kann das auf Dauer durchhalten?

Wo bleibt die Wertschätzung?

Überhang an Beratung und Planung? Mag sein, aber sind nicht gerade Berater, wenn sie wirklich wie Berater oder Projektmanager agieren, und Planer, wenn sie sich wie echte Strategen verhalten, nicht eigentlich sogar ein Mittel kosteneffizienter Kommunikationsplanung? Sie sparen dem Kunden ja Ressourcen, legen zum Beispiel die Markenstrategie mit dem Kunden zusammen von Anfang an fest - niemand muss wie früher durch learning by doing auf eine Strategie kommen. Spart Zeit und Geld.

Media und Kreation verschränken? Ist ja richtig in Zeiten, in denn es darum geht, die Customer Journey abzubilden. Vielleicht war es ein Fehler, beide Geschäftsmodelle einst zu trennen, aber hatten die Akteure damals wirklich eine Wahl, wollten sie wachsen?

Eine Gegenbewegung gibt es: Mediaagenturen bauen ihre Kreation aus, Werbeagenturen integrieren Media. Geschieht meist in den Networks. Oder treiben die Kunden wie L'Oréal. Und klar: Unternehmensberatungen und IT-Consultants drängen in den Markt. Man kann zu einzelnen Marktteilnehmern stehen wie man will: Alles drängt zur Kollaboration!

Schließlich: Mehr Kreation? Gerne? Muss man halt bezahlen, zum Beispiel über faire Stundensätze, und mit Wertschätzung vergelten, mit Begeisterung für gute Ideen, nicht mit Preislisten. Dafür wäre es angesagt, dass sich Agenturen und Kunden auf Augenhöhe begegnen, so entsteht gute Kreation. Zeigen Grabarz & Partner, Heimat, Jung von Matt, andere mehr.

Das Bashing, das Pritchard betreibt, dient der Debatte um Transparenz und Aufrichtigkeit von Agenturarbeit nicht. Im besten Fall fördert es nur heiße Luft zutage, im schlimmsten Fall aber bringt die Kritik des Marketers eine ganze Branche in Misskredit.

Es wäre an der Zeit, dass sich die Betroffenen zu Wort melden, statt zu schweigen. Und übrigens auch im Sinne der Verbraucher, um die es hier letztlich geht. Über sie diskutiert niemand. Das ist das eigentlich Fatale!


Conrad Breyer, W&V
Autor: Conrad Breyer

Er kam über Umwege zur W&V. Als Allrounder sollte er nach seinem Volontoriat bei Media & Marketing einst beim Kontakter als Reporter einfach nur aushelfen, blieb dann aber und machte seinen Weg im Verlag. Conrad interessiert sich für alles, was Werber- und Marketer:innen unter den Nägeln brennt. Seine Schwerpunktthemen sind UX, Kreation, Agenturstrategie. Privat engagiert er sich für LGBTQI*-Rechte, insbesondere in der Ukraine.