Die meisten Unternehmen kennen ihre Kunden auf Basis vielfältiger Data-Mining-Analysen sehr genau und haben klare Strategien für die gezielte Bindung und Entwicklung der Kundenbeziehung entlang der für die jeweilige Branche typischen Kundenlebenszyklen.

Inwiefern verändert die neue rechtliche Situation die Vorgehensweise bei der Bestandskundenansprache?

Die Neukundenakquise über digitale Kanäle auf Basis von Cookies wird bekanntlich deutlich schwieriger. Allein schon, weil die explizite Einwilligung des Users zur Analyse seines Nutzungsverhaltens über das Setzen und Analysieren von Cookies hinzu kommt. Daraus ergeben sich große Herausforderungen für die profilbasierte Ausspielung von Werbung. Die aktuell in Diskussion stehende neue ePrivacy-Verordnung birgt weitere große Risiken für die werbetreibende Industrie sowie deren Dienstleister.

Die Nutzung von Cookies würde auf der aktuell diskutierten Form der Verordnung in digitalen Kanälen nicht mehr ohne weiteres zur gezielten Werbeansprache möglich sein.

Dagegen ändert sich das grundsätzliche Arbeiten im CRM nicht. Das nationale Bundesdatenschutzgesetz schrieb schon bislang die explizite Einholung zentral dokumentierter und jederzeit widerrufbarer (Double) Opt-ins als Voraussetzung einer Analyse von Kundennutzungsdaten und einer werblichen Kundenansprache vor. Wer diesen Prozess bislang umgesetzt hat, hat auch nichts zu befürchten. Ganz im Gegenteil – er wird in seiner Arbeit bestätigt.

Wirft die DSGVO Deutschland als Innovationsstandort in Sachen Marketing und Werbetechnik zurück?

Machen wir uns nichts vor: Deutschland ist in Sachen Marketing – und dabei vor allem im digitalen Marketing – schon lange kein Innovationsstandort mehr und war hier noch nie Vorreiter. Die DSGVO ist – da in vielen Teilen auf dem BDSG basierend – nicht das größte Problem. Demgegenüber würde die vielfach diskutierte ePrivacy Verordnung (hier alles Wissenswerte im Dossier) in der jetzt vorliegenden Form das Online Marketing in Europa ganz deutlich in seinen Grundsätzen einschränken. Aber hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.

Im Moment drängt sich der Eindruck auf, die Politiker würden die Konsequenzen der DSGVO und einer vorliegenden ePrivacy-Verordnung nicht wirklich verstehen. Ist die Politik also wirtschaftsfeindlich?

Die Politik hat ganz klar die Aufgabe, für Chancengleichheit der europäischen werbungtreibenden Unternehmen und Werbedienstleister mit Nicht-EU-Wettbewerbern im digitalen Raum zu sorgen. Aber nicht um jeden Preis. Aktuelle Vorgänge belegen, dass einzelne Anbieter in einigen Punkten überzogen haben. Ich rate zu einem konstruktiven Dialog zwischen Politik und Interessenvertretern der europäischen Werbeindustrie. Es ist nicht zu spät.

Dirk Kall verantwortet alle CRM-Themen bei Pia. Die Holding liegt mit ihren Digitalagenturen mit 66 Mio. Euro Honorarumsatz auf Platz fünf im aktuellen Ranking der Digitalagenturen. Zuvor war Kall unter anderem bei BBDO Consulting und Droege & Comp tätig. Auf Unternehmensseite stand er als Vice President CRM bei der Deutschen Telekom. Wie eng und emotional Kundenbindung sein kann, erlebte er als Vorstandsvorsitzender von Fortuna Düsseldorf.

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Autor: Leif Pellikan

ist Redakteur beim Kontakter und bei W&V. Er hat sich den Ruf des Lötkolbens erworben - wenn es technisch oder neudeutsch programmatisch wird, kennt er die Antworten. Wenn nicht, fragt er in Interviews bei Leuten wie Larry Page, Sergey Brin oder Yannick Bolloré nach.