So öffnet sich der Empfänger auch bewusster der Werbebotschaft, weil sie ihm nicht aggressiv ins Hirn gedroschen wird! Das Gefühl der Freiheit ein Mailing direkt wegwerfen zu können, bevor es mir wertvolle Zeit stiehlt, spielt für die Effektivität von Printmails eine wichtige Rolle. Gleichzeitig kann man Printmails durch ihre körperliche Präsenz nicht einfach wegklicken. Spam-Ordner gibt es für sie auch nicht. Es ist eine elegante, sympathische Art des Werbekontakts, die deutlich weniger Reaktanz auslöst als andere Medien. Die Installation von 600 Millionen Adblockern weltweit spricht eine deutliche Sprache, wie sympathisch Menschen Onlinewerbung finden. Die Robinsonliste ist im Gegensatz dazu nicht sehr umfangreich.

Wie sieht ein gelungenes Print-Mailing aus?

Zuerst brauchen Sie die richtigen Adressen. Und dann Informationen über den Empfänger: Wer ist er, welche funktionalen und emotionalen Kauftreiber aktivieren ihn bezogen auf mein Angebot? Wo steht er in der Customer Journey? Ist es ein Bestands- oder ein Neukunde? Welche Funktion hat das Mailing? Wenn das klar ist, können wir über den Inhalt sprechen. Haben wir den richtigen Inhalt gefunden, muss er konversionsstark transportiert werden. Das gelingt am effektivsten, wenn er multisensorisch optimiert ist.

Das heißt Optik, Haptik, multisensorische Veredelung sollten gezielt genutzt werden, um die Response zu steigern. Denn nur Print kann mit allen unseren Sinnen spielen. Aber viel hilft nicht unbedingt viel! Wichtig ist: Die multisensorische Optimierung muss auf die entscheidenden Kauftreiber einzahlen, sonst verpufft der ganze Aufwand.

Warum ist es denn gerade heute so wichtig, dass wir Dinge mit mehreren Sinnen erleben?

Menschen entscheiden sich für ein Produkt oder eine Marke selten bewusst und rational. Lange Zeit galt, dass wir durch Einsicht oder Überzeugung unser Verhalten ändern. Heute wissen wir: Der Homo oeconomicus ist tot. Unser Bauch entscheidet und unser Kopf rechtfertigt. Das Gros aller Informationen verarbeiten Menschen an der bewussten Wahrnehmung vorbei mit ihrem impliziten System im Gehirn. Das passiert immer über alle Sinne.

Wir wissen, dass mit jedem zusätzlich genutzten Sinn für die Übermittlung meiner Botschaft die Gehirnaktivität um 1000 Prozent steigt. Die Haptik spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. Was wir länger berühren, erscheint uns z. B. automatisch als wertvoller. Die Wertschätzung kann sehr leicht über haptische Reize erhöht werden – das ist eine große Chance für Marken, ihre Werte fühlbar zu machen! Und erhöht wiederum auch noch die Erinnerungswerte. Das funktioniert übrigens bei Digital Natives genauso, wie bei älteren. Eine Studie, die den Return on Investment von 3200 Kampagnen über 5 Jahre in mehreren Branchen auswertete, belegt, dass ein Budget, das über mehr Kanäle gestreut wird, mit jedem zusätzlichen Kanal mehr Wirkung erzeugt – bis zu 35 Prozent.

Denn mehr Kanäle heißt auch: mehr Sinneseindrücke in unterschiedlichen Kontexten! Das so im Kopf etablierte multisensorische Bedeutungsmuster kann dann über einzelne Signale wieder aktiviert werden und stärkt so die Gesamtwirkung. Es zeigte sich, dass Printkontakte stark die Effektivität der anderen Kanäle steigern. Influencer sind eben auch besonders stolz, wenn über sie in Printmedien berichtet wird.

Sie sprachen neulich auf einem Event davon, dass multisensorisches Marketing das "Katerfrühstück nach dem digitalen Rausch" ist. Wie meinen Sie das?

Viele Werbungtreibende merken langsam, dass sich das Heilsversprechen des Digital First sich nicht komplett erfüllt. Online ist spannend und wichtig, ohne geht es nicht! Aber es ist kein so wertvoller Touchpoint, wie gedacht und von vielen Gurus gepredigt. Man kann nicht einfach Kontakt mit Kontakt ersetzen. Man muss auch die unterschiedliche qualitative Wirkung beachten.

