Dieses Jahr haben Sie dann Opel nicht gewonnen. Verkraftet?

Ohne jede Mühe, und ich sage Ihnen auch warum: Wir betreuen allein in Deutschland drei Automobilmarken plus eine Truckmarke. Opel wäre das vierte Auto gewesen. Da ist doch klar, dass es bei uns intern nicht nur Gründe für eine Bewerbung gab, sondern eine ganze Menge Gründe dagegen. Im Übrigen verstehe ich die Entscheidung von Opel, lieber auf Agenturen zu setzen, die nicht schon attraktivere Marken betreuen.

Könnte man ebenfalls Nachtreten nennen.

Manchmal hören sich Fakten eben so an. Ich bin aber kein böser Mensch.

Stichwort gut versus böse: Die Werbung hat spätestens seit dem Vorjahr das Gutmenschentum entdeckt. Und Sie?

Der Industrietrend zu mehr Verantwortung macht sich natürlich in der Kommunikation bemerkbar. Aber hier entlarvt er sich dann oft als reine Marketingmasche. Anders als gute Menschen, die selbstlos helfen, sind Gutmenschen ja nicht selten heuchlerische Betroffenheitsbürger. Vor allem bei Werbefestivals beobachte ich, dass Jurys die gute Absicht gern mal höher bewerten als die Qualität.

Macht ein konstanter Platz eins auf Dauer zufrieden?

Es macht zufrieden, weil es Nachhaltigkeit beweist. Dass wir unsere Spannkraft nicht verloren haben und unserem Markenkern "kreative Exzellenz" treu bleiben. Und das ist kein Selbstläufer in einer Branche mit hoher Fluktuation, wo ähnlich wie bei einem Bundes­ligaverein alle fünf Jahre eine fast komplett neue Mannschaft auf dem Platz steht.
 
Auszeichnungen sind wie Drogen, behaupten Sie. Brauchen Sie das Dope?

Was ich für mein Seelenheil brauche, ist eine regelmäßige Dosis exzellenter Arbeit. Ob diese am Ende auch den verdienten Award bekommt, ist zweitrangig. Andererseits sind wir als bekannteste Kreativagentur zu regelmäßigen Award-Erfolgen verdammt. Wenn wir mal nur Dritter werden, kommt ihr doch gleich mit euren "Anfang vom Ende"-Schlagzeilen.

Warum glauben Sie denn, war Ihr Edeka-Opa so erfolgreich?

Dieses Viral hatte alles, was auch einen Hollywood-Erfolg ausmacht: einen überraschenden Plot, höchstes Drama und eine perfekte Besetzung. Das Wichtigste ist aber, dass sein Thema den Nerv eines breiten Publikums traf. Als Nebeneffekt hat dieser Film übrigens Weihnachten zu einem deutschen Super Bowl gemacht – das Netz ist gerade voll von Weihnachtsvirals.

Hat sich Ihre Zwei-Jahres-nicht-einreichen-Strategie bezahlt gemacht?

Absolut, denn Einreichungen kosten sehr, sehr viel Geld. Und wir fragten uns, ob wir dieses Geld nicht auch sinnstiftender investieren können. So entstand die Idee der JvM-Academy, die jedes Jahr bis zu 20 jun­ge Talente zu Konzeptern ausbildet und in das Agenturleben integriert. Im nächsten Jahr dürften die Anlaufkosten aber finanziert sein, sodass wir neu denken können.

Heißt das: Sie werfen alles um und machen jetzt doch wieder jedes Jahr mit?

Das wird Götz Ulmer entscheiden – zum gegebenen Zeitpunkt.

25 Jahre Jung von Matt. Ist alles so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Da ich am liebsten maßlos bin, hätte ich mir für unser Jubiläumsjahr neben Otto Digital, Welt/N24, Freixenet, MAN und Moovel noch weiteres spektakuläres Neugeschäft gewünscht. Andererseits habe ich mich sehr über die kreativen Erfolge gefreut, die vor allem altverdiente JvM-Größen wie Dörte Spengler-Ahrens oder Jens Pfau initiiert haben.
 
Funktioniert das neue Management inklusive Thomas Strerath aus Ihrer Sicht?

Wir haben heute eine erfahrene, fleißige, kompetitive Führung, die nach vorn denkt und sich nahtlos ergänzt, ein Management mit echter Firepower. Ich bin sehr entspannt, wenn ich an die nächsten Jahre denke.

Würde die Agentur ohne eine bekannte Größe wie Sie überleben können?

Auf jeden Fall! Wenn ich mich umschaue, sehe ich lauter Agenturen, die in der Nach-Gründer-Generation stärker denn je wurden: Serviceplan ist heute erfolg­reicher denn je, Thjnk genauso und Grabarz auch. Und auch Scholz & Friends wurde in der Ära Turner und Heilmann weit erfolg­reicher als in den Gründungsjahren. Da geht noch viel.

Wer macht unter den deutschen Werbeagenturen gerade so richtig gute Arbeit?

Neben den eben Genannten fallen mir da noch ein paar weitere wie Heimat, BBDO oder Kolle Rebbe ein. Was aber auch zeigt, dass sich in unserer Branche nicht sehr viel bewegt. Es gibt so viele spannende Start­ups, aber so wenige unter den Kreativagenturen. Dojo ist eine schöne Ausnahme.

2017 werden Sie politisch - und kümmern sich um die Wahlkampagnen der CDU. Warum?

Politisch werden wir nicht, aber wir be­treuen den Wahlkampf der Bundeskanz­lerin – das macht einen Unterschied. Genauso wie wir ein Bier bewerben, das nicht jeder bei uns trinkt, obwohl es das Beste ist. Ich freue mich, dass es bei der Wahl um etwas wirklich Relevantes geht und dass die Mehrheit der Bevölkerung schon heute dafür ist, dass Angela Merkel im Amt bleibt.

Sie selbst werden neuerdings auch ganz gern mal als "Reklamegott" tituliert. Fühlen Sie sich so?

Darf ich diese Frage als nicht ernst gemeinte Auflockerung unseres Fachgesprächs überspringen? In unserer Agentur wird übrigens kein Gott angebetet, sondern ein Götz – nämlich Götz Ulmer, der uns als Kreativvorstand wieder auf den ersten Platz im Ranking geführt hat.

Und Sie? Sehen Sie sich dann eher als Werbe-Galionsfigur?

Galionsfiguren sind doch diese halb nackten Frauen vorn auf Segelschiffen? Dann nehme ich doch lieber Gott.

Das vollständige Interview mit Jean-Remy von Matt und alle Informationen zum W&V-Kreativranking lesen Sie in der aktuellen Titelgeschichte (W&V Nr. 49/2016 vom 5.12.).


Autor: Daniela Strasser

Redakteurin bei W&V. Interessiert sich für alles, was mit Marken, Agenturen, Kreation und deren Entwicklung zu tun hat. Außerdem schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Neuerdings sorgt sie auch für Audioformate: In ihrem W&V-Podcast "Markenmenschen" spricht sie mit Marketingchefs und Media-Verantwortlichen über deren Karrieren.