Handelsunternehmen wie Aldi, die auf Beilagen verzichtet und ins Digitale umgeschichtet haben, hatten plötzlich weniger Frequenz in den Filialen. Sie spüren die Effekte sofort, wenn sie auf gedruckte Werbung verzichten – und zwar in der Kasse. Markenartikler wie Procter & Gamble, die über 100 Millionen in Microtargeting bei Facebook investiert haben kürzten Ihr Budget auf Null – und haben nach 6 Monaten hingeschaut. Was hat sich am PoS getan? Nichts. Was hat sich negativ an der der Markenwahrnehmung geändert? Auch nichts!

Ein weiteres lustiges Beispiel: Zur Überprüfung der Effektivität von Display Ads haben einige clever Jungs kürzlich ein Experiment gemacht.  Sie schalteten ein weißes Quadrat als Displayanzeige und erreichten damit dieselbe Click-Through-Rate wie die durchschnittliche Display-Ad Kampagne. Das zeigt, dass die meisten Clicks auf Displayanzeigen wohl durch Zufall entstehen, weil die Nutzer das Kreuz zum Schließen nicht richtig treffen. Wie wichtig analoge Kanäle sind, erkennen auch die großen digitalen Player.

AirbnB gibt ein Kundenmagazin raus, Zalando druckt Magaloge für seine Kunden und der größte Werbetreibende in Print in Deutschland ist aktuell wer? Facebook.

Es ist einfach höchste Zeit wieder einen nüchternen, wirkungsfokussierten Blick zu entwickeln und nicht einfach immer dem letzten glitzernden Taktiktrend hinterherzulaufen. Unbestritten konvertiert Digital hervorragend, wenn es um die letzten Meter in der Customer Journey geht. Digital pflückt sozusagen effizient vom Baum des Markenvertrauens, aber die klassischen Kanäle pflegen die Wurzeln. Insofern hilft die multisensorische Optimierung des Marketings, die Effizienz und Effektivität wieder zu erhöhen und so den Wirkungskater zu bekämpfen. Printdialog kann dazu sehr gut beitragen."

Aber warum gilt Dialogmarketing dann so häufig noch als bieder und verstaubt?

"Weil es aus der Schweinebauchanzeigen-Ecke kommt. Diese Abverkaufswerbung ist auch nach wie vor wichtig – aber Printdialog ist so viel mehr. Es kann Emotion erzeugen, Marke transportieren und Wertschätzung ausdrücken. Die Herausforderung ist, dass das auch junge Kreative das wieder besser verstehen und schätzen lernen.

Marketingverantwortliche die digital sozialisiert wurden, bekommen auch anfangs noch Schnappatmung wenn sie die Kontaktkosten von Printmails hören. Dann stellen sie aber meist überrascht fest: Wenn haptisches Dialogmarketing richtig gestaltet wird, ist die Wirkung so hoch, dass in der Gesamtkostenbetrachtung die Konversionskosten pro Bestellung günstiger sind als im Digitalen."

Haben Sie ein persönliches Lieblingsmailing?

"Das ist eine schwere Frage. Ich bekomme aber jedes Jahr eine Postkarte von einer Modemarke, die eigentlich ganz einfach gestaltet ist. Ein extrem dicker 800 Gramm Karton, ein schönes Bild in Schwarz-Weiß gedruckt und auf der Rückseite die Einladung zur Saisoneröffnung. Darüber freue ich mich jedes Mal. Die Postkarte transportiert ein Qualitätsversprechen, hat Selbstbewusstsein und Stil. Ich bin der Einladung schon mehrfach nachgekommen und lasse die Karte häufig eine Weile in meiner Küche als Dekoration stehen."  

 

Olaf Hartmann ist Geschäftsführer des Multisense Instituts, Markenberater und Gründer der Agentur Touchmore. Zusammen mit Sebastian Haupt schuf er das ARIVA-Modell zur Beschreibung der Wirkungsdimensionen sensorischer Optimierung von Produkten, Kommunikation und Verkaufsprozessen und beschrieb in dem Marketing Fachbuch "Touch" erstmals den Haptik-Effekt im multisensorischen Marketing. Hartmann war sieben Jahre lang Referent am Institut für Betriebswirtschaft der Universität Sankt Gallen und ist seit 2009 Mitglied in der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens.

 

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Autor: Julia Gundelach

Julia Gundelach ist freie Autorin mit Schwerpunkt Specials. Daher schreibt sie Woche für Woche über neue spannende Marketing- und Medien-Themen. Dem Verlag W&V ist sie schon lange treu – nämlich seit ihrem Praktikum bei media & marketing in 2002, später als Redakteurin der W&V.